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Reise zum Mittelpunkt der Erde. Jules VerneЧитать онлайн книгу.

Reise zum Mittelpunkt der Erde - Jules Verne


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Au­gen ka­men. Wie war ich über­rascht, als ich bei ei­nem sol­chen ra­schen Um­wen­den voll­kom­men les­ba­re Wör­ter zu er­ken­nen glaub­te, la­tei­ni­sche Wör­ter, z.B. »cra­te­rem«, »ter­re­stre«.

      So drang auf ein­mal ein Licht­strahl in mei­nen Geist; die­se ein­zi­gen Spu­ren führ­ten mich auf den Weg der Wahr­heit; ich hat­te das Ge­setz der Chif­fre ge­fun­den. Um das Do­ku­ment zu ver­ste­hen, brauch­te man nicht ein­mal quer über auf die Rück­sei­te des Blat­tes zu le­sen! Nein. Gera­de so, wie es war, ge­ra­de so, wie mir’s dik­tiert wur­de, konn­te es ge­läu­fig buch­sta­biert wer­den. Alle sinn­rei­chen Ge­dan­ken des Pro­fes­sors ver­wirk­lich­ten sich. Er hat­te recht in Hin­sicht der Zu­sam­men­rei­hung der Buch­sta­ben, so­wie in Hin­sicht der Spra­che. Um die­ses la­tei­ni­sche Schrei­ben von An­fang bis zu Ende le­sen zu kön­nen, be­durf­te es nur noch »et­was«, und die­ses »et­was« wur­de mir vom Zu­fall ge­ge­ben.

      Na­tür­lich war ich sehr im Ge­müt er­grif­fen. Mei­ne Au­gen wur­den trü­be, so­dass sie mir den Dienst ver­sag­ten. Ich hat­te das Pa­pier auf dem Tisch aus­ge­brei­tet. Ich brauch­te nur einen Blick dar­auf zu wer­fen, um das Ge­heim­nis in Be­sitz zu be­kom­men.

      End­lich ward ich mit Mühe mei­ner Be­we­gung Herr. Um mei­ne Ner­ven ru­hig wer­den zu las­sen, leg­te ich mir auf, zwei­mal durch das Zim­mer zu ge­hen, dar­auf wieg­te ich mich wie­der in dem großen Lehn­stuhl.

      »So will ich le­sen«, rief ich aus, nach­dem ich aus tiefer Brust ge­at­met.

      Ich neig­te mich über den Tisch, ver­folg­te mit dem Fin­ger der Rei­he nach je­den Buch­sta­ben, und las, ohne an­zu­hal­ten, ohne einen Au­gen­blick zu sto­cken, mit lau­ter Stim­me den gan­zen Satz.

      Aber wel­che Be­stür­zung, wel­cher Schre­cken be­fiel mich! Ich stand an­fangs wie vom Schlag ge­rührt. Wie! Was ich eben ge­lernt hat­te, war schon am Ziel! Ein Mensch war kühn ge­nug, da­hin zu drin­gen! …

      »Ah!« rief ich hüp­fend aus, »nein! Nein! Mein On­kel soll’s nicht er­fah­ren! Er wür­de un­fehl­bar eine sol­che Rei­se vor­neh­men! Er wür­de auch die­sen Ge­nuss ha­ben wol­len! Nichts wür­de ihn ab­hal­ten kön­nen! Ein so ent­schlos­se­ner Geo­log! Er wür­de je­den­falls hin­rei­sen, trotz al­lem! Und er wür­de mich mit­neh­men, um nim­mer heim­zu­keh­ren! Nie­mals! Nie!«

      Ich war in un­be­schreib­li­cher Auf­re­gung.

      »Nein! Nein! Das wird nicht ge­sche­hen«, sag­te ich mit Ener­gie, »und da es in mei­ner Macht steht, zu ver­hin­dern, dass mei­nem Ty­ran­nen eine sol­che Idee in den Sinn kom­me, so will ich’s tun. Wenn er das Do­ku­ment um- und her­um­wen­det, könn­te er zu­fäl­lig den Schlüs­sel des­sel­ben ent­de­cken! So will ich’s ver­nich­ten.«

      Im Ka­min war noch ein we­nig Feu­er. Ich er­griff nicht al­lein das Blatt Pa­pier, son­dern auch das Per­ga­ment des Sak­nus­semm; mit fie­ber­haft zit­tern­der Hand war ich im Be­griff, es mit­ein­an­der auf die Koh­len zu wer­fen, und so das ge­fähr­li­che Ge­heim­nis zu ver­nich­ten. Da öff­ne­te sich die Tür des Zim­mers und mein On­kel trat ein.

      Ich hat­te nur noch Zeit, das un­glück­se­li­ge Do­ku­ment wie­der auf den Tisch zu le­gen.

      Der Pro­fes­sor Li­den­b­rock schi­en gänz­lich er­schöpft. Der ihn be­herr­schen­de Ge­dan­ke ließ ihm kei­nen Au­gen­blick Ruhe; er hat­te wäh­rend sei­nes Spa­zier­gangs of­fen­bar die Sa­che durch­forscht, zer­glie­dert, alle Hilfs­quel­len sei­nes Geis­tes er­schlos­sen, und er kam zu­rück, einen neu­en Ge­dan­ken in An­wen­dung zu brin­gen.

      In der Tat setz­te er sich in sei­nen Lehn­stuhl, er­griff die Fe­der und fing an, For­meln nie­der­zu­schrei­ben, die ei­nem al­ge­brai­schen Re­chenexem­pel gli­chen.

      Mei­ne Bli­cke be­glei­te­ten sei­ne zit­tern­de Hand; ich ließ mir nicht eine ein­zi­ge sei­ner Be­we­gun­gen ent­ge­hen. Soll­te wohl un­ver­se­hens ein un­ver­hoff­tes Re­sul­tat sich er­ge­ben? Ich zit­ter­te, doch ohne Grund, denn da die ein­zig rich­ti­ge Ver­bin­dungs­wei­se be­reits auf­ge­fun­den war, so muss­te not­wen­dig je­des an­de­re Nach­for­schen ver­geb­lich sein.

      Drei Stun­den lang ar­bei­te­te mein On­kel, ohne zu re­den, ohne den Kopf zu he­ben, tilg­te aus, fuhr fort, ra­dier­te, fing tau­send­mal von Neu­em an.

      Ich wuss­te wohl, dass, wenn er’s da­hin bräch­te, die­se Buch­sta­ben in alle mög­li­chen Ver­bin­dun­gen mit­ein­an­der zu brin­gen, die Phra­se da­bei her­aus­käme. Aber, ich wuss­te auch, dass aus nur zwan­zig Buch­sta­ben sich zwei Quin­til­lio­nen, vier­hun­dertzwei­und­drei­ßig Qua­dril­lio­nen, neun­hun­dert­und­zwei Tril­lio­nen, acht Mil­li­ar­den, hun­dert­sechs­und­sieb­zig Mil­lio­nen, sechs­hun­dert­vier­zehn­tau­send Ver­bin­dun­gen bil­den las­sen. Nun wa­ren in der Phra­se hun­dertzwei­und­drei­ßig Buch­sta­ben vor­han­den, und die­se hun­dertzwei­und­drei­ßig er­ga­ben eine An­zahl ver­schie­de­ner Phra­sen, die aus hun­dert­drei­und­drei­ßig Zif­fern min­des­tens be­stan­den, eine Zahl, die fast zu zäh­len un­mög­lich ist, und über alle Schät­zun­gen hin­aus­geht.

      Ich war be­ru­higt in Hin­sicht die­ses he­ro­i­schen Mit­tels, das Pro­blem zu lö­sen.

      In­zwi­schen ver­floss die Zeit; es ward Nacht; der Lärm der Stra­ßen ver­stumm­te; mein On­kel, stets über sei­ner Auf­ga­be, sah nichts, selbst die gute Mar­tha nicht, als sie die Tür öff­ne­te; er hör­te nichts, selbst die Stim­me die­ser gu­ten Die­ne­rin nicht, als sie sag­te:

      »Wird der Herr die­sen Abend spei­sen?«

      Auch Mar­tha muss­te ohne Ant­wort sich zu­rück­zie­hen.

      Ich mei­nes­teils, nach­dem ich ei­ni­ge Zeit wi­der­stan­den, ver­fiel in einen un­über­wind­li­chen Schlaf, und ich schlief an ei­nem Ende des Kana­pee ein, wäh­rend mein On­kel Li­den­b­rock im­mer fort­rech­ne­te und stets aus­strich.

      Als ich am fol­gen­den Mor­gen wie­der er­wach­te, war der un­er­müd­li­che For­scher im­mer noch bei der Ar­beit. Sei­ne ro­ten Au­gen, sei­ne blei­far­bi­ge Haut, sei­ne ver­wirr­ten Haa­re un­ter sei­ner fie­ber­haf­ten Hand, sei­ne ge­röte­ten Wan­gen ga­ben hin­läng­lich sei­nen Kampf mit dem Un­mög­li­chen zu er­ken­nen, und in wel­cher Er­schöp­fung des Geis­tes, wel­cher An­stren­gung des Ge­hirns ihm die Stun­den ver­flie­ßen muss­ten.

      Wahr­lich, er dau­er­te mich. Trotz der Vor­wür­fe, die ich glaub­te ihm ma­chen zu dür­fen, war ich ei­ni­ger­ma­ßen ge­rührt. Der arme Mann war der­ma­ßen von sei­ner Idee be­fan­gen, dass er sich zu er­zür­nen ver­gaß. Alle sei­ne Le­bens­kräf­te kon­zen­trier­ten sich auf einen ein­zi­gen Punkt, und da sie nicht ih­ren ge­wöhn­li­chen Ablei­tungs­weg hat­ten, so konn­te man fürch­ten, es wer­de ihre Span­nung ihm je­den Au­gen­blick den Kopf zer­spren­gen.

      Ich konn­te den ei­ser­nen Schraub­stock, worin sein Schä­del ge­spannt war, mit ei­ner Hand­be­we­gung, mit ei­nem ein­zi­gen Wort ihm lo­ckern! Und ich tat’s nicht.

      Doch war ich gut­mü­tig. Wes­halb blieb ich denn stumm un­ter sol­chen Um­stän­den? Im ei­ge­nen In­ter­es­se mei­nes On­kels.

      »Nein, nein«, sag­te ich wie­der­holt, »nein, ich wer­de nicht


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