Chefarzt Dr. Norden Box 8 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
gefahren ist.« Sophie Petzold hatte die Hände in die Hüften gestützt und sah mit halb geschlossenen Augen haarscharf an ihrem Verlobten vorbei.
Matthias war ganz sicher, dass er mit dem Rücken zur Wand stand. Andernfalls hätte er sich umgedreht in Erwartung, Christine Lekutat hinter sich zu sehen.
»Die ganze Zeit war sie so nett. Und plötzlich lässt sie mich so auflaufen. Aus heiterem Himmel. Ausgerechnet heute. Das ist nicht fair.«
»Vielleicht hat sie einfach einen schlechten Tag. Das kommt in den besten Familien vor«, versuchte Dr. Weigand, seine zukünftige Frau zu trösten. Er streckte die Arme aus, um Sophie an sich zu ziehen. Seine Hände fielen ins Leere.
»Vielleicht rächt sich auch dieser übermäßige Zuckerkonsum. Ich kenne niemanden, der derart viele Süßigkeiten in sich hineinstopft. Als Ärztin müsste sie doch wissen, dass das gefährlich ist.«
»Deine Sorge ehrt dich. Aber statt dir den Kopf über die Kollegin Lekutat zu zerbrechen, solltest du dich lieber auf deine Prüfung konzentrieren.« Matthias sah auf die Armbanduhr. »Du hast noch eine Stunde.«
Sophie starrte ihn an, als hätte er sich vor ihren Augen in ein Monster verwandelt.
»Waaaaas? Eine Stunde nur noch? Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief sie im Büro auf und ab. Sogar ihr »O Gott, o Gott, o Gott«, erinnerte entfernt an ein Gackern. »Dabei wollte ich unbedingt noch einmal das Gliom durchgehen. Du mit deinem Mut zur Lücke! Das geht garantiert schief. Schon mit der ersten Frage hat mich die Lekutat eiskalt erwischt.«
Matthias konnte seiner Verlobten nicht böse sein. Dazu erinnerte er sich zu genau an den Tag seiner eigenen Facharztprüfung. Anders als Sophie war er auf jede mögliche und unmögliche Frage vorbereitet gewesen. Und war dank seiner Nervosität mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Das würde Sophie nicht passieren. Er kannte sie. Hatte sie oft genug in Krisensituationen erlebt. Und für ihre Coolness und Gelassenheit bewundert.
»Es geht nur um die hirneigenen Tumore, die du nicht so gründlich gelernt hast.«
Sophie hielt in ihrem Marsch inne. Durchbohrte ihn mit Blicken.
»Stell mir eine Frage!«, verlangte sie.
»Wie bitte?«
»Du sollst mir eine Frage zu hirneigenen Tumoren stellen.«
Matthias Weigand lächelte. Seine Sophie! Er hätte es sich denken können.
»Also gut. Erzähl mir was über Medulloblastome.«
»Medulloblastome sind Tumore, die fast ausschließlich im Kindes- und Jugendalter auftreten. Dabei handelt es sich um Tumoren des Kleinhirns, die sich besonders durch Koordinationsstörungen, Stand- und Gangunsicherheit bemerkbar machen. Ihrer Lage ist die Möglichkeit einer Nervenwasserabflussstörung geschuldet, die eine akute Hirndrucksteigerung mit entsprechender Symptomatik zur Folge haben kann. Obwohl es sich beim Medulloblastom um einen besonders bösartigen …«
»Genug, genug«, wehrte Matthias Weigand ab. »Du bist ja ein wandelndes Medizinlexikon.«
Atemlos hielt Sophie Petzold inne. Sie lächelte.
»Richtige Antwort.«
»Gut. Dann solltest du dich langsam umziehen. Sonst verpasst die Prüfungskommission das Beste, was ihr an diesem Tag geboten wird.«
Sophie stemmte die Hände in die Hüften. Legte den Kopf schief. Eine Strähne fiel ihr ins Gesicht. Sie
»Hab ich dir schon einmal gesagt, dass du ein widerlicher Schleimer bist?«, scherzte Sophie.
»Ein Mal?«, fragte Matthias lachend zurück und zog sie in seine Arme, um sie – wenn nicht schon mit Worten, so wenigstens mit Taten – zu überzeugen.
*
Das Tablet in der Hand, blieb Dr. Daniel Norden einen Moment vor dem Zimmer seines Patienten Manfred Tuck stehen. Er konnte von Glück sagen, nicht in früheren Zeiten gelebt zu haben. Lange Zeit war es Usus, den Überbringer schlechter Nachrichten zu töten. Nicht nur in der griechischen Antike fanden sich solche Berichte. Erst am Wochenende hatte Daniel eine Dokumentation über die Azteken gesehen, in dem ihr Herrscher Montezuma den Boten hinrichten ließ, der ihm das Nahen des Spaniers Cortez gemeldet hatte.
Trotzdem fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut, als er zu seinem Patienten trat.
Manfred saß im Bett und sah ihn mehr oder weniger erwartungsvoll an.
»Ah, der Herr Doktor …«
»Herr Tuck, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Sie ein Meningeom haben.«
»Soso, jetzt hat das Ding also einen Namen.« Er fasste sich an den Kopf. »Werde ich daran sterben?«
»Nein.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Dabei handelt es sich um einen gutartigen Tumor der Hirnhaut. Wir werden Sie morgen früh operieren.«
Manfreds Augen wurden schmal.
»Morgen früh schon?«
»Wie bereits in der ersten Untersuchung festgestellt, ist die Lage des Tumors sehr erfolgversprechend. Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass Sie den Eingriff ohne bleibende Schäden überstehen werden.« Daniel Norden sah seinem Patienten an, dass er Redebedarf hatte. Er zog sich einen Hocker ans Bett und setzte sich. »Wie gesagt, die Lage des Tumors ist günstig«, wiederholte er in Ermangelung einer anderen Idee.
Manfred Tuck seufzte aus tiefstem Herzen. Er blickte hinab auf seine ineinander verschlungenen Hände.
»Wissen Sie, bisher war ich immer ein Glückskind«, begann er zu erzählen. »Zuletzt, als ich Eva kennengelernt habe. Ausgerechnet in einer Zeit, in der ich so unzufrieden gewesen bin wie nie zuvor. Die Kinder erwachsen, die Frau an meiner Seite nur noch eine alte Bekannte, die ich hin und wieder zufällig im selben Haus traf.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Und dann kam Eva. Wie ein Wirbelwind ist sie durch dieses Leben gefegt, hat den Mief und Staub weggeweht. Statt Stoffhosen trage ich jetzt moderne Jeans und einen flotten Haarschnitt. Statt Rinderrouladen mit Klößen esse ich jetzt Soljanka mit Oliven und Tomaten. Und habe Spaß wie nie zuvor in meinem Leben.« Seine Mundwinkel zogen sich wieder nach unten. »Aber irgendwann ist offenbar bei jedem Zahltag.«
*
Nach diesem Gespräch wanderte Daniel Norden mit gesenktem Kopf über den Flur. Wie Manfred Tuck zählte auch er sich zu den Glückskindern. Wie auch nicht, mit dieser Frau an seiner Seite, den fünf gut gelungenen Kindern und seinem Enkelkind Fynn. Mit seinem Traumberuf, der ihn ans Ziel seiner Wünsche – die Leitung einer renommierten Privatklinik – geführt hatte. Würde auch er eines Tages büßen müssen für dieses unverschämte Glück?
Derart in Gedanken vertieft, nahm Daniel die Schritte hinter sich nicht wahr. Erst die Stimme riss ihn aus seiner Versunkenheit.
»Dan! Halt! Warte doch auf mich!«
Er drehte sich um und wartete auf seine Frau Fee. Ihre Wangen leuchteten, ihre Brust hob und senkte sich.
»Du siehst aus, als hättest du einen Marathon hinter dir.«
»Wir wollen es nicht übertreiben. Es war nur ein Halbmarathon«, schmunzelte sie und stemmte die Hände in die Hüften. Je mehr sich ihr Atem beruhigte, umso blasser wurde ihr Strahlen. »Stimmt es, dass Fuchs kollabiert ist?« Seite an Seite setzten sie ihren Weg fort.
»Das ist leider richtig. Ich habe Erst Hilfe geleistet und ihn dann in die Ambulanz zu Matthias bringen lassen.«
»Wusstest du, dass er ihn in die Psychiatrie verlegt hat?«
»Das ist mir neu.« Daniel wiegte den Kopf. »Wundert mich aber nicht. Meiner Ansicht nach war eine ordentliche Portion Beruhigungsmittel Grund für den Zusammenbruch.
»Ich weiß. Matthias hat es mir erzählt. Er hat auch gesagt, dass Fuchs sich weigert, mit den Kollegen der Psychiatrie zu sprechen.« Felicitas schickte ihrem Mann einen Seitenblick. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mich mal