Die Stadt ohne Juden. Hugo BettauerЧитать онлайн книгу.
grauen, buschigen Brauen glitzerten die scharfen Augen über den Saal hinweg. So stand er bewegungslos, bis er plötzlich den Schädel ins Genick warf und mit seiner mächtigen Stimme, die sich in den turbulentesten Versammlungen immer hatte Gehör erzwingen können, begann:
„Verehrte Damen und Herren! Ich lege Ihnen jenes Gesetz und jene Änderungen unserer Bundesverfassung vor, die gemeinsam nichts weniger bezwecken, als die Ausweisung der nichtarischen, deutlicher gesagt, der jüdischen Bevölkerung aus Österreich. Bevor ich das tue, möchte ich aber einige rein persönliche Bemerkungen machen.
Seit fünf Jahren bin ich der Führer der christlichsozialen Partei, seit einem Jahr durch den Willen der überwiegenden Mehrheit dieses Haüses Bundeskanzler. Und durch diese fünf Jahre hindurch haben mich die sogenannten liberalen Blätter wie die sozialdemokratischen, mit einem Wort alle von Juden geschriebenen Zeitungen, als eine Art Popanz dargestellt, als einen wütenden Judenfeind, als einen fanatischen Hasser des Judentums und der Juden. Nun, gerade heute, wo die Macht dieser Presse ihrem unwiderruflichen Ende entgegengeht, drängt es mich, zu erklären, daß das alles nicht so ist. Ja, ich habe den Mut, heute von dieser Tribüne aus zu sagen, daß ich viel eher Judenfreund als Judenfeind bin!“
Ein Murmeln und Surren ging durch den Saal, als flöge eine Schar Vögel aus dem Felde auf.
„Ja, meine Damen und Herren, ich bin ein Schätzer der Juden, ich habe, als ich noch nicht den heißen Boden der Politik betreten, jüdische Freunde gehabt, ich saß einst in den Hörsälen unserer Alma mater zu Füßen jüdischer Lehrer, die ich verehrte und noch immer verehre, ich bin jederzeit bereit, die autochthonen jüdischen Tugenden, ihre außerordentliche Intelligenz, ihr Streben nach aufwärts, ihren vorbildlichen Familiensinn, ihre Internationalität, ihre Fähigkeit, sich jedem Milieu anzupassen, anzuerkennen, ja zu bewundern!“
„Hört! Hört!“-Rufe wurden laut, sensationelle Spannung bemächtigte sich der Abgeordneten und des Auditoriums, und der englische Journalist Holborn, der nicht alles verstanden hatte, fragte interessiert den Dr. Wiesel, ob der Mann da unten der Vertreter der Judenschaft sei.
Der Kanzler fuhr fort.
„Trotzdem, ja gerade deshalb wuchs im Laufe der Jahre in mir immer mehr und stärker die Überzeugung, daß wir Nichtjuden nicht länger mit, unter und neben den Juden leben können, daß es entweder Biegen oder Brechen heißt, daß wir entweder uns, unsere christliche Art, unser Wesen und Sein oder aber die Juden aufgeben müssen. Verehrtes Haus! Die Sache ist einfach die, daß wir österreichische Arier den Juden nicht gewachsen sind, daß wir von einer kleinen Minderheit beherrscht, unterdrückt, vergewaltigt werden, weil eben diese Minderheit Eigenschaften besitzt, die uns fehlen! Die Romanen, die Angelsachsen, der Yankee, ja sogar der Norddeutsche wie der Schwabe – sie alle können die Juden verdauen, weil sie an Agilität, Zähigkeit, Geschäftssinn und Energie den Juden gleichen, oft sie sogar übertreffen. Wir aber können sie nicht verdauen, uns bleiben sie Fremdkörper, die unseren Leib überwuchern und uns schließlich versklaven. Unser Volk kommt zum überwiegenden Teil aus den Bergen, unser Volk ist ein naives, treuherziges Volk, verträumt, verspielt, unfruchtbaren Idealen nachhängend, der Musik und stiller Naturbetrachtung ergeben, fromm und bieder, gut und sinnig! Das sind schöne, wunderbare Eigenschaften, aus denen eine herrliche Kultur, eine wunderbare Lebensform sprießen kann, wenn man sie gewähren und sich entwickeln läßt. Aber die Juden unter uns duldeten diese stille Entwicklung nicht. Mit ihrer unheimlichen Verstandesschärfe, ihrem von Tradition losgelösten Weltsinn, ihrer katzenartigen Geschmeidigkeit, ihrer blitzschnellen Auffassung, ihren durch jahrtausendelange Unterdrückung geschärften Fähigkeiten haben sie uns überwältigt, sind unsere Herren geworden, haben das ganze wirtschaftliche, geistige und kulturelle Leben unter ihre Macht bekommen.“
Brausende „Bravo!“-Rufe! „Sehr richtig!“ „So ist es!“
Dr. Schwertfeger führte mit der knochigen Rechten das Glas zu den dünnen Lippen und sein halb spöttischer, halb befriedigter Blick kreiste im Saal.
„Sehen wir dieses kleine Österreich von heute an. Wer hat die Presse und damit die öffentliche Meinung in der Hand? Der Jude! Wer hat seit dem unheilvollen Jahre 1914 Milliarden auf Milliarden gehäuft? Der Jude! Wer kontrolliert den ungeheuren Banknotenumlauf, sitzt an den leitenden Stellen in den Großbanken, wer steht an der Spitze fast sämtlicher Industrien? Der Jude! Wer besitzt unsere Theater? Der Jude? Wer schreibt die Stücke, die aufgeführt werden? Der Jude! Wer fährt im Automobil, wer praßt in den Nachtlokalen, wer füllt die Kaffeehäuser, wer die vornehmen Restaurants, wer behängt sich und seine Frau mit Juwelen und Perlen? Der Jude!
Verehrte Anwesende! Ich habe gesagt, daß ich den Juden, an sich und objektiv betrachtet, für ein wertvolles Individuum halte und ich bleibe dabei. Aber ist nicht auch der Rosenkäfer mit seinen schimmernden Flügeln ein an sich schönes, wertvolles Geschöpf und wird er von dem sorgsamen Gärtner nicht trotzdem vertilgt, weil ihm die Rose näher steht als der Käfer? Ist nicht der Tiger ein herrliches Tier, voll von Kraft, Mut und Intelligenz? Und wird er nicht doch gejagt und verfolgt, weil es der Kampf um das eigene Leben erfordert? Von diesem und nur von diesem Standpunkt kann bei uns die Judenfrage betrachtet werden. Entweder wir oder die Juden! Entweder wir, die wir neun Zehntel der Bevölkerung ausmachen, müssen zugrunde gehen oder die Juden müssen verschwinden! Und da wir jetzt endlich die Macht in den Händen haben, wären wir Toren, nein, Verbrecher an uns und unseren Kindern, wenn wir von dieser Macht nicht Gebrauch machen und die kleine Minderheit, die uns vernichtet, nicht vertreiben wollten. Hier handelt es sich nicht um Schlagworte und Phrasen, wie Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Toleranz, sondern um unsere Existenz, unser Leben, das Leben der kommenden Generationen! Die letzten Jahre haben unser Elend vertausendfacht, wir stehen mitten im vollen Staatsbankerott, wir gehen der Auflösung entgegen, ein paar Jahre noch und unsere Nachbarn werden unter dem Vorwand, bei uns Ordnung schaffen zu müssen, über uns herfallen und unser kleines Land auf Stücke zerreißen – unberührt von allen Geschehnissen aber werden die Juden blühen, gedeihen, die Situation beherrschen und, da sie ja nie Deutsche im Herzen und im Blut waren, unter den geänderten Verhältnissen Herren bleiben, wenn wir Sklaven sind!“
Das ganze Haus geriet jetzt in furchtbare Aufregung. Wilde Rufe wurden ausgestoßen. „Das darf nicht sein! Retten wir uns und unsere Kinder!“ Und als Echo klang es von der Straße her aus zehntausend Kehlen: „Hinaus mit den Juden!“
Dr. Schwertfeger ließ die Erregung auslaufen, nahm von den Ministerkollegen Händedrücke entgegen und sprach dann über die Durchführung des Gesetzes. Gemäß den Forderungen der Menschlichkeit und den Bedingungen des Völkerbundes würde mit größter Milde und Gerechtigkeit vorgegangen werden. Jeder habe das Recht, sein Vermögen mitzunehmen, soweit es aus Bargeld und Wertpapieren oder Juwelen bestehe, Immobilien zu veräußern, sein Geschäft freihändig zu verkaufen. Unternehmungen, die nicht veräußerlich seien, würden vom Staat übernommen werden, und zwar derart, daß nach dem Steuerbekenntnis des letzen Jahres der Reinertrag fünfprozentig kapitalisiert werden würde. Hätte also zum Beispiel ein Unternehmen im vergangenen Jahr eine halbe Million Reinertrag aufgewiesen, so würde es mit zehn Millionen abgelöst werden. Ein boshaftes Lächeln kräuselte die Lippen des Kanzlers.
„Natürlich sind sowohl bei diesen Ablösungen als auch bei der Erlaubnis zur Mitnahme von Bargeld lediglich die Steuerbekenntnisse maßgebend. Hat sich jemand als Vermögensloser bekannt, so darf er kein Geld ausführen, besitzt er trotzdem Vermögen, so wird dieses natürlich konfisziert. Hat jemand den Reinertrag seines Geschäftes mit einer halben Million beziffert, so darf er zehn Millionen mitnehmen, auch wenn sich herausstellen sollte, daß sein wirkliches Einkommen zehnmal so groß war. Auf diese Art wird sich manche Sünde bitter rächen —,“ bemerkte der Redner unter schallender Heiterkeit der Anwesenden. Er fuhr dann fort:
„Festbesoldete und geistige Arbeiter, die tatsächlich vermögenslos sind, wie zum Beispiel Arzte, erhalten vom Staat den Betrag zur Fortreise, den sie als Jahreseinkommen versteuert hatten. Gab also ein Arzt sein Einkommen mit dreihunderttausend an, so erhält er diese Summe. Um jede anderweitige Steuerflucht zu verhüten, enthält das Gesetz die drakonische Bestimmung, daß der Versuch, größere als erlaubte Summen fortzuschleppen, mit dem Tode zu bestrafen sei. Ebenso ist die Todesstrafe über die Juden oder Judenstämmlinge verhängt, die den Versuch machen, sich auch weiterhin heimlich in Österreich