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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob WassermannЧитать онлайн книгу.

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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selbst von Alexander von Humboldt hervorgehobene Eigenschaft des Columbus ist die richtige und scharfe Beobachtung von Phänomenen, die sich nach der ganzen Lage der Dinge vollkommen außerhalb seines Erfahrungskreises befanden. Er macht die gewissenhaftesten und genauesten Notizen über die Richtung der Meeresströmungen, die inselartigen Anschwemmungen des Seegrases im sogenannten Sargassomeer, die Veränderung der Lufttemperatur, den Flug der Vögel und hauptsächlich über eine Erscheinung, die ihn und seine Leute am meisten beunruhigen mußte: die Abweichung der Magnetnadel und die damit zusammenhängende Bewegung des Polarsterns, eine Entdeckung, die ohne Zweifel ihm als erstem zuzuschreiben ist.

      Es war am 13. September 1492, bei Anbruch der Nacht, als er bemerkte, daß die Magnetnadeln von Nordosten nach Nordwesten abwichen, wodurch die Steuerleute, wie er gesteht, in nicht geringe Furcht versetzt wurden. Er berichtigte die Nadeln nach Methoden, die er so verworren schildert, wie er sie vermutlich betrieben hat, und obwohl aus der ganzen Darstellung, wissenschaftlich genommen, ersichtlich ist, daß er durchaus keinen klaren Begriff von dem Vorgang hat, und obwohl auch er die Furcht der Piloten teilt, als ob sich damit die Grundgesetze der Natur veränderten und er in eine neue Welt mit neuen Gesetzen einträte, ahnt er doch zugleich, daß die Abweichung der Nadel ein Mittel werden kann, den Längengrad zu bezeichnen und die Ortsbestimmung zu treffen.

      Niemals vermochte er eine nautische Berechnung selbst zu machen, dazu reichten seine Kenntnisse nicht aus; wenn er es versuchte, war das Resultat kläglich, wie zahlreiche Spezialuntersuchungen bewiesen haben. Jedoch auf Forschung ging er nicht aus, an Forschung war ihm nicht gelegen, er konnte eine Wirkung feststellen, nicht aber eine Ursache ergründen, er konnte schauen, er konnte die Frage formulieren und mit ahnendem Sinn hinter das Geschaute dringen, das hat nichts mit der Exaktheit des Beobachters zu tun, überhaupt nichts mit Beobachtung, sondern es ist eine Kategorie für sich, und eine große noch dazu. Seine sämtlichen Berichte, ob sie nun das schreckenerregende Benehmen des Kompasses, das wechselnde Bild des Tangmeers, den Flug der Vögel oder was immer zum Gegenstand haben, bestätigen schlagend, daß er nichts weniger als ein Beobachter, daß er ein visionärer Mensch war und seine Aufgabe völlig aus der Vision heraus schöpfte und erfaßte. Träfe dies im allermindesten nicht zu, dann wäre er wirklich der Scharlatan und Abenteurer, als den ihn neidische und boshafte Zeitgenossen manchmal darzustellen beliebten.

      Ich bin mir aber wohl bewußt, daß ich mit alldem erst zaghaft die Grenzlinien seines Wesens und Charakters umrissen habe.

      Das Schiffstagebuch beginnt, zeremoniös und umständlich, mit einer Evokation der spanischen Hoheiten, gibt einen Rückblick auf des Schreibers Verdienste und Bemühungen, dann dankt er für alle voraus empfangenen Wohltaten und Belohnungen, oder stellt sie wenigstens trocken fest, und verspricht, jede Nacht niederzuschreiben, was ihm am Tag begegnet ist, bis er Indien entdeckt haben würde. »Dabei kommt es hauptsächlich auf eines an«, schließt er in seiner intransigenten Manier, »nämlich, daß ich, um alle Verpflichtungen zu erfüllen, auf den Schlaf verzichten lerne.«

      Dies ist keine eitle Ruhmredigkeit, er hat es buchstäblich getan. Er war imstande, wochenlang, genau, wie er sagt, auf Schlaf zu verzichten. Ich finde ihn in dieser Hinsicht geradezu unheimlich. Freilich, in jenen ersten Wochen war es schwer für ihn zu ruhen und zu schlafen. Wie ein dunkles Gespenst ist er vom Abend bis zum Morgengrauen am Bug der »Santa Maria« gestanden, die hellgrauen Fanatikeraugen in gefrorener Glut nach Westen gerichtet. Daß ihn seine Untergebenen geliebt haben, läßt sich schwerlich annehmen; solche Männer werden nicht geliebt; schreibt er doch von sich selbst: »Ich bin nicht schmeichlerisch von Worten, vielmehr gelte ich für rauh«; die bewußtseinslähmende Spannung, die ihn bis zum zwölften Oktober erfüllte, trieb ihn von aller Menschheit weg, und wenn es auch Leute waren, die vor nichts und niemand zurückschreckten, ihm wichen sie in scheuem Bogen aus, wie sie einem verrufenen Zauberer ausgewichen wären. Dabei mußte er mehr vor ihnen auf der Hut sein als sie vor ihm. Damit die Ungeduld sie nicht zu früh rebellisch werden ließ, griff er von vornherein zu dem nicht ganz einwandfreien Mittel, sie über den zurückgelegten Weg zu täuschen, indem er doppelt Buch führte, einmal, in der wirklichen Zahl der Seemeilen, für sich, und einmal, in verkürzten Ziffern, für das Schiffsvolk, eine Maßregel, die wahrscheinlich auf allen drei Caravellen gleichmäßig getroffen werden mußte, da man sich ja bei ruhigem Wetter von Fahrzeug zu Fahrzeug leicht verständigen konnte.

      Eine Sonderbarkeit des Tagebuchs besteht darin, daß er bisweilen in der Ichform berichtet, dann wieder, ohne Übergang, von sich in der dritten Person als dem Admiral spricht. Es scheint mir nicht, als sei dies bloß eine stilistische Achtlosigkeit oder leere Form. Es wird wohl tiefer liegen. Das Ich und der Admiral standen in seiner Brust einander fremd gegenüber. Es waren zwei Personen von verschiedenem Rang, verschiedener Verantwortlichkeit, verschiedenem Belang, die eine ein mißtrauischer, fieberhaft erregter, traumgequälter, selbstquälerischer, müder alter starrer Mensch, die andere ein zum Symbol erhobenes Werkzeug göttlicher Mächte, unfehlbarer Geist.

      Da schon drei Tage nach der Ausfahrt das Steuerruder der »Pinta« zerbrach (man hatte den Cristobal Quintero, den Eigentümer der Barke, in Verdacht, die Havarie mit Absicht herbeigeführt zu haben), mußte die Flottille die kanarische Insel Lanzerot anlaufen und konnte die Reise erst am achten September fortsetzen. Am siebzehnten meldet er im Logbuch, daß die Luft immer milder wird und daß er einen weißen Vogel gesehen hat, der nie auf dem Meer schläft. Der Ozean ist so ruhig wie der Fluß bei Sevilla. Am neunzehnten ist die Flotte vierhundert Meilen von den Kanaren entfernt. Am zwanzigsten fängt einer mit der Hand einen Vogel, der einer Meerschwalbe gleicht, es ist aber bei näherer Untersuchung ein Flußvogel. So wird gesagt, vielleicht nur, um die Hoffnung zu beleben. Auch ein Alcatraz, eine Pelikanart, fliegt von Nordwest nach Südost, Colón vermutet daher im Nordwesten Land. Am einundzwanzigsten herrscht Windstille, in der Nacht ist das Meer dicht mit Gras bedeckt. Am zweiundzwanzigsten, als sich Gegenwind erhebt, schreibt Columbus: »Der Admiral sagt, der widrige Wind war ihm notwendig, denn es war eine Gärung unter den Leuten, weil sie glaubten, es wehen unter diesen Himmelsstrichen keine Winde, die die Rückkehr möglich machen.« Am dreiundzwanzigsten fängt das Schiffsvolk ernstlich zu murren an, weil die See immerfort ruhig und glatt ist, bald aber regt sich das Meer, ohne daß ein Wind bläst, und wird so mächtig, daß alle sich verwundern. Columbus sagt hierzu: »Das ist noch nie geschehen, außer zur Zeit der Juden, als die Ägypter aus Ägypten auszogen, um Moses zu verfolgen.«

      Es ist immer wieder das nämliche, was zum Ereignis wird: Abflauen und Auffrischen des Windes, gesichtete Vögel und Fische, die wundersamen Flächen grünen stillen Grases auf dem Wasser, die zarten Nebelbänke am Horizont, die die Hoffnung auf Nähe von Land wecken, um dann schmerzliche Enttäuschung zu hinterlassen, die Bahn der Sterne, ein schwimmender Zweig mit wilden Rosen, ein aufgefischtes Rohr. Es herrscht Unsicherheit über die Richtung, und von Schiff zu Schiff wird mit Alonzo Pinzon über den zu verändernden Kurs beraten, wobei der erfahrenere Kapitän der »Pinta« schroff seine bessere Meinung durchsetzt; der Admiral gibt den direkten Kurs nach Westen auf und befiehlt, das Steuer gegen Westsüdwest zu kehren.

      In neuerer Zeit sind allerlei Zweifel an der Unbeirrbarkeit des Columbus während der Fahrt laut geworden, man hat behauptet, er selbst sei, beeinflußt von der Stimmung der Mannschaft, kleinmütig geworden und habe sich mit dem Gedanken an Umkehr befaßt; da sei es eben jener Alonzo Pinzon gewesen, der das Unternehmen durch seine entschlossene, geradezu drohende Haltung gerettet habe. Und um auch das Verdienst des Pinzon noch um einen Grad herabzudrücken, wird hinzugefügt, für ihn seien so viele materielle Interessen auf dem Spiel gestanden, daß er unverrichteter Dinge nicht auf halbem Weg hätte zurückkehren können.

      Ich glaube von alledem kein Wort. Äußere Gründe mögen dafür sprechen, die innere Unwahrscheinlichkeit ist evident. Und selbst wenn es wahr wäre, d.h. wenn es das trügerische Zeugnis eines Vorgangs, eines Tages, einer Stunde für sich hätte, so wäre es doch menschlich und psychologisch unwahr. Es gibt forschungsmäßige Nachweise und Erhärtungen von rein destruktiver Natur, die immer dort Verwirrung hervorbringen, wo Bild und Anschauung fehlen. Umkehr: die Vokabel existierte nicht für den Admiral des »ozeanischen Meeres«. Don Quichote läßt sich steinigen, verhöhnen, er verzichtet auf Schlaf und Nahrung, er gibt sich preis, er gibt sich auf, aber er kehrt nicht um.

      Hernando Colón


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