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Ängste von Kindern und Jugendlichen. Wilhelm RotthausЧитать онлайн книгу.

Ängste von Kindern und Jugendlichen - Wilhelm Rotthaus


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empfiehlt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Therapeuten werden nicht aus der Verantwortung entlassen, auf die Besonderheiten des Einzelfalls zu achten und angemessene Therapiemethoden auszuwählen. Hier ist nichts besonders hervorzuheben; denn alles passt – nur eben auf unterschiedliche Patienten.

      Ich hoffe, dass dieses Buch eine breite Leserschaft erreicht; denn die hier differenziert unter Berücksichtigung allgemeinpsychologischer Erkenntnisse herausgearbeitete systemische Perspektive kann – wie im ersten Absatz dieses Vorwortes gefordert – dazu beitragen, tatsächlich noch mehr Betroffenen noch besser zu helfen.

       Prof. Dr. Michael Borg-Laufs Mönchengladbach, im Januar 2015

       Zum Geleit

      Die Systemische Therapie zeichnet sich durch ein sehr geringes Maß an Vorannahmen und Vorfestlegungen aus. Der Einfluss des Konstruktivismus hat dazu geführt, Ideen von Wahrheit und Objektivität infrage zu stellen. Und linearere Kausalitäten wurden als unangemessene Modelle zur Erklärung menschlichen Erlebens und Verhaltens erkannt, da sie bestenfalls als ein Teilaspekt der Komplexität des Geschehens, mit denen Therapeutinnen1 es zu tun haben, anzusehen sind. Die Systemische Therapie ist deshalb geprägt durch eine hohe Offenheit und große Freiräume, die zugunsten der Patienten und ihrer Angehörigen genutzt werden können.

      Demgegenüber sind Diagnosen, die ein wesentliches Kennzeichen des Gesundheitswesens sind, typisierende Beschreibungen menschlichen Verhaltens, die Eingrenzungen und Abgrenzungen vollziehen. Zwar eröffnen sie neben anderen Vorteilen die Chance, therapeutisches Erfahrungswissen zu sammeln und zu sichten und es allen therapeutisch Arbeitenden zur Verfügung zu stellen. Dies ist zweifellos ein wichtiger Beitrag zur Qualitätssicherung. Zugleich aber bergen Diagnosen die Gefahr, den Blick sowohl der Patienten und ihrer Angehörigen als auch den der professionell Tätigen einzuengen, Festlegungen nicht mehr zu hinterfragen, eine Problemfokussierung vorzunehmen und unangemessene Verallgemeinerungen zu vollziehen.

      Das hier vorgelegte Buch zur Behandlung der Angststörungen von Kindern und Jugendlichen soll aufzeigen, wie systemische Therapeutinnen mit diesen konträren Positionen umgehen. Es soll deutlich machen, welche störungsspezifischen Ideen systemische Therapeutinnen für die Behandlung dieser Gruppe von Kindern und Jugendlichen entwickelt haben und wie sie trotz des störungsspezifischen Blickes die systemische Offenheit und die systemische Freiheit von einengenden Vorannahmen bewahren. Den Kolleginnen, die ihre »Heimat« in anderen Verfahren haben, sollen mit diesem Buch systemische Vorgehensweisen zur Behandlung von Angststörungen von Kindern und Jugendlichen möglichst anschaulich nahegebracht werden. Systemische Therapeutinnen sollen angeregt werden, eine störungsorientierte Perspektive zu nutzen, ohne sich in ihrer Freiheit des Denkens und Handelns einengen zu lassen. Wie weit das gelungen ist, mögen die Leser entscheiden.

       Wilhelm Rotthaus Bergheim, im Januar 2015

      1 In diesem Buch wird zwischen der weiblichen und der männlichen Form gewechselt. Personen des jeweils anderen Geschlechts mögen sich gleichermaßen angesprochen fühlen.

       1Einleitung

      Angst ist das vielleicht wichtigste Gefühl, das wir Menschen haben. Angst ergreift den ganzen Menschen: sein körperliches System, sein psychisches System und sein soziales System. Sie schützt uns vor Gefahr und ist gleichzeitig ein Signal dafür, dass im Laufe der Entwicklung anstehende Entwicklungsschritte bewältigt werden müssen. Ängste und die dadurch ausgelösten Stressreaktionen waren in der Menschheitsgeschichte immer wieder Anstoß zu notwendigen Anpassungsreaktionen. Auch in der individuellen Entwicklung dienen Ängste der Aktivierung vorhandener und der Ausbildung neuer Bewältigungsstrategien. Angst, die therapeutische Unterstützung notwendig macht, unterscheidet sich von »normaler« Angst durch ihre Intensität, ihre Dauer und dadurch, dass sie bei Betrachtung des situativen Kontextes als unangemessen erscheint. Das Kind oder der Jugendliche sieht keine Möglichkeit, die Angst erträglich zu machen oder zu bewältigen, und sowohl seine Lebensqualität als auch seine Entwicklungschancen werden erheblich beeinträchtigt.

      Angststörungen gehören im Kindes- und Jugendalter zu den häufigsten psychischen Störungen. Fast jedes zehnte Kind leidet an einer Angststörung, und es ist heute erwiesen, dass sich Angststörungen nicht »von alleine auswachsen«. Vielmehr sind sie über den Verlauf relativ stabil und stellen einen bedeutenden Risikofaktor für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen sowohl im Jugend- als auch im Erwachsenenalter dar. Angststörungen sind aber nicht so laut und unmittelbar auffallend wie andere Störungen des Kindes- und Jugendalters, die mit expansiven Verhaltensweisen einhergehen. Deshalb erhalten viele Kinder und Jugendliche – manche Autoren formulieren: die wenigsten Kinder und Jugendlichen –, die die Symptome einer Angststörung zeigen, eine angemessene Behandlung.

      Obwohl ich glaube, die systemische Grundhaltung nach 35 Jahren systemischer Praxis recht gut internalisiert zu haben und auch über eine recht gute Vielfalt systemischer Methoden zu verfügen, gehörte die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Angst- (und Zwangs-)störungen über lange Zeit nicht gerade zu meinen Lieblingsaufgaben. Das hat sich völlig geändert, nachdem ich an einem Seminar zu diesem Thema teilgenommen hatte und dazu angeregt war, mich mit Angst in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen näher auseinanderzusetzen und in die Literatur zu Angststörungen – vor allem, aber keineswegs nur in systemische Publikationen – einzuarbeiten. Seitdem begegne ich Kindern, Jugendlichen und ihren Angehörigen, die wegen Angst in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen zu mir zur Therapie kommen, mit großer Freude und ebenso großer Zuversicht. Es würde mich freuen, wenn Kolleginnen und Kollegen durch dieses Buch in ähnlicher Weise angeregt werden könnten.

       2Klinisches Erscheinungsbild

       2.1Vom Phänomen zur Diagnose (und zurück)

       2.1.1 Ängste in der Kindheit

      Die Kindheit ist eine Zeit der lebhaften Entwicklung. In ihrem Verlauf muss das Kind Vertrautes und Sicherheiten immer wieder aufgeben, um Neues kennenzulernen und zu bewältigen. Deshalb ist Angst in der Kindheit häufig und geradezu ein typisches Merkmal dieser Lebensphase. Im Verlauf seiner kognitiven Entwicklung lernt das Kind, potenzielle Gefahren in seinem Umfeld, das es ständig erweitert, wahrzunehmen und auf ihre tatsächliche Gefährlichkeit zu überprüfen. Dafür bedarf es einer geistigen Reife und eines hinreichenden Erinnerungsvermögens, die es möglich machen, Bekanntes von Unbekanntem zu unterscheiden. Dadurch erklärt sich, dass die Angstobjekte im Verlauf der Kindheit wechseln und somit schwerpunktmäßig einem bestimmten Alter bzw. Entwicklungsstand zugeordnet werden können (Gullone 2000).

      Zumindest während der Kindheit ist die Angst vor dem Verlust der Geborgenheit das zentrale, sozusagen »durchlaufende« Thema. Im Alter bis zu sechs Monaten reagieren Kinder auf laute Geräusche häufig mit Angst. Im Alter zwischen sieben und zwölf Monaten zeigen sie Angst vor dem Unbekannten, vor fremden Menschen, fremden Objekten und vor der Höhe. Sie fürchten jetzt die Trennung von den Bezugspersonen, haben Angst vor Verletzungen. Im Alter von zwei bis vier Jahren treten unterschiedliche Ängste auf: Angst vor Tieren, Angst vor Dunkelheit, Angst vor Fantasiegestalten und potenziellen Einbrechern. Sechs- bis achtjährige Kinder fürchten sich vor übernatürlichen Dingen, vor Donner und Blitz, vor dem Alleinsein und zeigen Ängste, die durch Fernsehen und Filme ausgelöst wurden. Im Alter von neun bis zwölf Jahren treten die Angst vor Prüfungen in der Schule in den Vordergrund, wesentlich aber auch soziale Ängste. Letztere sind dann vor allem als Angst vor der Zurückweisung durch Gleichaltrige bei den 12- bis 18-Jährigen häufig. Im höheren Jugendalter sind im Übrigen globale Ängste, etwa vor politischen oder ökonomischen Krisen und Gefahren, anzutreffen.

       2.1.2 Die Angst, dein sorgender Freund

      Die Fähigkeit, Angst zu produzieren, ist eine wichtige Leistung


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