Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes LindemannЧитать онлайн книгу.
nach Mauretanien und in den Sudan, zogen und das Gebiet südlich der Sahara, das „Schwarze Afrika“, durchdrangen. Kurz vor dem Jahre 1600 ritten die Mannen des Sultans von Marokko hoch zu Kamel ins Songhai-Reich ein und zerstörten es – auf jene Zeit gehen die heute verschiedentlich vorgebrachten Ansprüche Marokkos auf Mauretanien zurück!
Tonio wohnte am Rande von Port Etienne, sein von ihm selbst gebautes Haus wurde fast von Sanddünen erdrückt. Auch seiner „Fabrik“, einem großen leeren Schuppen, in dem Jeeps repariert und gleich daneben Fische getrocknet wurden, erging es nicht anders. Sand, wohin man blickte.
Tonio ist ein politischer Flüchtling des Francoregimes, aber in der Spanischen Sahara macht ihm kein Mensch Schwierigkeiten, wenn er dort besuchshalber auftaucht.
Am Hafenbecken von Port Etienne stinkt es wie auf dem Altonaer Fischmarkt; man fällt über unzählige Gestelle, auf denen in der prallen Wüstensonne Fische getrocknet werden. Ganz Westafrika bezieht seinen Trockenfisch aus Port Etienne; in Dakar ist er genauso willkommen wie in Lambarene. Die Fanggründe – die besten, die sich ein Fischer wünschen kann – liegen direkt vor der Haustür.
Süßwasser aus dem Meer
Auf dem höchsten Hügel von Port Etienne steht die „Wasserfabrik“. Dort wird durch Erhitzen aus Salzwasser Trinkwasser gewonnen. Anfangs brachte man von St. Louis oder Dakar Frischwasser herbei; das aber wurde auf die Dauer zu teuer und war auch zu umständlich. So baute man die Fabrik. Unter französischer Herrschaft wurde das Wasser frei verteilt. Seit Mauretanien jedoch eine Republik ist, zahlen Franzosen wie Eingeborene für jeden Liter Süßwasser umgerechnet drei Pfennig; das summiert sich dann für jeden Haushalt zu einigen Mark pro Tag.
Der Direktor der Wasserfabrik lud mich nach einem Rundgang durch seine Arbeitsstätte in sein Haus ein, in dem von allen Wänden Jagdtrophäen herabschauten. Wir kamen darauf zu sprechen, wie man am besten Süßwasser aus dem Meer gewinnen könne. Mein Gastgeber wußte nichts darüber, er hatte nun einmal seine Destillationseinrichtung, und um andere Methoden kümmerte er sich nicht.
Über eine halbe Million Menschen leben heute von Trinkwasser, das aus dem Meer gewonnen wird: auf Schiffen, auf kleineren Inseln – zum Beispiel in der Karibischen See – und am Rande von Wüsten. Die Zahl derer, die ihr Trinkwasser aus dem Ozean beziehen, wird wachsen, denn schon gibt es in vielen Ländern alarmierende Nachrichten über ein Absinken des Grundwasserspiegels. Man wird gezwungen sein, noch intensiver als bisher nach einem Weg zu suchen, der zur Erfüllung des alten Menschheitstraumes – Süßwasser aus dem Meer – führt.
Vor mehr als zwei Jahrtausenden berichtete der große griechische Philosoph Aristoteles, er habe von Fischern gehört, die ihr Trinkwasser aus dem Meer bezögen. Ihr Verfahren sei einfach: sie hielten Tonkrüge in die See, deren Wandungen nichts durchließen als – Süßwasser. Aristoteles muß sich – wie so oft – geirrt haben, denn bis heute hat die Wissenschaft noch kein einziges Mittel entdeckt, mit dessen Hilfe sie ohne großen Kostenaufwand und in größerer Menge aus dem Meer salzfreies, genießbares Wasser gewinnen kann.
Schon in der Schule lernen wir, daß Schiffbrüchige kein Seewasser trinken dürfen. Wenn vor nicht allzu langer Zeit versucht worden ist, diese These umzustoßen und ein leichtgläubiges Publikum von der Genießbarkeit des Meerwassers zu überzeugen, so kann das vielen Menschen das Leben kosten.
Es waren die fatalen Berichte eines sogenannten „freiwilligen Schiffbrüchigen“, dessen großes und bequemes Schlauchboot ihn über den Ozean segelte, die diese Mär vom Salzwassertrinken förderten. Als die Ideen dieses Mannes durch die Presse gingen, ohne daß sich eine Gegenstimme meldete, wollte ich der Sache auf den Grund gehen und versuchte auf meiner Einbaumfahrt von Portugal nach Haïti, verschiedene Mengen von Salz wasser zu trinken. Das Ergebnis war immer das gleiche: nach einem Tag bekam ich geschwollene Füße, nach weiteren 36 Stunden schwollen sogar meine Knie an.
Statistiken, die in England ausgearbeitet worden sind, zeigen ganz eindeutig, daß in Rettungsbooten, in denen während des Zweiten Weltkrieges von Schiffbrüchigen Seewasser getrunken wurde, die Todesrate weit höher lag als in Booten, deren Schiffbrüchige kein Salzwasser tranken.
Wie konnte also dieser „freiwillige Schiffbrüchige“ Salzwasser empfehlen? Wie es mit seiner Liebe zur Wahrheit bestellt ist, läßt sich seinen Berichten entnehmen. So schreibt er, er habe in Las Palmas Lebensmittel an Bord genommen, die versiegelt gewesen seien. Mitglieder des dortigen Yachtclubs jedoch, die die Verpflegung in seinem Schlauchboot verstauten, bezeugen mit Entschiedenheit, daß diese Vorräte nicht versiegelt waren. Sie wissen auch, daß der „Salzwasser-Trinker“ mindestens 60 Liter Frischwasser mit sich führte. Auf hoher See tankte er außerdem bei zwei vorbeifahrenden Dampfern auf; die erste Begegnung gesteht er ein, die zweite verschweigt er. Der Kapitän und die Passagiere dieses zweiten Schiffes, des holländischen Dampfers „Bennekom“, melden jedoch eindeutig, er habe Verpflegung übernommen. Fotos davon erschienen sogar in den Zeitungen.
Von seiten der Wissenschaft ist schon vor längerer Zeit dargelegt worden, daß Schiffbrüchige nur dann mit einigem Nutzen für den Körper Seewasser trinken können, wenn es 50 Prozent Frischwasser enthält. Ein Mensch darf in geringen Mengen auch dann Seewasser zu sich nehmen, wenn er – wie es in den Tropen der Fall ist – viel transpiriert hat und sein Körper dadurch Salz verlor. Unbedingte Voraussetzung ist allerdings, daß er genügend Süßwasser vorrätig hat; denn durch den Salzwassergenuß wird ausschließlich der Salzhaushalt des Körpers wieder reguliert, das Süßwasserbedürfnis des Körpers im physiologischen Sinne jedoch gesteigert.
Wissen muß man in diesem Zusammenhang, daß jemand, der sich im Wasser aufhält, weniger schwitzt und daher weniger zu trinken braucht. Aus diesem Grunde hört man oft die irrtümliche Ansicht, der Körper nehme beim Baden Frischwasser durch die Poren der Haut auf.
Leider gibt es immer noch Menschen, die an der Idee des Salzwassertrinkens hängen wie ein Kind an einem wertlosen Spielzeug. Sie sagen, daß man im Höchstfall bis zu fünfeinhalb Tagen Seewasser in kleinen Dosen trinken dürfe. Auch sie müssen zugeben, daß es danach unbedingt nötig ist, größere Mengen an Süßwasser zu trinken, wenn der Schiffbrüchige nicht sterben soll. Und da wird sich der Seemann sofort fragen: „Woher soll ich denn wissen, daß ich vor Ablauf dieser Frist gerettet werde oder Regenwasser auffangen kann?“
Was viel wichtiger ist: ein Mensch kann länger als sechs Tage am Leben bleiben, wenn er überhaupt keine feste oder flüssige Nahrung zu sich nimmt. Das bewies unter anderem ein Schiffbrüchiger des letzten Krieges, der elf Tage lang weder trank noch aß und dennoch überlebte.
Es ist nichts mit der modernen Mär vom Salzwassertrinken; geblieben ist die alte Forderung: Niemals Seewasser trinken! Rettungsboote oder -inseln tragen dem Rechnung; neben Wasserkonserven haben sie Chemikalien zur Gewinnung von Süßwasser an Bord, oder sie führen Sonnendestillatoren mit sich. Zur Seenotausrüstung von Fliegern gehörten schon im Zweiten Weltkrieg Pulver oder Tabletten, die aus dem Meerwasser das Salz ausfällen, so daß man das Wasser abtrinken kann. Als weniger angenehm empfanden die Schiffbrüchigen ein Verfahren, in dem Tabletten das Natrium im Seewasser banden; man mußte dabei leider das ganze Salzgemisch trinken.
Vielen über See abgestürzten Fliegern hat auch der von den Amerikanern entwickelte Sonnendestillator das Leben gerettet. Dieser handliche, kleine Apparat besteht aus einer flachen Destillierblase, die schwarzgestrichen ist und einen dicht schließenden Glashelm besitzt. Das Gefäß wird mit Salzwasser gefüllt und der Sonne ausgesetzt, die die Flüssigkeit verdunsten läßt. Dabei kondensiert sich der Dampf unter Bildung von salzfreien Wassertropfen, die in eine Rinne am unteren Rand des Gefäßes abfließen und dort gesammelt werden.
Für Brackwasser – das Grundwasser der ganzen Saharaküste ist brackisch – eignet sich das neue Membranverfahren. Salz besteht aus Natrium und Chlor. Wenn nun – einfach ausgedrückt – Salzwasser zwischen zwei elektrisch geladenen Polen hindurchfließt, werden die Natriumionen vom negativen, die Chlorionen vom positiven Pol angezogen, und es bleibt Trinkwasser übrig. Die Stärke des Stromes, die zu diesem Verfahren nötig ist, hängt von der Salzkonzentration ab; daher wird der Stromverbrauch bei Brackwasser geringer.