Chefarzt Dr. Norden Box 8 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
auf die Kanüle, um sie am Verrutschen zu hindern. »Die Untersuchung dauert in etwa 45 Minuten. Haben Sie sonst noch eine Frage?«
Manfred Tuck schüttelte den Kopf. Die Fragen, die er auf dem Herzen hatte, konnte kein Mensch dieser Welt beantworten.
»Nein.«
»Gut. Dann auf in die Radiologie!«
*
»Na, das ist ja mal eine Überraschung. Unser lieber Herr Verwaltungsdirektor.« Dr. Weigand trat an die Liege und blickte auf Dieter Fuchs herab. »Was machen Sie denn für Sachen?«
»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.« Fuchs verschränkte die Arme und blickte demonstrativ auf das Foto an der Wand.
Ein wogendes Weizenfeld, gesprenkelt mit blutroten Mohnblüten. Was für eine Verschwendung! Sobald er wieder auf den Beinen war, würde er sich darum kümmern, dass dieser Firlefanz durch eine anatomische Darstellung ersetzt wurde. Dummerweise sah Weigand nicht danach aus, als ob er ihn gleich wieder gehen lassen würde.
»Draußen würde es mich auch nicht interessieren. Hier drinnen bin ich leider dazu verpflichtet.« Matthias‘ Augen blitzten vor Vergnügen. Es kam nicht oft vor, dass ihm der Verwaltungsdirektor hilflos ausgeliefert war. Endlich konnte er sich für die Kekse revanchieren, die der Verwaltungschef zusammen mit Verbrauchsmaterial wie Papierhandtücher und Verbandmaterial bestellte und die genauso schmecken. Für den abgelehnten Antrag für eine SPECT-fähige Gammakamera. Und nicht zuletzt für die falsche Auslastungsanalyse, die den Ärzten viel Ärger bereitet hatte, bevor die Tochter des Verwaltungsdirektors den Irrtum aufgeklärt hatte.
Wenn Matthias Weigand nur daran dachte, konnte auch er eine Beruhigungspille vertragen. Ein Glück, dass der Trägerverein der Klinik eine Entscheidung angekündigt hatte. Hing Fuchs‘ desolater Gemütszustand etwa damit zusammen? »Die Kollegen haben mir verraten, dass Sie eine ordentliche Portion Sedativa geschluckt haben und deshalb ohnmächtig geworden sind. Das passt überhaupt nicht zu Ihnen und Ihrer Sparsamkeit.« Dr. Weigand faltete die Hände vor dem Bauch. »Warum haben Sie das getan?«
Dieter Fuchs zog Augenbraue und Mundwinkel hoch.
»Beruhigungsmittel nimmt man gemeinhin, wenn man sich beruhigen will. Oder sehe ich das falsch?«
»Und worüber haben Sie sich aufgeregt? Noch dazu so sehr, dass es gleich drei Tabletten sein mussten.«
»Spielt das eine Rolle?«
»Wenn ich Sie behandeln soll, tut es das.«
»Dann spielt es keine Rolle.«
Dr. Weigand holte tief Luft. Von rechts hörte er ein unterdrücktes Grunzen. Ein strafender Blick, und Pfleger Jakob senkte den Kopf.
»Gut«, wandte sich Matthias wieder an den Verwaltungsdirektor. »Dann untersuche ich Sie jetzt. Die Ergebnisse liegen frühestens morgen Vormittag vor. Solange müssen Sie leider hierbleiben.« Er machte eine kunstvolle Pause. »In der psychiatrischen Abteilung.«
»Aber …«
»Kein Aber. Solange ich mir nicht sicher sein kann, dass Sie sich selbst absichtlich Schaden zugefügt haben, schütze ich Sie nur vor sich selbst.« Er setzte sich auf den Hocker und zog das Ultraschallgerät heran. »Nicht, weil Sie mir so sympathisch sind.« Er nahm den Schallkopf zur Hand und drückte durchsichtiges Gel aus einer Flasche darauf. »Sondern weil es meine Pflicht als Arzt ist.«
*
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll, Herr Dr. Aydin.«
Der Neurochirurg lächelte zufrieden.
»Indem Sie aufstehen und das Zimmer auf zwei Beinen verlassen«, machte er einen Vorschlag.
Das ließ sich sein Patient Holger Brandhorst nicht zwei Mal sagen. Er stand auf und machte ein paar Extraschritte durch das Zimmer, ehe er es in Begleitung seiner Frau und seines Arztes verließ.
Am Ende des Flurs blieb Milan Aydin stehen und sah dem Ehepaar nach. Ein tiefes Gefühl der Befriedigung erfüllte ihn. Menschen von ihren Schmerzen zu befreien und ihnen zu helfen, war einer der Gründe, warum er die Mühen und Strapazen jeden Tag aufs Neue auf sich nahm. Hinzu kam, dass die Medizin für Milan Ähnlichkeit mit einer Wildwasserfahrt hatte. Auch wenn gerade alles ruhig dahin plätscherte, konnte hinter der nächsten Ecke schon die nächste große Herausforderung warten. Ein Rascheln hinter ihm bestätigte diese Ansicht.
Auch ohne den Rollstuhl zu wenden wusste Milan, dass seine Kollegin Christine Lekutat im Anmarsch war. Anders als sonst würdigte sie ihn keines Blickes. Watschelte an ihm vorbei, als wäre er Luft.
Bei ihrem Anblick drückte Milan das schlechte Gewissen. Sicher, sie hatte einen seltsamen Sinn für Humor. Benahm sich wie ein Elefant im Porzellanladen und sah genauso aus. Abgesehen davon war sie aber eine hervorragende Chirurgin und eine zuverlässige Kollegin.
»Dr. Lekutat«, rief er ihr nach.
Als hätte sie nur darauf gewartet, machte sie Halt. Sie drehte sich so schwungvoll um, dass sie sich um ein Haar in ihrem Kittel verfangen hätte. Ihre Wangen leuchteten in schönstem Rot.
»Milan … ich meine Dr. Aydin. Ich habe Sie gar nicht gesehen.«
Um ein Haar wäre Milan laut herausgeplatzt. Ihr zuliebe tat er es nicht. Er packte die Greifräder und fuhr auf sie zu.
»Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen. Mein Kommentar vorhin war wirklich nicht nett.« Er legte den Kopf ein wenig schief. Schenkte ihr dieses neckische Lächeln, das Frauen so mochten. »Wenn Sie immer noch Lust haben, mit mir zum Thailänder essen zu gehen, komme ich gern mit.«
Christine strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
»Wirklich?«
Ihre Augen leuchteten. Auf ihren Wangen zeigten sich rote Flecken. Plötzlich bekam es Milan mit der Angst zu tun. Hatte sie sein harmloses Angebot falsch verstanden?
»Wenn Sie nicht mehr wollen …«
»Doch, doch. Mir tut meine dumme Reaktion von vorhin leid. Im Grunde genommen weiß ich ja, dass Ihr Humor ein wenig daneben ist.«
»Das sagt die Richtige«, platzte Milan heraus.
Schweigen.
Christine sah aus, als hätte er ihr einen Eimer Eiswasser über den Kopf geschüttet. Sie griff sich ans Herz und wurde blass.
»Wie meinen Sie das?«
Kurz nach seinem Unfall hatte sich Milan Aydin Sorgen gemacht, seine Chancen bei den Frauen verspielt zu haben. Bis er festgestellt hatte, dass das genaue Gegenteil der Fall war. Der Rollstuhl hatte eine magische Anziehungskraft auf das weibliche Geschlecht. Auf die Professorin für Altphilologie genauso wie auf die Laborantin der Behnisch-Klinik. Doch trotz seiner mannigfaltigen Erfahrungen mit Frauen stieß Milan bei Christine Lekutat an seine Grenzen. War sie am Ende gar keine Frau? Kein menschliches Wesen?
»Bitte nicht ohnmächtig werden«, flehte er sie an.
Er griff nach dem Tablet in seinem Schoß und fächelte ihr Luft zu.
»Hören Sie schon auf damit! Ich brauchte Ihr Mitleid nicht.«
Milan ließ das Gerät sinken.
»Nehmen Sie es mir nicht übel. Aber offenbar verstehen wir uns einfach nicht. Deshalb ist es in Zukunft bestimmt besser, wenn wir unseren Kontakt auf das Medizinische beschränken«, machte er einen Vorschlag zur Güte.
Christine fiel von einem Schrecken in den nächsten.
»Dann wollen Sie jetzt doch nicht mit mir zu Mittag essen?«
»Ich glaube nicht.« Milan schüttelte den Kopf. »Nein. Wenn ich ehrlich bin, ist mir der Appetit vergangen.« Er wagte es noch nicht einmal, ihr ein Lächeln zu schenken. Stattdessen fuhr er mit gesenktem Kopf davon.
Eigentlich hätte er erleichtert sein müssen.
Doch zum wohl ersten Mal in seinem Leben machte er die Erfahrung, dass