Gott singt. Ulrike GadenneЧитать онлайн книгу.
kam die Aufforderung zur Gruppenmeditation im Sommer 1998 für alle überraschend. Für Balasai Baba ist Meditation schlicht Konzentration auf Gott. In diesem Falle sollte eine permanente Devotee eine halbe Stunde das Mantra OM SRI BALASAIYINE NAMAH chanten, um den hin- und herflackernden Verstand zu beruhigen und ihm einen Anker zu bieten. Sonst überlässt Baba es jedem selbst, ob er meditiert und welche Praxis er bevorzugt.
Für mich kam diese Übung wie gerufen, hatte ich doch bisher keine Erfahrung in systematischer Meditation. Mir schien, dass in Babas Nähe sowohl das ruhige Sitzen als auch die Konzentration auf das Mantra leichter waren, und die Zeit, bis die Glocke das Ende ankündigte, ging schnell vorbei. Die rezitierende Devotee war geübt im Bhajansingen, und nach einigen Tagen baute sich über der Melodie des Mantras für mich deutlich hörbar eine Melodie von mitschwingenden Obertönen auf, die bei mir sofort die Assoziation von den Flötentönen Krishnas hervorrief. Wie sie mir sagte, merkte sie beim Sprechen selbst nichts davon.
An einem der nächsten Tage hatte ich die Ausrichtung auf den automatischen Gedankenstrom soweit ausgeschaltet, dass ein ungewöhnliches inneres Bild erscheinen konnte. Weil es so plastisch und überirdisch schön war, erinnere ich mich noch heute an alle Einzelheiten. Der Kopf eines jungen weißen Elefanten erschien wie in Großaufnahme von der Seite, nur der obere Teil des Rüssels war sichtbar und ein rundes lebendiges Kinderauge mit dichten, langen Wimpern schaute mich an. Erst später sah ich, dass in Indien der Elefantengott Ganesha mit solchen Kinderaugen dargestellt wird.
Beim Frühstück saß ich noch versunken in das zauberhafte Bild und wachte erst auf, als eine Devotee, mit der ich öfter Bhajans übte, sagte: »Heute hatte ich in der Meditation ein wunderschönes Bild – das Auge eines weißen Elefanten!« Der Beschreibung nach war es genau das Bild, das mir immer noch vor Augen stand, und jetzt bestätigten auch andere das gleiche Erlebnis. Wie konnte das sein?
Ich wusste, dass unsere Gedanken nicht von unserem Gehirn produziert werden, sondern dass unser Gehirn – einfach gesagt – Wellen aus dem Umkreis aufnimmt, filtert, in Gedankenformen bringt und als Sprache bewusst werden lässt. Je nach Lebensabsichten und vorgeburtlichen Tendenzen arbeitet dieser »Empfangsapparat« mehr oder weniger komplex und selektiv. Bei der Meditation werden die Antennen dieser Empfangsstation so eingestellt, dass der zwanghaft plappernde Strom des vordergründigen gewohnheitsmäßigen Alltagsdenkens ausgeschaltet wird. In diese Gedankenleere können dann Botschaften von tieferen geistigen Ebenen, zum Beispiel als Klang oder Bild, fließen. An diesem Beispiel erlebte ich erstmals, dass Balasai Baba als höchstes kosmisches Bewusstsein (das ist die Bedeutung von Shiva) jederzeit in unsere Gedanken eingreifen kann.
Bad im Tungabhadra
An einem der nächsten Tage fahren wir nach Kurnool. Wie nach einem Theaterspiel werden die Bühnenverkleidung, Babas Thron, die Teppiche usw. abgebaut und verstaut. Die Regenzeit hat noch nicht voll eingesetzt, das Wasser im Tungabhadra steht und stinkt. Trotzdem genieße ich den Platz auf der Mauer am Fluss, die weißen Reiher, die kreischenden Papageien und den schillernden Eisvogel, der sich wie ein blauglitzerndes Juwel auf die Wasserfläche stürzt, blitzschnell mit seinem kräftigen Schnabel einen Fisch schnappt und auf einen Zweig in der Nähe fliegt, wo er die zappelnde Beute mehrfach auf das Holz schlägt, bevor er sie herunterschlingt.
Es sind über dreißig Besucher da, auch eine Gruppe Japaner, und Baba nimmt sich so viel Zeit für Seine Besucher, dass kaum Zeit bleibt, um Wäsche zu waschen, das Zimmer zu putzen oder Tagebuch zu schreiben.
An einem Abend nach dem Abendessen halte ich mich noch im Zimmer auf, ehe ich in den Hof gehe, um auf Baba zu warten, der erfahrungsgemäß um diese Zeit kommt. Plötzlich höre ich in mir eine Stimme: »Putz dir die Zähne, nimm Vitamin B!« Als ich rausgehen will: »Geh aufs Klo!« Ich bin überrascht, mache aber alles und gehe dann runter. Als Baba kommt, gehen wir sechs Runden mit Ihm um den Tempel. Gegen Seine sonstige Gewohnheit führt Baba die Gruppe an, Er geht schnell, ohne stehen zu bleiben oder zu sprechen.
Bei Seinem Tempo hat die Gruppe Mühe, Ihm zu folgen. Das ist ungewöhnlich. Manchmal schlendert Er um den Tempel und einzelne Devotees dürfen Ihn begleiten, aber dabei wird viel geredet und gelacht, oft wird angehalten und es kommt vor, dass Baba bei solchen Gelegenheiten auch etwas materialisiert. Diesmal ist es eine richtige spirituelle Übung: Pradakshina, das Umrunden eines Heiligtums im Uhrzeigersinn, wobei man sich auf Gott konzentriert. Ohne ein Wort der Erklärung führt Baba die Gruppe anschließend in den Tempel, wo den ganzen Abend lustig und entspannt deutsche und japanische Lieder gesungen werden.
Am nächsten Morgen höre ich die »Stimme«, die ich fast vergessen hatte, wieder: »Räum deinen Koffer auf!« Ich ordne die Kleidungsstücke, die ich speziell im Tempel trage, die Reisekleidung und die alltägliche Kleidung und horche auf die nächste Anweisung. Aber alles bleibt still, bis auf das übliche eigene Gedankengerümpel. Nachdem ich das Zimmer geputzt habe, setze ich mich noch zu den Federballspielern im Hof, das ist zurzeit Babas nachmittägliche Freizeitbeschäftigung. Nach dem Mittagessen schaue ich vom Dach auf den Shirdi Sai Baba-Tempel, den Tungabhadra und das gegenüberliegende Ufer.
Hinter dem Tempel führen Treppenstufen in den Fluss, damit die Gläubigen ihre Reinigungsrituale vollziehen können. Da es hier weder Kläranlagen noch Müllabfuhr gibt, muss der Fluss allen Unrat aufnehmen, und da jetzt keine Strömung den Abfall mitnimmt, dümpeln Flaschen, Plastik, Exkremente, tote Tiere, Haushaltsmüll der letzten Wochen am Ufer. Fischer in dicken Gummireifen versuchen, die noch überlebenden Fische mit Netzen, die sie durchs Wasser ziehen, einzufangen. Im Augenblick ist es windstill und ein bestialischer Geruch breitet sich aus.
Plötzlich ist die Stimme zum dritten Mal da: »Bade im Tungabhadra!« Den vorhergehenden Anweisungen konnte ich spontan folgen, aber diesmal löst die Vorstellung unweigerlich Ekel aus und ich weigere mich, die Stimme für »echt« zu halten. Auf der anderen Seite beobachte ich keine Anzeichen für progressiven Wahnsinn. »Mit dem Kopf unterm Wasser!«, fährt die Stimme weiter fort. »Das ist absoluter Quatsch!«, ächze ich innerlich und checke nochmal meinen Geisteszustand, bei dem ich aber keine Ausfälle oder Anomalitäten feststellen kann. Aber wer kann das schon, wenn er verrückt wird? Wie kam ich überhaupt dazu, der Stimme so unhinterfragt zu folgen? Jeder kennt bei sich, dass sogar Vorstellungen und Gedanken, mögen sie noch so flüchtig oder abstrakt sein, eine Art Klangspur haben, jeder kann sich den Klang der Stimmen bekannter Personen in die Vorstellung rufen und jeder weiß, wie die eigene Stimme klingt, wenn man mit sich selbst spricht.
Wenn ich innerlich mit mir selbst spreche, ist meine Stimme gewöhnlich sachlich, oft jedoch ungeduldig, kritisierend, antreibend, vorwurfsvoll, schuldbewusst. Die Stimmen anderer passen sich der jeweiligen inneren Gefühlssituation an, können freundlich klingen, sachlich-informativ, zärtlich, unterstützend, aufmunternd, fordernd, uninteressiert usw. Diese »Stimme« passte in keine dieser Kategorien. Sie war jenseits von dem, was ich bisher von Menschen gehört hatte. Es war gewiss nicht meine eigene Stimme, da war ich mir sicher.
Die »Stimme« klang warm, leise, unaufdringlich, gefärbt mit Humor und Freundlichkeit. Die ersten beiden Male waren die Anweisungen trivial und alltäglich, ich hätte sie mir selber sagen können, aber die Besonderheit ihres Klanges unterschied sie von allen, die ich bisher gehört hatte. Sie rief unmittelbar ein solches Vertrauen in mir wach, dass ich ihr ohne nachzudenken folgte. Bei aller Klarheit der Anweisungen fehlten persönlich gefärbte Emotionen und Erwartungen.
Ich blickte skeptisch in das von Algen grün gefärbte Wasser, das träge gegen die Stufen schwappte. »Dann kommt eine Schlange, die beißt dich!«, machte sich die Stimme gutmütig über mich lustig. Öfter hatte ich beobachtet, wie Wasserschlangen vom Ufer ins Wasser glitten, und mir gruselte bei der Vorstellung einer Begegnung. Jetzt erst bemerkte ich, dass ein weißer Reiher schon einige Zeit in großen Kreisen um mich herum flog, immer wieder. »Wasserschlangen sind scheu, sie verschwinden, wenn ich ins Wasser gehe«, beruhigte ich mich, aber als Meister des Aufschiebens antwortete ich: »Jetzt nicht, später!« »Es wäre besser, wenn du gleich gehst!«, sagte die Stimme freundlich. »Nein, später«, versuchte ich zu handeln,