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Die Stadt ohne Juden. Hugo BettauerЧитать онлайн книгу.

Die Stadt ohne Juden - Hugo Bettauer


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Frau Corroni, saß mit verquollenen Augen da, ihr Gatte, der Prokurist Alois Corroni, lächelte den Schwiegervater impertinent und verächtlich an, und die beiden Enkelkinder Lintschi und Hansl stießen ein furchtbares Geheul aus, als Herr Schneuzel seine kleinen Äuglein verwirrt und ängstlich um den Tisch kreisen ließ.

      „Ja, was is denn da los?“

      Frau Schneuzel stemmte die Arme in die Seite.

      „Was los is, du Fallot, du? Gar nichts is los, als daß du, alter Tepp, geholfen hast, deine Tochter und die Enkelkinder aus dem Land zu treiben!“

      „Ja wieso denn?“ stammelte Herr Schneuzel. Aber schon dämmerte ihm grauenhafte Wahrheit. Richtig, er hatte im Laufe der Jahrzehnte total vergessen, daß sein Schwiegersohn, Herr Alois Corroni, in frühester Jugend Sami Cohn geheißen und erst stehend und aufrecht die Taufe empfangen. Also mußte er ja hinaus und mit ihm die beiden Kinder, die Judenstämmlinge waren!

      „So eine Gemeinheit,“ schluchzte Frau Corroni in ihr Taschentuch hinein, „was soll, ich jetzt mit den Kindern anfangen? Nach Zion auswandern vielleicht, du Rabenvater, du?“

      „Jawohl, es ist ein starkes Stückchen,“ erklärte nun Herr Corroni mit scharfer Betonung jedes Wortes, „einen Mann wie ich, der behaupten darf, mindestens ein ebenso guter Christ zu sein als tausend andere, die den ganzen Tag im Wirtshaus herumsitzen, einen Mann wie ich, dessen Kinder im christlichen Glauben groß geworden sind, aus dem Lande zu jagen wie einen tollen Hund!“

      Herr Schneuzel wollte eine Erwiderung machen und murmelte etwas von großer, heiliger Sache, Prinzipien, die auf Einzelfälle keine Rücksicht nehmen können. Aber schon saß die Hand der Gattin in seinen spärlichen Haaren und ließ nicht locker, bevor sie sich mit einem ganzen Büschel des immer rarer werdenden Gewächses zurückziehen konnte.

      „Viecher seid’s Ihr alle zusammen! Gestohlen könnte Ihr mir werden mit eurem Christentum! Hat der Loisl unser Annerl nicht immer gut behandelt? Hat sie nicht einen Bisampelz von ihm bekommen, läßt er die Kinder nicht aufwachsen wie die Prinzen! Dem lieben Gott sollst du danken, daß sie einen Juden bekommen hat und nicht einen Kerl, wie dich, einen Saufbruder und Skandalmacher!“

      „I geh’ net nach Zion,“ heulte Lintscherl, während Hans die Gelegenheit benützte, von Großvaters Teller weg den Sonntagsgugelhupf zu grapsen.

      Im Moment höchster Aufregung kam die Köchin Pepi herein, räumte resolut den Tisch ab und erklärte seelenruhig:

      „I geh’! I heirat’ mein Isidor, der was Kommis im Konsumverein is, und wann er auswandern muß, wander’ i mit ihm aus! Von mir aus können sich die Herrn Nationenräte mitsamt dem Kränzler alle zusammen aufhängen.“

      Nachdem sich die Aufregung gelegt, erörterte Herr Corroni sachlich die Situation.

      „Ich denke natürlich gar nicht daran, nach Palästina auszuwandern, schon deshalb nicht, weil man mich als getauften Juden gar nicht hineinließe. Nein, ich habe einen Bruder in Hamburg, den Onkel Eduard, wie Ihr wißt, und wenn er auch eben meiner Taufe halber bös mit mir ist, so wird er mich jetzt nicht im Stich lassen – Juden haben ja, gottlob, Familiensinn“ – diese Worte begleitete ein stechender Blick gegen Schneuzel – „und ich werde eben dort für mich und meine Familie eine neue Zukunft aufbauen. Es sei denn, daß Annerl lieber bei euch bleiben will.“

      Worauf Frau Anna, müde und verblüht, wie man es nach fünfzehnjähriger Ehe zu sein pflegt, rosige Wangen bekam, ihre Arme zärtlich um den Hals des Alois Corroni, recte Sami Cohn, schlang, ihn küßte wie eine Brautihren Bräutigam und wirklich wie ein junges Mädchen aussah. Und schließlich mußte sich Herr Schneuzel völlig verstört und verzweifelt verpflichten, dem Schwiegersohn so gewissermaßen als Fundament für die neue Zukunft eine Million mit nach Hamburg zu geben.

      Nachmittags ging der National-, Gemeinde- und Armenrat Schneuzel allein zum Heurigen nach Sievering, fing dort mit einer Gesellschaft, die noch immer „Hinaus mit den Juden!“ schrie, Streit an, zerbrach seine Flasche an dem Schädel des einen Schreiers und wurde furchtbar verprügelt.

      3. Kapitel.

      Vor Torschluß.

      Gespräch in einer Fensternische des Café Wögerer, gegenüber der Börse, zwischen Herrn Strauß, Inhaber eines Bankhauses, und seinem Neffen, dem Mediziner Siegfried Steiner. Solche und ähnliche Gespräche fanden aber an allen Tischen statt, es wurde an diesem Tage nicht lärmend, sondern fast lautlos mit Zuhilfenahme der Hände geredet.

      Der Neffe schüttelte dem Onkel die Hand.

      „Lieber Onkel, ich danke dir dafür, daß du mich mit nach London nehmen wirst. Das ist ein großer Trost für mich, denn unter uns gesagt – Zion – ne, ist nichts für mich! Nur Juden, nicht auszudenken!“

      Der Onkel lächelte behaglich. „Zion kann mir gestohlen werden. In London werde ich mich mit meinem alten Freunde Moe Seegward, der dort eine Wechselstube in bester Lage hat, assoziieren.“

      Siegfried Steiner beugte sich vor und flüsterte:

      „Aber sag’ mir eines, Onkel, du hast doch sicher nicht der Steuerbehörde dein wirkliches Vermögen und Einkommen angegeben. Wie wirst du nun dein Geld herüberkriegen, da doch seit gestern Briefzensur eingeführt ist?“ Der Onkel ließ die Zigarrenasche auf seine. Weste fallen.

      „Chammer! Wozu hat man christliche Freunde? Ich war heute schon bei dem Fabrikanten Schuster, habe ihm unter uns gesagt, eine Milliarde in Effekten und Bargeld gebracht und dafür von ihm eine Anweisung auf eine Londoner Bank bekommen. Natürlich tut es der Ganef nicht umsonst, sondern er verdient ordentlich dabei.“

      Der Neffe nickt befriedigt und an dreißig anderen Tischen endigten verschiedene Gespräche ebenfalls mit einem zufriedenen Nicken.

      Ein alter Hebräer mit Kaftan und Lockerln kam herein und sagte von Tisch zu Tisch sein Sprüchlein auf: „Ein Almosen für einen alten Juden, der beim Pogrom in Lemberg um Hab und Gut gekommen ist.“

      Von einem Tisch wurde er angerufen: „Na, Alter, wohin werden Sie auswandern?“

      Der Jude wackelte mit dem Kopf. „Herrleben, wenn ich aus dem brennenden Ghetto von Lemberg nach Wien gekommen bin, wer’ ich auch aus Wien wieder irgendwohin kommen. Ob ich schnorr’ in Wien oder in Berlin oder Paris, ist gleichgültig. Nur wer’ ich dann nichts erzählen mehr vom Pogrom, sondern davon, daß man hat mich alten Juden ausgewiesen. Aber sagen Sie, Herrleben, glauben Sie, man soll noch kaufen vor Torschluß Julisüd oder is besser Siemens?“

      4. Kapitel.

      Ein Schuss.

      In der Villa des Schriftstellers Herbert Villoner in Alt-Aussee war der Freundeskreis versammelt. Literaten von bekanntem Namen, Maler, Bildhauer, Musiker, Verleger. Sonst pflegten sie erst im Hochsommer die Sommerfrische aufzusuchen, diesmal hatten sie schon im Juni die Stadtflucht ergriffen, um von den politischen Schmutzwellen wenigstens nicht unmittelbar bespritzt zu werden.

      Es war nach dem Abendessen, man saß in Korbstühlen auf der Terrasse, blickte auf den lieblichen See, in dem sich der Mond spiegelte, der Rauch der Zigaretten kräuselte in der unbeweglichen Luft empor, jeder war in seine Gedanken versunken. Villoner unterbrach das tiefe Schweigen.

      „So ist denn kein Zweifel mehr, daß die meisten von uns zum letztenmal den Sommer in Aussee verbringen werden und daß wir wie vagabundierende Strolche den Staub von unseren Stiefeln werden schütteln und in die Fremde gehen müssen. Wie seltsam! Mein Vater, ein berühmter Kliniker, der nicht wenig zum Ruhm der Wiener medizinischen Schule beitrug, mein Großvater, schon ein erbangesessener Kaufmann vom Mariahilfer Grund und ich selbst. – — Nun, man behauptet, daß ich in meinen Dramen und Romanen das Wiener. Wesen tief erfaßt und wie kein anderer die Wiener Jugend, das süße Mädel erkannt und geschildert habe. Und nun ist das alles nichts gewesen, ich bin einfach ein fremder Jude, der hinaus muß, wie irgendein galizischer Flüchtling, den eine Spekulationswelle nach Wien verschlagen!“

      „Immerhin,“ sagte der junge Lyriker Max Seider leise mit zitternder Stimme, „immerhin, Sie werden auch fern von der undankbaren Heimat sich wohl fühlen können. Berlin wird Sie mit offenen Armen aufnehmen,


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