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Elfenzeit 8: Lyonesse. Uschi ZietschЧитать онлайн книгу.

Elfenzeit 8: Lyonesse - Uschi Zietsch


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Gesichtsschleier des Aleshu und offenbarte ein tief gebräuntes, hageres Gesicht, dessen alte Haut sich in hunderte Fältchen legte, als er lächelte.

      »Ayoub«, sagte er und wies auf sich.

      Der Schattenmann öffnete den Mund und versuchte zu sprechen, was ihm erst nach einer Weile gelang. Seine Stimme klang wie der ferne Wind der Wüste. »Du bist Imuhagh«, hauchte er. »Targi.«

      Der Mann der Wüste nickte und grinste breiter. »Du hast einen weiten Weg hinter dir, scheint mir.«

      Der Schattenmann ging nicht darauf ein. »Fürchtest du nicht den Totengeist, der dir in den Mund kriecht, weil du dein Gesicht entblößt?«

      »Ich fürchte niemanden. Und du bist weder tot noch Geist.«

      »Du täuschst dich …«

      »Schweig still, Schattenmann. Ich kenne dich. Ich gebe dir, was du brauchst.« Ayoub hielt die flach ausgestreckte Linke über den Brustkorb des diffusen Wesens, die Rechte presste er fest in den Sand. Bald darauf glühte die rechte Hand wie von einem inneren Licht auf, und dann schoss ein Blitz aus dem Boden hervor und schlug in den Schattenmann ein.

      Der Imuhagh löste die Verbindung und sank erschöpft in sich zusammen. Um nicht zu viel Flüssigkeit zu verlieren, schlug er das Tuch um den Mund. Jeder Atemhauch war zu kostbar, um in der Wüste verschwendet zu werden. Aus trüben Augen beobachtete er, wie der Schattenmann stofflicher wurde, das unstete Flackern der Gestalt hörte auf. Eine lange Kutte bildete sich schützend um ihn, Stiefel und Handschuhe, und dann richtete er sich auf und schlug die Kapuze über. In der Finsternis darunter entstanden zwei glühende Sterne dort, wo zuvor lichtlose Augen gewesen waren.

      »Ich schulde dir Dank, Ayoub«, sprach der Schattenmann mit deutlich voluminöser Stimme, die an Tiefe gewonnen hatte.

      »Du schuldest mir nichts«, winkte der Imuhagh ab. Er spürte den Blick des Verhüllten tief in sich dringen.

      »Du bist eine wandernde Seele«, stellte er fest. »Mir ist, als müsste ich dich kennen … doch ich bin noch kaum bei mir.«

      »Wir kennen uns tatsächlich«, stimmte Ayoub heiter zu. »Wie nennst du dich in dieser Epoche, mein Freund?«

      »Wie in jeder.« Ein kurzes Zögern, als wäre er unsicher, dann sagte er langsam: »Ich bin … der Getreue. Doch abgeschnitten von dem, dem ich Treue schulde … ich kann mich nicht mehr erinnern …«

      »Du bist auf der richtigen Fährte.« Ayoub deutete auf den Boden. »Instinktiv hast du die lebensrettende Ader gefunden. Sie ist immer noch stark, und deswegen bin auch ich immer noch hier. Mein ganzes langes Leben bewege ich mich an ihr entlang, und ich bin es nie müde geworden.«

      »Warum bist du hier?«

      »Der Wind flüsterte es mir und wies mir den Weg. Ich kam, um zu helfen.«

      Der Getreue schien nachzudenken. »Wie viele von deiner Sorte gibt es noch?«

      Ayoub hob die Schultern. »Nicht mehr viele, glaube ich. Die Geistersphäre leert sich. Es ist sehr still geworden, seit die Erste von uns gegangen ist …«

      Der Getreue stieß einen schmerzvollen Laut aus. »Island …«, flüsterte er. »Ich erinnere mich, dort gewesen zu sein …«

      »Etwas geschah, das alle Sphären erschütterte«, sagte Ayoub. »Und hier verändert sich seither die Sphäre. Die Grenzen sind geöffnet …«

      »Warum bist du allein, Ayoub? Wohin gehst du?«

      »Ich reise zumeist allein, doch wenn ich es möchte, finde ich überall gute Gastfreundschaft. Ich gelte als heiliger Mann, und außerdem bin ich reich. Mein Clan verwaltet mein Vermögen, längst ist er sesshaft geworden und der Gier nach Reichtum erlegen. Meine Leute sind keine Berber mehr und noch weniger Tuareg. Ich aber bin Nomade geblieben, ich kann nichts anderes sein. Meine Seele wohnt schon so lange hier, sie ist ein Teil der Wüste. Und wohin ich gehe? Als ob du das nicht wüsstest.«

      Der Getreue schüttelte leicht den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich müsste es wissen, aber dem ist nicht so. Die Erinnerungen kehren nur langsam wieder … die Kenntnis …«

      Ayoub wies auf die Wüste. »Ich gehe nach Gewas.«

      »Die Oase Gewas? Ich kenne sie. Das … das Paradies? Du weißt, dass niemand sie finden kann, der sie sucht?«

      »Und deswegen bin ich unterwegs. Meine Suche ist das Ziel. Wer hat mir das wohl beigebracht? Und sage nicht, die Oase gibt es nicht – Kufrah könnte es dereinst werden, seit ich den ersten Ölturm setzen wollte und Wasser fand, auch wenn es immer wieder Rückschläge gab.« Ayoub stand auf und klopfte sich den Sand aus der Kleidung. Sein Dromedar hatte sich inzwischen satt getrunken und Büsche abgeweidet. Jetzt senkte es den langen Hals und musterte seinen Herrn aus großen, sanften dunklen Augen, die von dichten Wimpern beschattet wurden. Die Mundwinkel waren leicht nach oben gezogen, als ob es lächelte. Ohne dass Ayoub etwas sagen musste, kauerte es sich hin. Die beiden zogen schon so lange gemeinsam durch die Wüste, sie verstanden sich ohne Worte und Befehle.

      »Das verstehe ich nicht«, sagte der Getreue.

      »Du wirst es, sobald du zu dir selbst gefunden hast«, erwiderte Ayoub und schwang sich in den Sattel, verschränkte die Beine vorn am Hals. »Deswegen musst auch du dich auf die Suche begeben.« Mit der Gerte wies er nach Süden. »aṣ-ṣaḥrā’ al-kubrā«, sagte er melodiös, mit erstaunlich junger Stimme. »Die sehr große Wüste.« Dann wies er nach Norden, wo sich graue Berge am Horizont abzeichneten. »baḥr bilā mā. Das Meer ohne Wasser. Geh Richtung Meer, durchquere die Wüste und gelange zum Ozean. Dort findest du den Anfang und den Träger. Das ist dein Weg, so wie der meine … die entgegengesetzte Richtung ist. Sei standhaft – du hast gut und gern neunhundertfünfzig Kilometer Weg vor dir.« Er zwinkerte.

      Das Dromedar stemmte sich leise grunzend hoch und ragte schneeweiß über dem Getreuen auf. Unermüdlich wiederkäute es und drehte leicht den Kopf, als wolle es die Richtung erraten, in die es seinen Herrn gleich tragen würde.

      »Warum?«, fragte der Getreue ratlos.

      »Das fragst du?« Ayoub lachte leise. »Sieh es als Schuld an, die ich beglichen habe. Ich gebe dir zurück, was du mir einst gemacht hast. Das ist nur fair. Leb wohl!« Er schnalzte und zog am Riemen, während ein Fuß leicht an den Hals klopfte. Das Dromedar wendete und schaukelte im flinken Pass-Trab mit seinem Herrn in die wasserlose Dürre hinein.

      Hitze breitete sich aus, und der Umhang des Getreuen dampfte. Er stemmte sich hoch und stand eine Weile gekrümmt, schwankend da. Nur langsam kehrte das Gefühl in die Gliedmaßen zurück, das Bewusstsein, einen Körper zu besitzen. Diese Existenzform war schwer, aber auch sehr intensiv. Er würde sich daran gewöhnen – falls er es schaffte, zu überleben. Das war nämlich noch keineswegs gewährleistet. Im Augenblick war er dankbar, überhaupt den Weg zurück gefunden zu haben und sich soweit zu sammeln, dass er neu beginnen konnte. Aber mehr als halbstofflich war er noch nicht.

      Haltsuchend taumelte er zu einer Palme und stützte sich schweratmend dagegen. Nicht viel mehr als ein Fetzen wehenden Tuches, und doch zerrte ein schweres Gewicht an ihm.

      Wer auch immer dafür gesorgt hatte, dass er Hilfe bekam, dem gebührte Dank. Aber hoffentlich war es nicht verfrüht. Als die Hand des Getreuen plötzlich durch den Stamm fiel, rutschte er haltlos zu Boden. Seine Gestalt flackerte erneut, bevor sie sich wieder einigermaßen verstofflichte.

       Die Geistersphäre.

      Der Getreue war erleichtert, als ihm dies einfiel. Dort stand sein dunkler Turm, der ihm die Kraft zurückgeben würde, die er brauchte.

      Er konnte sich nicht erinnern, wieso er hier war, was ihn an den Rand der Vernichtung getrieben hatte. Island … dort musste es geschehen sein. Aber was?

      Der Turm, er war jetzt sein Anker. Erst einmal in seiner Kammer, würde sich alles von selbst ergeben und klären.

      Der Getreue konzentrierte sich und tauchte in die Geistersphäre ein. Doch er erreichte nicht mehr als das Zwischenreich.


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