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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob WassermannЧитать онлайн книгу.

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Meer zu werfen. (Wie unmittelbar wirklich, in einem knappen Nebensatz, das Bild des Mannes! Berauscht von den Sternen! Auf einmal steht er da, als ob ihn Greco gemalt hätte; expressiver ließ es sich kaum sagen.) Die aufgeregte Szene, in der dem Columbus von der empörten Rotte drei Tage zugestanden werden, wenn bis dahin nicht Land in Sicht käme, hätte er sein Leben verwirkt, dieser dramatische Knalleffekt geht auf den zeitgenössischen Geschichtsschreiber Oviedo zurück, einen kritiklosen Zusammensteller unsicherer Tatsachen. In dem Punkt darf man dem Admiral schon trauen, daß es mit der ganzen Revolte nicht weit her war, so skeptisch auch sonst seine Nachrichten aufzunehmen sind; wäre es zu jener äußersten Ausschreitung gekommen, so hätte er gewiß nicht versäumt, sie mit der Breite und Großartigkeit mitzuteilen, die ihm bei solchen Gelegenheiten eigen waren; es wäre für ihn ein willkommener Anlaß gewesen, sich eine Gloriole ums Haupt zu flechten und mit seiner überlegenen Geisteskraft zu prahlen. Jedoch er spricht immer nur von vorübergehenden Ungeduldsausbrüchen der Mannschaft, von hervorbrechender und wieder schwindender Mutlosigkeit, von Unruhe, Beklommenheit, sogar Widersetzlichkeit; von meuterischen Exzessen keine Silbe; an dem Tag, wo die offene Meuterei hätte stattfinden müssen, am zehnten Oktober, notiert er nur: »Die Leute beklagten sich über die Länge der Reise und wollten nicht weiter. Der Admiral begütigte sie, indem er ihnen den Nutzen vorstellte, den sie aus der Fahrt ziehen würden. Er fügte aber auch hinzu, ihr Murren sei ganz vergeblich, da sein fester Entschluß, nach Indien zu gelangen, durch nichts erschüttert werden könne.«

      Daß seine Situation von Tag zu Tag bedenklicher wurde, verhehlte er sich nicht. Alle Anzeichen, die grenzenlose Ödnis der Wasserwüste könne endlich an ein Ufer stoßen, hatten getrogen. Die in der Ferne wahrgenommenen Gebirge und Städte hatten sich als Sinnestäuschungen erwiesen. Die Schiffe waren zu schwach für die lange Fahrt, und wenn sie mit jedem Augenblick den ungeheuren Raum vergrößerten, der sie von der Heimat trennte, wie sollten sie die Rückfahrt bewerkstelligen, da doch weit und breit kein Hafen war, um die jämmerlichen Barken auszubessern und frische Lebensmittel zu erhalten; die Vorräte schrumpften schon jetzt in besorgniserregender Weise. Er kannte natürlich die Gefahr, obschon er sie vielleicht verachtete oder nicht in sich eindringen ließ, vorauslebend, in die Zukunft langend, »berauscht von den Sternen«. Ein solcher Mensch, geisterhaft isoliert, geisterhaft unnahbar, mußte auf die rohen und einfachen Charaktere seiner Umgebung eine willensaufhebende Gewalt ausüben; in ihm war das grauenhaft Unverständliche der ganzen Expedition verkörpert und sichtbar; das dichte Zusammenleben an Bord hatte ihnen nicht eine Spalte seines rätselhaften Innern aufgeschlossen; er schleifte sie hinaus in eine Unwelt, in die Weltlosigkeit; Verzweiflung war so unnütz wie Aufstand, von ihm hing schließlich alles ab, er hatte vermutlich Hilfsmittel und war magischer Sprüche mächtig wie kein Sterblicher sonst; darin lag sicherlich das Wesen ihrer Gefolgschaft überhaupt, denn wäre ihnen nicht ein schreckerstarrter Rest von Vertrauen dieser Art geblieben, so sehe ich nicht ein, warum sie ihm nicht schon nach drei Tagen den Schädel zertrümmert und seine Leiche ins Wasser geworfen haben sollten, anstatt sich zehn Wochen lang von ihm und den durch ihn verzauberten Brüdern Pinzon in einen unbekannten Tod jagen zu lassen, wie sie fürchten mußten.

      In dem bereits erwähnten Prozeß des Diego Colón machte ein gewisser Francisco Garcia Vallejo, der auf der »Pinta« Matrose gewesen, einundzwanzig Jahre nach der Entdeckung folgende Aussage: »In der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag, vom elften auf den zwölften Oktober, war Mondschein, und ein Mann namens Juan Rodriguez Bermejo, Einwohner von Molinos in der Provinz Sevilla, sah einen weißen Sandhügel, riß die Augen weit auf und erblickte Land. Sogleich rannte er zu einer Kanone, gab Feuer und schrie: ›Land! Land!‹ Die Mannschaft stürzte an Deck und blieb auf, bis der Tag anbrach.«

      Im Logbuch steht es anders. Da heißt es, das ausspähende Auge des Admirals habe schon um zehn Uhr abends ein hin und her bewegtes Licht gesehen, in dem er sofort ein künstliches, von Menschenhand erzeugtes habe erkennen können, und das auch von denen, die er herbeigerufen, gesehen wurde. Er befahl dem Matrosen im Mastkorb aufmerksamen Auslug, erinnerte ihn auch an die von der Königin ausgesetzte Belohnung von zehntausend Maravedis für den, der zuerst Land wahrnahm, und versprach, aus eigenem eine seidene Jacke hinzuzutun.

      Doch nicht der arme Matrose erhielt den Preis, sondern der Admiral beanspruchte ihn für sich selbst, und zwar gleich nach dem Tedeum, das die Mannschaft der drei Schiffe am Morgen anstimmte. Manche sagen: aus Habsucht; manche sagen: aus Ruhmsucht; manche sagen: aus beiden Motiven. Ihn von der abscheulichen Schäbigkeit freizusprechen, wagen die beflissensten Verteidiger nicht. Allein: Habsucht, Ruhmsucht, das trifft den Mittelpunkt nicht, das war unter ihm, hinter ihm, es war die unbändige Gefräßigkeit des nach der Prämie Lechzenden, als ob ihm nun die Erde, die Menschen, das Schicksal zu ungemessenem Tribut im größten wie im kleinsten verpflichtet seien.

      Schwerlich hat irgendein Sterblicher jemals einen erhabeneren Augenblick erlebt als Columbus, da er auf Guanahani ans Land ging. Schwerlich auch ist jemals ein Tedeum das Vorspiel zu solchen blutigen Tragödien, zu solchen Orgien der Verfolgung und Menschenschlächterei gewesen wie das von der Besatzung der drei Admiralschiffe am 12. Oktober 1492 gesungene.

       Die Indios und das Gold

       Inhaltsverzeichnis

      Guanahani hieß die Insel; eine melodiöse Verbindung von Vokalen, wie Urlaute, kindlich, schmeichlerisch, onomatopoetisch. Sie gehört zur Gruppe der Bahama-Inseln: der Streit gelehrter Geographen hat erst spät zu der vorläufigen Feststellung geführt, daß es die heutige Watlingsinsel sein müsse. Nachforschungen an Ort und Stelle kamen nicht in Frage, es gab keine Überlieferung mehr, denn wenige Jahre nach der Entdeckung wurden die gutmütigen und zutraulichen Bewohner des ganzen Archipels wie Schlachtvieh nach Kuba transportiert, um dort nach Perlen zu tauchen oder furchtbare Zwangsarbeit in den Minen zu verrichten, so daß sie in kurzer Zeit insgesamt zugrunde gingen. Schon im Jahre 1520 fanden spanische Schiffe die ehemals blühenden Eilande vollkommen ausgestorben und wüst.

      Der Admiral ruft die beiden Kapitäne sowie den Notar der Flotte zu sich und fordert sie auf, Zeugen zu sein, daß er in dieser Stunde die Insel für den König und die Königin rechtskräftig in Besitz nehme. Er zieht sein Schwert, entfaltet das kastilische Banner und entbietet die sämtliche Mannschaft, daß sie ihm als Admiral und Vizekönig den Eid der Treue leiste. Die feierliche Veranstaltung hatte er zweifellos lange vorher in allen Einzelheiten ausgedacht. Sie ist die Verwirklichung des ersten aus einer fortgesponnenen Reihe von Träumen. Ihm geschah, was unter Millionen einmal einem geschieht: Wahrwerden des heimlichsten, inbrünstigsten Traumes. Die Chronisten versichern, die Leute seien vor Begeisterung wie verrückt gewesen; sie drängten sich um den Admiral, sie umarmten ihn, sie küßten seine Hände, und die noch gestern die Widerspenstigsten gewesen, zeigten sich nun als die Demütigsten und Dankbarsten. Nicht zu verwundern. Der Explosionsgewalt dieses Moments war keine Menschenvernunft gewachsen. Es gibt Erschütterungen, unter denen die Bösen aufhören böse zu sein, die Schwächlinge nicht mehr schwach, die Trübsinnigen nicht mehr melancholisch sind, da bricht die elementare Triebnatur hervor, die alles Eigenschaftliche und auf den Zweck Gerichtete überschwemmt und verbrennt. Dieser Auswurf Europas wird sich auch nicht mit harmlosen Freudenbezeugungen begnügt haben; in ihren tollhäuslerischen Rausch mengten sich wahrscheinlich gleich die wildesten Hoffnungen, und die Brunst einer noch wesenlosen Begierde verwandelte jeden einzelnen im Nu in einen heimlichen, zu jeder Untat bereiten Verschwörer.

      Ich war ein zehnjähriger Junge, als ich zum erstenmal las, wie Columbus von Guanahani »rechtskräftig« Besitz ergriff. Ich entsinne mich, daß mich der Ausdruck »rechtskräftig« so in Erstaunen setzte, daß ich tagelang darüber grübelte. In meiner Naivität fragte ich mich, wie denn das möglich sei, da doch auf der Insel bereits Menschen lebten und vermutlich von alters her. Mich erstaunte vor allem die Selbstverständlichkeit des Vorgangs, und daß sich die Spanier nicht wenigstens vorher erkundigten, ob das Land bereits jemandem gehörte. In diesem Fall schien es mir höchst seltsam, von Rechtskraft zu sprechen, und die Begriffe verwirrten sich mir. Es war natürlich eine kindliche Auffassung, ich sah es später ein, besonders da die Tatsache in allen Büchern mit der gleichen Selbstverständlichkeit berichtet wurde und


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