Das Gassi-Buch für besondere Hunde. Katrien LismontЧитать онлайн книгу.
Stress chronisch werden, weil in kurzen Abständen immer wieder überfordernde Situationen auftreten, ist der Sympathikus in Dauereinsatz, der Parasympathikus kommt gar nicht zum Zuge und es dauert immer länger, bis die Stresshormone sich im Körper abbauen können. Dies führt zu einer Fehlleitung im Stoffwechsel und in anderen nicht willentlich steuerbaren Prozessen im Körper. Das Zusammenspiel von Sympathikus und Parasympathikus ist gestört.
Wenn die zuvor aufgelisteten Stresszeichen nicht nur gelegentlich auftreten und dann auch schnell wieder nachlassen, sondern der Hund mehrere davon sehr häufig und ausdauernd zeigt, bedeutet dies, dass sich sein gesamter Organismus in einer Schieflage befindet, die er selbst nicht mehr regulieren kann. Dann ist ein Stressabbauprogramm erforderlich, bei dem entspannte Spaziergänge eine wichtige Rolle spielen. Wer mit einem besonderen Hund unterwegs ist, wird mir jedoch recht geben, dass Spaß und Entspannung draußen oftmals zu kurz kommen. Durch gezielte Maßnahmen lässt sich das ändern, sodass die Spaziergänge in Zukunft genutzt werden können, um Zeit und um mehr Glückshormone ins Spiel zu bringen. Auf die wichtigsten möchte ich im folgenden Abschnitt kurz eingehen.
GLÜCKSHORMONE
•Dopamin: ist für Glücksempfinden und für die Weiterleitung von positiven Gefühlen und Empfindungen zuständig. Außerdem leitet es die Impulse an die Muskeln weiter und fördert die Durchblutung der inneren Organe. Dopamin wird ausgeschüttet, wenn wir Freude an Dingen, Aktivitäten und Ereignissen spüren und wenn wir belohnt werden. Dopamin lässt uns lächeln und lachen. Wann hat Ihr Hund etwas zu lachen?
•Serotonin: erzeugt Wohlgefühl. Es sorgt für eine gute Stimmung und einen positiven emotionalen Zustand. Es beflügelt, motiviert, verleiht Elan und ist auch für kluge und kreative Prozesse im Hirn von Vorteil. Wie wohl fühlt sich Ihr Hund in Ihrer Nähe?
Vor dem ganzheitlichen Verhaltenstraining.
(Foto: Katrien Lismont)
Derselbe Hund nach den ersten Maßnahmen.
(Foto: Katrien Lismont)
•Oxytocin: bekannt als „Kuschelhormon“ oder auch als „Bindungshormon“. Es wird erzeugt bei körperlicher Nähe und bei sanften, wohltuenden Berührungen, reduziert Angst und Stress und führt zu einem Gefühl der Entspannung. Es reguliert den Blutdruck und den Cortisolspiegel, wodurch es in Stressmomenten sehr hilfreich ist. Wann haben Sie Ihren Hund das letzte Mal bewusst sanft berührt oder gehalten oder neben ihm auf der Couch gelegen?
•Endorphin: gilt als das körpereigene Schmerzmittel und versetzt den Körper in eine Art Rauschzustand, um aktiv bleiben zu können, obwohl eventuell körperlich einschränkende Schmerzen vorhanden sind. Dachten Sie bisher, Ihr Hund würde dem Eichhörnchen nicht hinterherhetzen, wenn er Schmerzen hätte?
So läuft das Spiel mit diesen Hormonen: Wenn wir unsere Spaziergänge angenehmer gestalten möchten, sollten wir den Stresszustand unserer Vierbeiner beobachten, erkennen und richtig einschätzen. Gegen Stressoren antrainieren ist zäh, unwirksam und frustrierend.
Wir können also diese Stresssituationen zunächst vermeiden und dem Hund Momente und Gelegenheiten bieten, etwas zu tun, bei dem er Serotonin ausschüttet. So kann eine positive Verknüpfung mit Spaziergängen entstehen. Wir können ihm außerdem in kleinen Schritten durch selbstwirksames Training beibringen, wie er stressige Momente besser bewältigen kann. Dazu erfahren Sie mehr im Abschnitt „BAT während des Spaziergangs“.
SCHLAF, REGENERATION UND WOHLBEFINDEN
Eine weitere Priorität ist, dafür zu sorgen, dass Hunde im häuslichen oder sozialen Umfeld wirklich zur Ruhe kommen können und durch einen netten und freundschaftlichen Umgang ein solides Vertrauensdepot in ihren Menschen aufbauen. Darauf können sie immer wieder zurückgreifen, wenn es brenzlig wird.
Ausreichend Schlaf kann viel zu einer positiven Verhaltensänderung beitragen. (Foto: Katrien Lismont)
Das Schlafpensum, das ein gesunder, erwachsener Hund zur Regeneration seines Nervensystems braucht, liegt bei 16 bis 17 Stunden pro Tag. Welpen brauchen 20 Stunden, und gerade im Welpenalter kann und sollte der Hund lernen, was ihm später guttut: sich zurücknehmen, schlafen und ruhen.
Das richtige Verhältnis von Auslastung und Regeneration ist einer der wichtigsten Faktoren in der Hundehaltung. Es gibt nicht viele Maßnahmen, die so schnell zu einer Verhaltensänderung führen können wie ausreichend Schlaf. Gesundes Futter, gezielte unterstützende Nahrungsergänzung, Tellington TTouch® und leichte Übungen, die zum eigenständigen Lösen von Problemen anregen, können darüber hinaus zu mehr Ruhe und Entspannung beitragen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gesundheit. Auf meine Frage, wie der körperliche Zustand des Hundes eingeschätzt wird, erhalte ich häufig die Antwort: „Pumperlgsund.“ Leider stellt sich bei genauem Hinsehen fast ebenso häufig heraus, dass die Realität leider ganz anders aussieht: Selbst bei Hunden, die bereits mehrfach tierärztlich untersucht und behandelt wurden, erkenne ich beim ersten Termin in meiner Verhaltenspraxis in der Regel schnell, dass sie gute Miene zu ihrem schmerzenden Körper machen. Hunde zeigen Schmerzen möglichst nicht: Wenn Sie aufschreien oder humpeln, ist der Schmerz schon kaum noch auszuhalten. Für einen Hund mit Schmerzen stellt jeder Spaziergang eine Überforderung dar. Und Verhaltenstraining kann nur dann wirksam sein, wenn der Hund beschwerdefrei ist. Daher empfehle ich, Gesundheitsthemen und insbesondere Schmerzen absolute Priorität einzuräumen.
Geben Sie bei besonderen Hunden nicht gleich auf, wenn bei der ersten Untersuchung nichts festgestellt wird, Sie im Training jedoch nicht weiterkommen. Es lohnt sich, dranzubleiben und genauer hinzuschauen beziehungsweise den Hund genauer untersuchen zu lassen.
Ein ganzheitlicher Ansatz
Zwar steht in diesem Buch das Spaziergehen im Vordergrund, aber es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass nur ein ganzheitlicher Ansatz nachhaltig Abhilfe schaffen kann. Ganzheitlich bedeutet, dass alle Elemente in Betracht gezogen werden: vom Ablauf des Alltags über das körperliche Wohlbefinden, die Menge und Richtigkeit der Aktivitäten, die Regenerationsmöglichkeiten, den Umgang, die Trainingsmethode bis hin zur Ausrüstung.
Je mehr wir korrigieren und justieren können, desto schneller und eleganter lassen sich die Probleme lösen. Es passiert tatsächlich, dass nach einer Erstberatung kein oder kaum Training in Anspruch genommen wird, weil sich alles gefügt und beruhigt hat oder das vorherige Training jetzt endlich fruchten kann.
Mehr über diese Vorgehensweise in Bezug auf leinenreaktive Hunde finden Sie in meinem Buch „Hund trifft Hund“.
Verhalten als Symptom
Wie ich bereits beschrieben habe, drücken Hunde ihre Wahrnehmungen, Gedanken und Konflikte nicht so aus, wie wir es erwarten. Ihre Sprache ist zunächst unauffällig und besteht aus kleinsten Handlungen. Wenn sie laut und stark werden, bedeutet das, dass sie schon längere Zeit kleinere Zeichen ausgesendet haben, die nicht verstanden wurden. Deshalb ist es so wichtig, dass Hundehalter sich mit der Körpersprache und den Bewegungsmustern ihres Hundes auseinandersetzen. Geräusche, Bewegungen, visuelle Reize, und Gerüche prasseln auf unsere Hunde ein. Diese Eindrücke und Impulse haben eine Wirkung auf ihr Nervensystem und ihr Verhalten. All dies sollte auf unser Verständnis treffen und nicht mit einschränkenden Strafen gemaßregelt werden. Wenn Verhalten eingeschränkt wird, findet es, genau wie Wasser, neue Wege. Meistens tritt es irgendwann da hervor, wo man am wenigsten damit rechnet. Es ist wahrlich nicht alles das, wonach es aussieht.
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