Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
sich und auch sonst genügend Erfahrungen mit Männern gesammelt. Trotzdem flatterte ihr Herz wie das eines Teenagers.
»Ich dich auch.«
Sein Strahlen verriet ihr, dass seine Freude echt war.
»Heute Abend um sechs Uhr im Café ›Schöne Aussichten‹?« Er deutete auf die Bäckerei. »Frau Bohde macht den besten Kuchen der ganzen Stadt.«
»Ich weiß. Deshalb bin ich hier.«
»Eine Naschkatze? Das wird ja immer besser.« Moritz war ehrlich verwundert. Sein bewundernder Blick glitt an Leonies Figur hinab. »Das hätte ich nie vermutet.«
»Ich kann mir das auch nur leisten, weil ich den ganzen Tag auf den Beinen bin«, verriet Leonie. »Und jetzt muss ich mich wirklich beeilen. Auf Wiedersehen, Moritz.« Sie winkte, während sie um den Wagen herum ging. Ihr Vorhaben, ein paar Süßigkeiten für ihren Sohn Caspar zu kaufen, hatte sie völlig vergessen.
*
Solange Dr. Norden den kleinen Niklas untersuchte und danach das Krankenblatt studierte, verzichteten die Eltern darauf, ihn auf das Gespräch anzusprechen, dessen unfreiwillige Zeugen sie geworden waren. Erst als Daniel das Zimmer wieder verlassen hatte, schickte Magdalena Kronseder ihrem Mann einen Blick. Er verstand die stumme Aufforderung und folgte dem Chefarzt aus dem Zimmer.
»Herr Dr. Norden!«
Überrascht blieb Daniel stehen und drehte sich um. Er ahnte nicht, dass Volker Lammers im leeren Krankenzimmer nebenan genau auf diese Situation gewartet hatte.
»Ja?«
Obwohl sie nur ein paar Meter trennten, war Gregor außer Atem, als er vor ihm Halt machte. Es war die Aufregung, die ihm die Luft abschnürte.
»Wir … ich … wir haben vorhin zufällig das Gespräch gehört, das Sie mit Dr. Lammers geführt haben. Nicht, dass wir gelauscht hätten …« Abwehrend hob er die Hände. »Dieses Medikament, von dem die Rede war …«
Daniel verdrehte innerlich die Augen. Das hätte nicht passieren dürfen! Schlagartig ärgerte er sich, dass er sich von Lammers hatte überrumpeln lassen. Es war nur seiner Erfahrung zu verdanken, dass ihm äußerlich nichts anzumerken war.
»Diese Therapie kommt für Ihren Sohn leider nicht in Frage«, erklärte er mit fester Stimme. »Sie haben es ja selbst gehört. Es gibt offenbar noch keinerlei Erfahrungen mit Menschen.«
Nervös trat Gregor Kronseder von einem Bein auf das andere.
»Dr. Lammers hat uns gesagt, dass Niklas nicht zu helfen ist.« Seine Stimme war heiser vor Kummer und Verzweiflung. »Dann spielt es doch auch keine Rolle, ein neues Medikament auszuprobieren. Diese Therapie ist die einzige Hoffnung, die wir noch haben.«
Daniel Norden dachte kurz nach. Einmal mehr ärgert er sich über Volker Lammers. Wie kam der Kollege dazu, solche Aussagen zu treffen?
»Es stimmt, dass der Zustand Ihres Sohnes sehr schlecht ist und dass wir mit allem rechnen müssen. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht doch noch die Hoffnung haben, ein geeignetes Mittel zu finden, um Niklas zu helfen.«
Gregor sah aus, als wäre er dem Chefarzt am liebsten an die Gurgel gegangen. Er ballte die Hände zu Fäusten und starrte Dr. Norden an.
»Jeder sagt uns, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Warum wollen Sie uns nicht helfen?«
»Sosehr ich es will, ich kann es nicht. Diese Therapie ist noch nicht verfügbar. Und selbst wenn es mir gelänge, an die Medikamente zu kommen, dann wäre es illegal, sie zu verabreichen.« Mit Engelszungen redete Daniel auf den verzweifelten Vater ein. »Damit mache ich mich strafbar. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Viel schlimmer wäre es, dass ich damit das Leben Ihres Kindes aufs Spiel setze. Das kann ich nicht verantworten.« Er machte eine Pause und sah verstohlen auf die Uhr. »Haben Sie Vertrauen! Und jetzt müssen Sie mich bitte entschuldigen. Ich werde in ein paar Minuten zu einem wichtigen Termin erwartet.« Daniel machte Anstalten zu gehen, als er fühlte, dass Gregor Kronseder ihn am Ärmel festhielt.
»Dr. Norden, bitte! Sie müssen mich doch verstehen! Wie kann ich Sie überzeugen, dass Sie uns einfach helfen müssen?«, fragte er mit Panik im Blick. »Ich kann nicht zulassen, dass ein paar Paragraphen über das Leben meines Sohnes entscheiden.« Gregor Kronseder war am Ende seiner Kräfte angelangt. Er schlug die Hände vors Gesicht und wandte sich ab.
Diesmal hatte sich Dr. Norden nicht im Griff. Es war ihm deutlich anzusehen, wie er mit sich kämpfte. Endlich machte er ein paar Schritte auf den verzweifelten Vater zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Also gut, Herr Kronseder. Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach er.
Gregor wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, ehe er sich umdrehte.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
»Und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, wenn es schief geht«, erwiderte Daniel. »Sie hören von mir.« Er nickte Gregor zu, ehe er sich endgültig auf den Weg zu seinem Termin machte.
Keiner der beiden Männer ahnte, dass sie einen Zuhörer gehabt hatten. In seinem Versteck reckte Dr. Lammers die Faust in die Luft. Fast im gleichen Moment rief ihn sein Pieper zu einem Notfall.
»Keine Sekunde zu früh!«, frohlockte er, als er sich versicherte, dass die Luft auf dem Klinikflur rein war. Das Glück schien endlich auf seiner Seite zu sein.
*
Als es klopfte, öffnete Caspar Jürgens die Augen. Schon am frühen Morgen hatte ihn der Tropenmediziner Dr. Kayser besucht und ihm seine Diagnose überbracht. Da es ihm ein wenig besser ging, hatte Caspar nach diesem Besuch ein paar Nachrichten auf dem Handy geschrieben, seine Facebook- und Instagramseite gecheckt und ein bisschen Musik gehört. Danach war er so erschöpft gewesen, dass er wieder weggedämmert war. Doch der unerwartete Besuch ließ ihn halbwegs munter werden.
»Moritz, das ist ja eine Überraschung!«, begrüßte er seinen ehemaligen Chef, in dessen Hotel er den praktischen Teil seines dualen Studiums absolviert hatte.
»Als ich deine Nachricht gesehen habe, bin ich sofort abgebogen«, erklärte Moritz und drückte Caspar eine Schachtel Petits Fours in die Hand. »Ich wusste gar nicht, dass Frau Bohde den Klinikkiosk hier betreibt. Diese kleinen Törtchen musst du unbedingt kosten. Die sind eine Sensation. Und ich garantiere dir, dass du nirgendwo bessere bekommst.«
Lächelnd spähte Caspar in die Schachtel, ehe er sie auf den Nachttisch stellte.
»Danke. Toll, dass du gleich gekommen bist.«
»Wofür hat man denn Freunde? Auch wenn ich mir unser Wiedersehen nach deinem Urlaub ein bisschen anders vorgestellt habe«, bemerkte Moritz. Er setzte sich schwungvoll auf die Bettkante und sah sich um. »Schickes Zimmer.«
»Eigentlich ein Isolierzimmer. Aber zum Glück habe ich heute früh Entwarnung bekommen. Mein Souvenir ist nicht ansteckend.«
»Dann kannst du ja jetzt ungeniert mit den hübschen Schwestern flirten«, erwiderte Moritz grinsend.
Caspar schnitt eine Grimasse.
»Bis jetzt war ich viel zu kaputt, um viel von meiner Umwelt mitzubekommen.«
»Geht es dir sehr schlecht?« Das Mitgefühl stand Moritz Blaha ins Gesicht geschrieben.
»Es gab schon bessere Zeiten«, gestand Caspar. »Aber die Ärzte hier werden mich schon wieder hinbekommen.«
»Und was ist mit dem Hostel in Kambodscha?« Moritz erinnerte sich genau an den Anruf seines ehemaligen Schützlings. Es hatte ihm geschmeichelt, um Rat gefragt zu werden. Da der Plan ihn an seine eigene Jugend erinnerte, hatte er Caspar zugeraten.
»Das werde ich verschieben müssen. Aber ich will auf jeden Fall dorthin zurück. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schön es da war.« Seine Augen bekamen einen besonderen Glanz. Er hätte zu gern von seinen Erlebnissen berichtet. Doch die Krankheit forderte ihren Tribut. Schon wieder kämpfte er gegen die Müdigkeit.