Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
In Begleitung der Kinderärztin Carola May, zweier Schwestern und einigen anderen Kollegen war Felicitas Norden auf Visite. Unterwegs studierte sie das Krankenblatt der nächsten Patientin.
»Romy Kaulbach, fünf Jahre alt, seit gestern Nachmittag bei uns, leidet unter einem häufig wiederkehrenden Appendix vermiformis. Im vergangenen Jahr wurde sie deshalb vier Mal stationär aufgenommen.« Sie warf einen Seitenblick auf den Medizinstudenten Johannes Sondermann, der momentan ein Praktikum auf ihrer Station absolvierte. »Was können Sie mir zur Blinddarmreizung sagen?«
Nicht gewohnt, im Zentrum des Interesses zu stehen, schoss Johannes das Blut in die Wangen.
»Die Blinddarmreizung ist zunächst nicht bedrohlich.« Seine Stimme war heiser, und er räusperte sich. »Entwickelt sie sich allerdings zu einer Appendizitis, also einer Entzündung, ist eine Operation in der Regel unvermeidbar.«
»Und warum?« Felicitas legte größten Wert auf eine gute Ausbildung ihrer Schützlinge.
Der Tross war inzwischen vor dem Krankenzimmer der kleinen Patientin angekommen.
»Weil …, weil …, weil die Gefahr eines Blinddarmdurchbruchs besteht.« Im letzten Augenblick hatte Johannes den rettenden Einfall.
Felicitas lächelte ihm zu.
»Sehr gut.« Sie klopfte an und öffnete die Tür. Elena war noch im Zimmer und gesellte sich zu ihren Kollegen. »Hallo, Romy. Wie geht es dir?«
Bevor das Mädchen antwortete, flog ihr Blick über die Köpfe der Anwesenden. Endlich entspannte sich ihre Miene.
»Ganz gut. Solange der Hausmeister nicht da ist.«
»Der Hausmeister?«
Elena zupfte ihre Freundin am Ärmel und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Lächelnd setzte Fee das Gespräch fort.
»Dr. Carola May wird dich operieren.« Sie deutete auf die Kollegin, die neben ihr stand. »Du musst keine Angst haben. Die Operation ist nicht schlimm. Und danach bist du deine Bauchschmerzen ein für alle Mal los.«
»Außer, ich esse eine Schüssel voll Kirschen und trinke Wasser hinterher«, antwortete Romy neunmalklug.
Fee beneidete die Mutter nicht um das aufgeweckte, ganz offensichtlich diskussionsfreudige Kind.
»Das liegt aber nicht am Wasser, sondern daran, dass auf der Schale der Kirschen häufig Keime zu finden sind.«
»Außerdem bekommt man von Kirschen generell leicht Blähungen«, ergänzte Johannes. Der erste Erfolg hatte ihn mutig gemacht.
»Sehr gut.« Fee nickte und hatte gleich eine weitere Frage an den Medizinstudenten. »Apropos Kirschen. Was kannst du uns zu den Ursachen einer Blinddarmreizung sagen?«
Diesmal zögerte Johannes nicht.
»Im Wurmfortsatz des Blinddarms können sich wegen seiner zahlreichen Lymphfollikel leicht Erreger festsetzen und Entzündungen verursachen. Manchmal sind auch Fremdkörper wie Kirschkerne«, er zwinkerte Romy zu, »oder auch Weintraubenkerne Auslöser für eine Infektion. Außerdem ist es möglich, dass der Wurmfortsatz abknickt und sich deshalb entzündet.«
»Ausgezeichnet. Von mir aus kannst du dich sofort zur Prüfung anmelden«, scherzte Fee und wandte sich wieder ihrer kleinen Patientin zu. »Bevor wir dich morgen früh in den Operationssaal bringen, bekommst du von Schwester Elena eine Spritze, die dich ganz müde macht. Die richtige Narkose folgt kurz vor dem Eingriff. Und wenn du wieder aufwachst, ist alles gut.«
»Schneidet ihr mir den Bauch auf?«
»Keine Angst.« Schwester Elena trat an Romys Bett und streichelte ihr über die Stirn. »Es werden nur drei ganz kleine Schnitte gemacht. In die führen die Ärzte die Instrumente ein und entfernen den Blinddarm. Wenn du erwachsen bist, wirst du noch nicht einmal mehr die Narben sehen.«
Romy musterte Elena ehrfürchtig.
»Du weißt ja genauso viel wie ein richtiger Arzt.«
»Ich bin aber nur Krankenschwester.«
»Kein Wunder. Ich habe auch noch nie einen Doktor mit Einhorn-Pullover gesehen.«
Diesmal war es Elena, der unter den belustigten Blicken der Kollegen die Röte ins Gesicht schoss. Verlegen strich sie eine unsichtbare Strähne aus dem Gesicht.
»Na ja, ein bisschen Glitzer im Leben hat noch niemandem geschadet, oder?« Tapfer zwinkerte sie Romy zu. »Das könnte der Hausmeister auch vertragen.«
Dr. Lammers im Einhorn-Pullover! Diese Vorstellung war zu lustig. Romy giggelte und kicherte mit den Erwachsenen um die Wette, bis eine Schwester mit der versprochenen Zauberkiste ans Bett trat.
*
»Ich bin doch nicht hier, um zur beliebtesten Mitarbeiterin der Woche gewählt zu werden«, schimpfte Sophie Petzold vor sich hin, nachdem die Aufträge des Klinikchefs erledigt waren.
»Aber auch nicht, um gleich wieder gefeuert zu werden.« Selbst Christine Lekutat mit ihrer rustikalen Art ahnte, dass sich die junge Assistenzärztin mit ihrem Benehmen auf dünnem Eis bewegte. »Wenn Sie Interesse an dem Job haben, würde ich mich an Ihrer Stelle ein bisschen zusammennehmen. Unser Verwaltungschef trägt nicht umsonst den Namen ›Sparfuchs‹. Er freut sich über jede Kündigung, die er unterschreiben darf. Das haben ein paar Assistenten, deren Leistungen nicht entsprechend waren, in letzter Zeit schmerzhaft zu spüren bekommen.
»Schon gut«, murrte Sophie und sah zu Dr. Weigand, der ihnen auf dem Flur entgegenkam. Er begleitete einen Patiententransport in eines der Behandlungszimmer. Als er die junge Assistenzärztin bemerkte, winkte er sie zu sich hinüber.
»Kommen Sie bitte mit, Kollegin Petzold. Ich kann ein bisschen Hilfe und Sie eine Lehrstunde brauchen.«
Schon lag Sophie wieder ein passender Spruch auf den Lippen, als sie Christine Lekutats Hand auf dem Rücken spürte. Sie schluckte die Bemerkung hinunter.
»Natürlich.«
»Das hier ist Frau Lücke«, stellte Dr. Weigend die Patientin auf der Liege vor. »Sie ist Opfer des Brandunfalls und hat vermutlich eine Rauchvergiftung erlitten. Deshalb möchte ich sie mir genauer ansehen.«
»Aber das ist wirklich nicht nötig, Herr Doktor«, versicherte die junge Frau zum wiederholten Male. »Den Husten habe ich schon seit Jahren.«
»Dann gefällt er mir noch viel weniger«, hielt Dr. Weigand dagegen.
Die Türen des Behandlungsraums schlossen sich hinter ihnen. Während Matthias die Angaben der Patientin durchlas, wies er Sophie Petzold an, Bettina Lückes Blutdruck und Puls zu messen. Die Assistenzärztin verdrehte die Augen, tat aber kommentarlos das, was von ihr verlangt wurde. Bei der folgenden körperlichen Untersuchung war sie nur Beobachterin.
»Waren Sie schon immer so dünn?«, fragte Matthias, während Bettina das bunt gemusterte T-Shirt wieder überstreifte.
Er hatte am Schreibtisch Platz genommen und notierte die Ergebnisse.
»Seit ein paar Monaten habe ich öfter Bauchschmerzen und Durchfälle«, gestand Bettina zögernd. Von einer Rauchvergiftung war keine Rede mehr.
Matthias Weigand drehte sich zu Sophie Petzold um, die sich in einer Zimmerecke langweilte.
»Welche Untersuchungen würden Sie in diesem Fall anordnen?«
Sofort trat sie an die Liege.
»Als bildgebendes Verfahren empfehle ich zunächst eine Sonographie des Bauchraums, um mögliche Entzündungsherde ausfindig zu machen. Mithilfe von laborchemischen Untersuchungen können Entzündungswerte im Blut nachgewiesen und eine mögliche Mangelernährung ausgeschlossen werden. Eine Stuhluntersuchung auf Bakterien kann Hinweise auf eine erregerbedingte Darmentzündung bringen.«
»Lehrbuchmäßig«, lobte Dr. Weigand zufrieden.
Sophie winkte herablassend ab.