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Radetzkymarsch. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Radetzkymarsch - Йозеф Рот


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so?»

      Ohne Absicht ging er hie und da auf den Friedhof, zum Grab seiner Frau, betrachtete den grauen Sockel und das kreideweiße Kreuz, das Datum der Geburt und des Sterbetages, berechnete, daß sie zu früh gestorben war, und gestand, daß er sich ihrer nicht genau erinnern konnte. Ihre Hände zum Beispiel hatte er vergessen. «China-Eisenwein» kam ihm in den Sinn, eine Arznei, die sie lange Jahre hindurch genommen hatte. Ihr Gesicht? Er konnte es noch mit geschlossenen Augen heraufbeschwören, bald verschwand es und verschwamm in rötlichem, kreisrundem Dämmer. Er wurde milde in Haus und Hof, streichelte manchmal ein Pferd, lächelte den Kühen zu, trank häufiger als bisher einen Schnaps und schrieb eines Tages seinem Sohn einen kurzen Brief außerhalb der üblichen Termine. Man begann, ihn mit einem Lächeln zu grüßen, er nickte gefällig. Der Sommer kam, die Ferien brachten den Sohn und den Freund, mit beiden fuhr der Alte in die Stadt, trat in ein Wirtshaus, trank ein paar Schluck Sliwowitz und bestellte den Jungen reichliches Essen.

      Der Sohn wurde Jurist, kam häufiger heim, sah sich auf dem Gut um, verspürte eines Tages Lust, es zu verwalten und von der juristischen Karriere zu lassen. Er gestand es dem Vater. Der Major sagte: «Es ist zu spät! Du wirst in deinem Leben kein Bauer und kein Wirt! Du wirst ein tüchtiger Beamter, nichts mehr!» Es war eine beschlossene Sache. Der Sohn wurde politischer Beamter, Bezirkskommissär in Schlesien. War der Name Trotta auch aus den autorisierten Schulbüchern verschwunden, so doch nicht aus den geheimen Akten der hohen politischen Behörden, und die fünftausend Gulden, von der Huld des Kaisers gespendet, sicherten dem Beamten Trotta eine ständige wohlwollende Beobachtung und Förderung unbekannter höherer Stellen. Er avancierte schnell. Zwei Jahre vor seiner Ernennung zum Bezirkshauptmann starb der Major.

      Er hinterließ ein überraschendes Testament. Da er sicher sei des Umstandes — so schrieb er —, daß sein Sohn kein guter Landwirt wäre, und da er hoffe, daß die Trottas, dem Kaiser dankbar für seine währende Huld, im Staatsdienst zu Rang und Würden kommen und glücklicher als er, der Verfasser des Testaments, im Leben werden könnten, habe er sich entschlossen, im Andenken an seinen seligen Vater, das Gut, das ihm der Herr Schwiegervater vor Jahren verschrieben, mit allem, was es an beweglichem wie unbeweglichem Vermögen enthielt, dem Militärinvalidenfonds zu vermachen, wohingegen die Nutznießer des Testaments keine andere Verpflichtung hätten als die, den Erblasser in möglichster Bescheidenheit auf jenem Friedhof zu bestatten, auf dem sein Vater beigesetzt worden sei, ginge es leicht, dann in der Nähe des Verstorbenen. Er, der Erblasser, bäte, von jedem Pomp abzusehen. Das vorhandene Bargeld, fünfzehntausend Florin samt Zinsen, angelegt im Bankhaus Ephrussi zu Wien, sowie restliches, im Hause befindliches Geld, Silber und Kupfer, ebenso Ring, Uhr und Kette der seligen Mutter gehören dem einzigen Sohn des Erblassers, Baron Franz von Trotta und Sipolje.

      Eine Wiener Militärkapelle, eine Kompagnie Infanterie, ein Vertreter der Ritter des Maria-Theresienordens, Vertreter des südungarischen Regiments, dessen bescheidener Held der Major gewesen war, alle marschfähigen Militärinvaliden, zwei Beamte der Hof- und Kabinettskanzlei, ein Offizier des Militärkabinetts und ein Unteroffizier mit dem Maria-Theresienorden auf schwarz behangenem Kissen: sie bildeten das offizielle Leichenbegängnis. Franz, der Sohn, ging schwarz, schmal und allein. Die Kapelle spielte den Marsch, den sie beim Begräbnis des Großvaters gespielt hatte. Die Salven, die diesmal abgefeuert wurden, waren stärker und verhallten mit längerem Echo.

      Der Sohn weinte nicht. Niemand weinte um den Toten. Alles blieb trokken und feierlich. Niemand sprach am Grabe. In der Nähe des Gendarmeriewachtmeisters lag Major Freiherr von Trotta und Sipolje, der Ritter der Wahrheit. Man setzte ihm einen einfachen militärischen Grabstein, auf dem in schmalen schwarzen Buchstaben neben Namen, Rang und Regiment der stolze Beinamen eingegraben war: «Der Held von Solferino».

      Wenig mehr blieb also von dem Toten zurück als dieser Stein, ein verschollener Ruhm und das Porträt. Also geht ein Bauer im Frühling über den Acker — — und später, im Sommer, ist die Spur seiner Schritte überweht vom Segen des Weizens, den er gesät hat. Der Kaiserlich-Königliche Oberkommissär Trotta von Sipolje erhielt noch in derselben Woche ein Beileidschreiben Seiner Majestät, in dem von den immerdar «unvergessenen Diensten» des selig Verstorbenen zweimal die Rede war.

      2

      Es gab im ganzen Machtbereich der Division keine schönere Militärkapelle als die des Infanterieregiments Nr. X in der kleinen Bezirksstadt W. in Mähren. Der Kapellmeister gehörte noch zu jenen österreichischen Militärmusikern, die dank einem genauen Gedächtnis und einem immer wachen Bedürfnis nach neuen Variationen alter Melodien jeden Monat einen Marsch zu komponieren vermochten. Alle Märsche glichen einander wie Soldaten. Die meisten begannen mit einem Trommelwirbel, enthielten den marsch-rhythmisch beschleunigten Zapfenstreich, ein schmetterndes Lächeln der holden Tschinellen und endeten mit einem grollenden Donner der großen Pauke, dem fröhlichen und kurzen Gewitter der Militärmusik. Was den Kapellmeister Nechwal vor seinen Kollegen auszeichnete, war nicht so sehr die außerordentlich fruchtbare Zähigkeit im Komponieren, wie die schneidige und heitere Strenge, mit der er Musik exerzierte. Die lässige Gewohnheit anderer Musikkapellmeister, den ersten Marsch vom Musikfeldwebel dirigieren zu lassen und erst beim zweiten Punkt des Programms den Taktstock zu heben, hielt Nechwal für ein deutliches Anzeichen des Untergangs der kaiserlichen und königlichen Monarchie. Sobald sich die Kapelle im vorgeschriebenen Rund aufgestellt und die zierlichen Füßchen der windigen Notenpulte in die schwarzen Erdritzen zwischen den großen Pflastersteinen des Platzes eingegraben hatte, stand der Kapellmeister auch schon in der Mitte seiner Musikanten, den schwarzen Taktstock aus Ebenholz mit silbernem Knauf diskret gehoben. Alle Platzkonzerte — sie fanden unter dem Balkon des Herrn Bezirkshauptmanns statt — begannen mit dem Radetzkymarsch. Obwohl er den Mitgliedern der Kapelle so geläufig war, daß sie ihn mitten in der Nacht und im Schlaf hätten spielen können, ohne dirigiert zu werden, hielt es der Kapellmeister dennoch für notwendig, jede Note vom Blatt zu lesen. Und, als probte er den Radetzkymarsch zum ersten Mal mit seinen Musikanten, hob er jeden Sonntag in militärischer und musikalischer Gewissenhaftigkeit den Kopf, den Stab und den Blick und richtete alle drei gleichzeitig gegen die seiner Befehle jeweils bedürftig scheinenden Segmente des Kreises, in dessen Mitte er stand. Die herben Trommeln wirbelten, die süßen Flöten pfiffen und die holden Tschinellen schmetterten. Auf den Gesichtern aller Zuhörer ging ein gefälliges und versonnenes Lächeln auf, und in ihren Beinen prickelte das Blut. Während sie noch standen, glaubten sie schon zu marschieren. Die jüngeren Mädchen hielten den Atem an und öffneten die Lippen. Die reiferen Männer ließen die Köpfe hängen und gedachten ihrer Manöver. Die ältlichen Frauen saßen im benachbarten Park, und ihre kleinen, grauen Köpfchen zitterten. Und es war Sommer.

      Ja, es war Sommer. Die alten Kastanien gegenüber dem Haus des Bezirkshauptmanns bewegten nur am Morgen und am Abend ihre dunkelgrünen, reich und breit belaubten Kronen. Tagsüber verharrten sie reglos, atmeten einen herben Atem aus und schickten ihre weiten kühlen Schatten bis in die Mitte der Straße. Der Himmel war ständig blau. Unaufhörlich trillerten die unsichtbaren Lerchen über der stillen Stadt. Manchmal rollte über ihr holpriges Kopfsteinpflaster ein Fiaker, in dem ein Fremder saß, vom Bahnhof zum Hotel. Manchmal trappelten die Hufe des Zweigespanns, das Herrn von Winternigg spazieren führte, durch die breite Straße, von Norden nach Süden, vom Schloß des Gutsbesitzers zu seinem immensen Jagdrevier. Klein, alt und kümmerlich, ein gelbes Greislein in einer großen gelben Decke und mit einem winzigen verdorrten Gesicht, saß Herr von Winternigg in seiner Kalesche. Wie ein kümmerliches Stückchen Winter fuhr er durch den satten Sommer. Auf elastischen und lautlosen hohen Gummirädern, deren braunlackierte zarte Speichen die Sonne spiegelten, rollte er geradewegs aus dem Bett zu seinem ländlichen Reichtum. Die großen dunklen Wälder und die blonden grünen Förster harrten schon seiner. Die Bewohner der Stadt grüßten ihn. Er antwortete nicht. Unbewegt fuhr er durch ein Meer von Grüßen. Sein schwarzer Kutscher ragte steil in die Höhe, der Zylinder streifte fast die Kronen der Kastanien, die biegsame Peitsche streichelte die braunen Rücken der Rösser, und aus dem geschlossenen Munde des Kutschers kam in ganz bestimmten regelmäßigen Abständen ein knallendes Schnalzen, lauter als das HufgetrappeL und ähnlich einem melodischen Flintenschuß.

      Um diese Zeit begannen die Ferien. Der fünfzehnjährige Sohn des Bezirkshauptmanns Carl Joseph von Trotta, Schüler der Kavalleriekadettenschule in Mährisch-Weißkirchen,


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