Die Propeller-Insel. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
an die wiegenden Bogenbewegungen anmerkt, am Gold- und am kleinen Finger mit großen Ringen geschmückt ist.
Diese flüchtige Skizze genügt wohl, den Mann und den Künstler zu kennzeichnen. Man hält aber nicht ungestraft vierzig Jahre hindurch einen klingenden Kasten zwischen den Knien. Das beeinflusst das ganze Leben und modelt den Charakter. Die allermeisten Violoncellspieler sind redselig und auffahrend, haben gern das große Wort und reden über allerlei – übrigens nicht ohne Geist. Ein solches Exemplar ist auch Sébastien Zorn, dem Yvernes, Frascolin und Pinchinat die Leitung ihrer musikalischen Streifzüge willig überlassen haben. Sie lassen ihn reden und nach Gutdünken handeln, denn er versteht sich aufs Geschäft. An sein etwas befehlerisches Wesen gewöhnt, lachen sie darüber nur, wenn er einmal »über den Steg hinausgreift«, was für einen Streichinstrumentenspieler, wie Pinchinat respektlos bemerkte, sehr bedauerlich ist. Die Zusammenstellung der Programme, die Leitung der Reisen, die schriftlichen Verhandlungen mit den Impresarios … alle diese vielfachen Arbeiten lagen auf seinen Schultern und gaben ihm vollauf Gelegenheit, sein aggressives Temperament zu betätigen. Nur um die Einnahmen bekümmerte er sich nicht, ebensowenig wie um die Verwaltung der gemeinschaftlichen Kasse, die der Obhut des zweiten Violinisten und in erster Linie haftbaren, des sorgsamen und peinlich ordentlichen Frascolin anvertraut war.
Das Quartett wäre nun vorgestellt, als stände es am Rande eines Podiums vor unseren Augen. Der Leser kennt die einzelnen, die zwar nicht sehr originelle, doch mindestens scharf voneinander getrennte Typen bilden, und er gestatte freundlichst, diese Erzählung sich abspielen zu lassen, wobei er sehen wird, welche Rolle darin zu spielen die vier Pariser Kinder berufen sind, sie, die nach so reichlich in den Staaten des amerikanischen Bundes geerntetem Beifall jetzt auf dem Wege waren nach … Doch greifen wir nicht voraus, »überstürzen wir den Takt nicht!«, würde Seine Hoheit rufen, und fassen wir uns in Geduld.
Die vier Pariser befanden sich also gegen acht Uhr des Abends auf einer verlassenen Straße – wenn man dem Weg so schmeicheln darf – Nieder-Kaliforniens neben den Trümmern ihres »umgestürzten Wagens« … Musik von Boïeldieu, hat Pinchinat gesagt. Wenn Frascolin, Yvernes und er das kleine Abenteuer mit philosophischem Gleichmut hingenommen hatten und sich sogar mit einigen Scherzreden darüber wegzuhelfen suchten, so liegt es doch auf der Hand, dass wenigstens der Anführer des Quartetts Ursache genug hatte, in hellen »Zorn« zu geraten. Wir wissen ja, der Violoncellist hat eine leicht kochende Galle und, wie man zu sagen pflegt, Blut unter den Nägeln. Yvernes behauptet von ihm auch steif und fest, dass er aus der Familie eines Ajax oder Achilles abstamme, die auch nicht gerade sanftmütiger Natur waren.
Um nichts zu vergessen, fügen wir jedoch hinzu, dass, wenn Sébastien Zorn cholerisch, Yvernes phlegmatisch, Frascolin friedlich und Pinchinat von übersprudelnder Lustigkeit war, doch alle gute Kameradschaft hielten und füreinander eine wahrhaft brüderliche Freundschaft hegten. Sie fühlten sich vereinigt durch ein Band, das keine Meinungsverschiedenheit, keine Eigenliebe zu zerreißen vermochte, durch eine Übereinstimmung der Neigungen und des Geschmacks, die ein und derselben Quelle entstammte. Ihre Herzen bewahrten wie gute Instrumente stets eine ungestörte Harmonie.
Während Sébastien Zorn darauf loswettert, indem er seinen Violoncellkasten betastet, um sich zu versichern, dass er noch heil und ganz ist, tritt Frascolin an den Wagenführer heran.
»Nun, lieber Freund«, fragt er, »was meint Ihr denn, was wir jetzt beginnen?«
»Beginnen?« antwortet der Mann. »Wenn man weder Pferde noch Wagen mehr hat … da wartet man eben …«
»Warten, bis zufällig einer kommt!« ruft Pinchinat. »Und wenn nun keiner käme …«
»Da sucht man nach einem«, bemerkt Frascolin, den sein praktischer Sinn niemals verlässt.
»Doch wo?« poltert Zorn hervor, der wütend auf der Straße hin- und herläuft.
»Wo?… Ei da, wo sich einer befindet«, erwidert der Rosselenker.
»Sapperment, Sie Kutschenbockbewohner«, fährt der Violoncellist mit einer Stimme auf, die schon allmählich in die höchsten Register übergeht, »soll das etwa eine Antwort sein? So ein ungeschickter Mensch, der uns umwirft, seinen Wagen zertrümmert und die Pferde zu Krüppeln macht, und der begnügt sich zu erklären: ›Ziehen Sie sich aus der Klemme, so gut und so schlecht es eben angeht!‹«
Von seiner angeborenen Zungenfertigkeit fortgerissen, verirrt sich Sébastien Zorn in eine endlose Reihe mindestens nutzloser Verwünschungen, bis Frascolin ihn unterbricht mit den Worten:
»Na, überlass das nur mir, alter Freund!«
Dann wendet er sich nochmals an den Wagenführer.
»Wo befinden wir uns denn jetzt, guter Mann?«
»Fünf (amerikanische) Meilen von Freschal.«
»Ist das etwa Eisenbahnstation?«
»Nein … ein Dorf in der Nähe der Küste.«
»Würden wir dort einen Wagen finden?«
»Einen Wagen wohl nicht, vielleicht aber einen Karren …«
»Einen Ochsenkarren, wie zurzeit der Merowinger!« ruft Pinchinat.
»Das kann uns auch gleichgültig sein«, meint Frascolin.
»Frage lieber«, nimmt Sébastien Zorn wieder das Wort, »ob sich in dem Neste, dem Freschal, ein Gasthaus vorfindet.«
»Jawohl, das gibt’s; dort hätten wir einen kurzen Halt gemacht.«
»Und um nach diesem Dorfe zu gelangen, brauchen wir nur der Landstraße zu folgen?«
»Ganz gradeaus.«
»Dann also marsch!« befiehlt der Violoncellist.
»Es wäre doch grausam, den wackeren Mann hier in seiner Not liegen zu lassen«, bemerkt Pinchinat. »He, guter Freund, wenn wir Sie nun unterstützen, könnten Sie dann nicht …«
»Ganz unmöglich!« antwortet der Kutscher. »Übrigens ziehe ich es vor, hier, bei meinem Wagen zu bleiben. Wenn’s erst wieder Tag wird, werd’ ich schon sehen, wie ich fortkomme.«
»Wenn wir in Freschal sind«, bemerkt Frascolin, »könnten wir Ihnen ja Hilfe schicken.«
»Ja,