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Radetzkymarsch. Йозеф РотЧитать онлайн книгу.

Radetzkymarsch - Йозеф Рот


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Abstand von oben, zwei Mannesfinger Abstand vom seitlichen Rand die Anrede: «Lieber Vater!» Sehr selten erhielt er eine Antwort.

      Wohl dachte der Baron manchmal daran, seinen Vater zu besuchen. Längst hatte er Heimweh nach dem Wachtmeister, der kärglichen ärarischen Armut, dem faserigen Knaster und dem selbstgebrannten Rakija. Aber der Sohn scheute die Kosten, nicht anders als es sein Vater, sein Großvater, sein Urgroßvater getan hätten. Jetzt war er dem Invaliden im Laxenburger Schloß wieder näher als vor Jahren, da er im frischen Glanz seines neuen Adels in der blaugetünchten Küche der kleinen Dienstwohnung gesessen und Rakija getrunken hatte. Mit der Frau sprach er nie von seiner Abkunft. Er fühlte, daß die Tochter des älteren Staatsbeamtengeschlechts ein verlegener Hochmut von einem slowenischen Wachtmeister trennen würde. Also lud er den Vater nicht ein. Einmal, es war ein heller Tag im März, der Baron stampfte über die harten Schollen zum Gutsverwalter, brachte ihm ein Knecht einen Brief von der Schloßverwaltung Laxenburg. Der Invalide war tot, schmerzlos entschlafen im Alter von einundachtzig Jahren. Der Baron Trotta sagte nur: «Geh zur Frau Baronin, mein Koffer soll gepackt werden, ich fahr abends nach Wien!» Er ging weiter, ins Haus des Verwalters, erkundigte sich nach der Saat, sprach vom Wetter, gab Auftrag, drei neue Pflüge zu bestellen, den Tierarzt am Montag kommen zu lassen und die Hebamme heute noch zur schwangeren Magd, sagte beim Abschied: «Mein Vater ist gestorben. Ich werde drei Tage in Wien sein!» salutierte mit einem nachlässigen Finger und ging.

      Sein Koffer war gepackt, man spannte die Pferde vor den Wagen, es war eine Stunde Fahrt bis zur Station. Er aß hastig die Suppe und das Fleisch. Dann sagte er zur Frau: «Ich kann nicht weiter! Mein Vater war ein guter Mann. Du hast ihn nie gesehen!» War es ein Nachruf? War’s eine Klage? «Du kommst mit!» sagte er zu seinem erschrockenen Sohn. Die Frau erhob sich, um auch die Sachen des Knaben zu packen. Während sie einen Stock höher beschäftigt war, sagte Trotta zum Kleinen: «Jetzt wirst du deinen Großvater sehen.» Der Knabe zitterte und senkte die Augen.

      Der Wachtmeister war aufgebahrt, als sie ankamen. Er lag mit mächtigem, gesträubtem Schnurrbart, von acht meterlangen Kerzen und zwei invaliden Kameraden bewacht, in dunkelblauer Uniform, mit drei blinkenden Medaillen an der Brust, auf dem Katafalk in seinem Wohnzimmer. Eine Ursulinerin betete in der Ecke neben dem einzigen, verhangenen Fenster. Die Invaliden standen stramm, als Trotta eintrat. Er trug die Majorsuniform mit dem Maria-Theresienorden, kniete nieder, sein Sohn fiel zu Füßen des Töten ebenfalls auf die Knie, vor dem jungen Angesicht die mächtigen Stiefelsohlen der Leiche. Der Baron Trotta fühlte zum ersten Mal im Leben einen schmalen, scharfen Stich in der Gegend des Herzens. Seine kleinen Augen blieben trocken. Er murmelte ein, zwei, drei Vaterunser, aus frommer Verlegenheit, erhob sich, beugte sich über den Toten, küßte den mächtigen Schnurrbart, winkte den Invaliden und sagte zu seinem Sohn:

      «Komm!»

      «Hast du ihn gesehen!» fragte er draußen.

      «Ja», sagte der Knabe.

      «Er war nur ein Gendarmeriewachtmeister», sagte der Vater — «ich habe dem Kaiser in der Schlacht von Solferino das Leben gerettet — und dann haben wir die Baronie bekommen.» Der Junge sagte nichts.

      Man begrub den Invaliden auf dem kleinen Friedhof in Laxenburg, Militärabteilung. Sechs dunkelblaue Kameraden trugen den Sarg von der Kapelle zum Grabe. Der Major Trotta, in Tschako und Paradeuniform, hielt die ganze Zeit eine Hand auf der Schulter seines Sohnes. Der Knabe schluchzte. Die traurige Musik der Militärkapelle, der wehmütige und eintönige Singsang der Geistlichen, der immer wieder hörbar, wurde, wenn die Musik eine Pause machte, der sanft verschwebende Weihrauch bereiteten dem Jungen einen unbegreiflichen, würgenden Schmerz. Und die Gewehrschüsse, die ein Halbzug über dem Grab abfeuerte, erschütterten ihn mit ihrer lang nachhallenden Unerbittlichkeit. Man schoß soldatische Grüße der Seele des Toten nach, die geradewegs in den Himmel zog, für immer und ewig dieser Erde entschwunden. Vater und Sohn fuhren zurück. Unterwegs, die ganze Zeit, schwieg der Baron. Nur, als sie die Eisenbahn verließen Und hinter dem Garten der Station den Wagen, der sie erwartete, bestiegen, sagte der Major: «Vergiß ihn nicht, den Großvater!»

      Und der Baron ging wieder seinem gewohnten Tagewerk nach. Und die Jahre rollten dahin wie gleichmäßige, friedliche, stumme Räder. Der Wachtmeister war nicht die letzte Leiche, die der Baron zu bestatten hatte. Er begrub zuerst seinen Schwiegervater, ein paar Jahre später seine Frau, die schnell, bescheiden und ohne Abschied nach einer heftigen Lungenentzündung gestorben war. Er gab seinen Jungen in ein Pensionat nach Wien und verfügte, daß der Sohn niemals aktiver Soldat werden dürfe. Er blieb allein auf dem Gut, im weißen geräumigen Haus, durch das noch der Atem der Verstorbenen ging, sprach nur mit dem Förster, dem Verwalter, dem Knecht und dem Kutscher. Immer seltener brach die Wut aus ihm. Das Gesinde aber spürte ständig seine bäurische Faust, und sein zorngeladenes Schweigen lag wie ein hartes Joch über dem Nacken der Leute. Vor ihm wehte furchtsame Stille einher wie vor einem Gewitter. Zwei Mal im Monat empfing er gehorsame Briefe seines Kindes, ein Mal im Monat antwortete er in zwei kurzen Sätzen, auf kleinen, sparsamen Zetteln, den Respekträndern, die er von den erhaltenen Briefen abgetrennt hatte. Ein Mal im Jahr, am achtzehnten August, dem Geburtstag des Kaisers, fuhr er in Uniform in die nächste Garnisonstadt. Zwei Mal im Jahr kam der Sohn zu Besuch, in den Weihnachts- und in den Sommerferien. An jedem Weihnachtsabend erhielt der Junge drei harte silberne Gulden, die er durch Unterschrift quittieren mußte und niemals mitnehmen durfte. Die Gulden gelangten noch am selben Abend in eine Kassette, in die Lade des Alten. Neben den Gulden lagen die Schulzeugnisse. Sie kündeten von des Sohnes ordentlichem Fleiß und seiner mäßigen, stets hinreichenden Begabung. Niemals erhielt der Knabe ein Spielzeug, niemals ein Taschengeld, niemals ein Buch, abgesehen von den vorgeschriebenen Schulbüchern. Er schien nichts zu entbehren. Er besaß einen saubern, nüchternen und ehrlichen Verstand. Seine karge Phantasie gab ihm keinen anderen Wunsch ein als den, die Schuljahre, so schnell es ging, zu überstehen.

      Er war achtzehn Jahre alt, als ihm der Vater am Weihnachtsabend sagte: «Dies Jahr kriegst du keine drei Gulden mehr! Du darfst dir gegen Quittung neun aus der Kassette nehmen. Gib acht mit den Mädeln! Die meisten sind krank!» Und, nach einer Pause: «Ich habe beschlossen, daß du Jurist wirst. Bis dahin hast du noch zwei Jahre. Mit dem Militär hat es Zeit. Man kann’s aufschieben, bis du fertig bist.»

      Der Junge nahm die neun Gulden ebenso gehorsam entgegen wie den Wunsch des Vaters. Er besuchte die Mädchen selten, wählte sorgfältig unter ihnen und besaß noch sechs Gulden, als er in den Sommerferien wieder heimkam. Er bat den Vater um die Erlaubnis, einen Freund einzuladen. «Gut», sagte etwas erstaunt der Major. Der Freund kam mit wenig Gepäck, aber einem umfangreichen Malkasten, der dem Hausherrn nicht gefiel. «Er malt?» fragte der Alte. «Sehr schön!» sagte Franz, der Sohn. — «Er soll keine Kleckse im Haus machen! Er soll die Landschaft malen!» Der Gast malte zwar draußen, aber keineswegs die Landschaft. Er porträtierte den Baron Trotta aus dem Gedächtnis. Jeden Tag am Tisch lernte er die Züge seines Hausherrn auswendig. «Was fixiert Er mich?» fragte der Baron. Beide Jungen wurden rot und sahen aufs Tischtuch. Das Porträt kam dennoch zustande und wurde dem Alten beim Abschied im Rahmen überreicht. Er studierte es bedächtig und lächelnd. Er drehte es um, als suchte er auf der Rückseite noch weitere Einzelheiten, die auf der vorderen Fläche ausgelassen sein mochten, hielt es gegen das Fenster, dann weit vor die Augen, betrachtete sich im Spiegel, verglich sich mit dem Porträt und sagte schließlich: «Wo soll es hängen?» Es war seit vielen Jahren seine erste Freude. «Du kannst deinem Freund Geld borgen, wenn er was braucht», sagte er leise zu Franz. «Vertragt euch nur gut!» Das Porträt war und blieb das einzige, was man jemals vom alten Trotta angefertigt hatte. Es hing später im Wohnzimmer seines Sohnes und beschäftigte noch die Phantasie des Enkels . . .

      Inzwischen erhielt es den Major ein paar Wochen in seltener Laune. Er hängte es bald an diese, bald an jene Wand, betrachtete mit geschmeicheltem Wohlgefallen seine harte vorspringende Nase, seinen bartlosen, blassen und schmalen Mund, die mageren Backenknochen, die wie Hügel vor den kleinen, schwarzen Augen lagen, und die kurze, vielgefurchte Stirn, überdacht von dem scharf gestutzten, borstigen und stachelig vorgeneigten Haar. Er lernte erst jetzt sein Angesicht kennen, er hielt manchmal stumme Zwiesprache mit seinem Angesicht. Es weckte in ihm nie gekannte Gedanken, Erinnerungen, unfaßbare, rasch verschwimmende Schatten von Wehmut. Er hatte erst des Bildes bedurft, um sein frühes


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