Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes LindemannЧитать онлайн книгу.
meinem Boot mitnehmen.
Wenn ich die Wahl hätte, würde ich von allen westafrikanischen Inseln Annobón den Schönheitspreis geben, so lieblich, friedlich und idyllisch ist es. Ich machte Ausflüge: zum Pico del Fuego, der wie ein erhobener Zeigefinger über die tropische Landschaft auf vulkanischem Grund ragt, zum Kratersee Lago Mazafin im Innern der Insel. In seinem flachen Uferwasser eilen Tausende und Abertausende von Gambusien umher, kleine Fische, die mit besonderem Genuß die Larven der Malaria übertragenden Mücken verzehren. Diese Fische wurden in fast allen tropischen Ländern aus Amerika eingeführt, damit sie den Menschen in seinem Kampf gegen die Malaria unterstützen.
Im Archiv der Insel ist ein Fall von „Tropenkoller“ verzeichnet: als der Gouverneur aller spanischen Guineagebiete Annobón einen Besuch abstattete, wurde der Inselfürst plötzlich verrückt. Was in seinem Hirn vorging, ob ihn die Konkurrenz wurmte, oder ob er einfach zu tief ins Glas geschaut hatte, ist nicht bekannt. Jedenfalls stürzte er sich bei einem Fest, das man zu Ehren des hohen Gastes veranstaltete, auf den Gouverneur und schnitt ihm mit den Worten „Hier bin ich Gouverneur!“ den Hals ab – nicht mehr und nicht weniger.
Die Zeit auf Annobón verging durch die Gastfreundschaft der beiden Spanier nur allzu schnell. Ein letztes Mal tischten sie auf: ein Schaf, Tortillas, Paella, Membrilla-Gelee, dazu Jerez-Wein, Turron, Champagner … wer weiß, wann sie jemals wieder Besuch bekämen, meinten sie. „Vaya con Dios!“ – alle winkten sie, als ich abfuhr: die Padres, die Afrikaner und nicht zuletzt Ricardo und Rudolfo …
Annobón wurde bald ein blasser Streifen am Horizont und verschwand. Afrikas Küsten lagen jetzt weit hinter mir, für eine ganze Weile würde ich sie nicht wiedersehen.
Vor mir lag, 1400 Seemeilen entfernt und mitten im Südatlantik, die britische Insel Ascension. Zehn bis vierzehn Tage rechnete ich für die Fahrt. Ursprünglich hatte ich den Atlantik ohne Zwischenlandung in Höhe des Äquators überqueren wollen, aber als ich meinen Segelfahrplan betrachtete, stellte ich fest, daß ich noch genügend Zeit für einen Abstecher nach dieser einsamen Insel übrig hatte. Ein Hochseesegler kann also durchaus einen Fahrplan einhalten, vorausgesetzt, er kennt sein Boot und die örtlichen Verhältnisse.
Sechstausend Meilen Küstenfahrt lagen hinter mir, sechstausend Seemeilen, in denen ich auf Riffe auf der einen und Dampfer auf der anderen Seite achten mußte. Jetzt endlich konnte ich auf dieser dritten Atlantiküberquerung fern der Dampferstraßen nachts wieder schlafen. Und jetzt endlich würde ich dazu kommen, in meine Bordbibliothek zu schauen. Vierhundert Bücher befanden sich an Bord. Dabei hatte ich einige bereits von Las Palmas aus nach Hause gesandt, weil in jedem Hafen neue hinzukamen. Als mein Boot in Freiburg an der Niedereibe etwas unkonventionell von Stapel lief, hatte es einen Tiefgang von 1,50 m, als ich von Freiburg zu dieser Großfahrt startete, lag die LIBERIA IV 1,80 m tief im Wasser, und weniger wurde es auf der ganzen Fahrt nie.
Wie mein Boot entstanden war
Der Wind sauste in der Takelage und füllte die Segel, der Mast arbeitete, und ich hörte ihn stöhnen; jedes wohlvertraute Geräusch erweckte ein Hochgefühl in mir. Ich fuhr zum dritten Mal auf eigenem Kiel nach Amerika. In einem soliden, starken Kutter, auf den ich mich verlassen konnte.
Monatelang hatte ich an der Ost- und Nordseeküste nach einem geeigneten Boot für diese Fahrt Ausschau gehalten, aber immer gab es zu viele Kompromisse zu schließen: mal war das Boot zu groß, dann wieder zu klein, mal zu schwach gebaut, dann wieder zu alt oder gar unverkäuflich.
Segelriß 1:140 (hier ohne den später hinzugekommenen Klüverbaum).
Länge über Alles 8,98 m, Breite 3,15 m, Tiefgang 1,50 m, gr. Freibord 0,65 m, Verdrängung 7,5 t. Motor 18 PS Güldner-Diesel. Großsegel 21,56 m2, Fock I 8,50 m2, Klüver 7,31 m2, Ballon 22,46 m2, Fock II 5,57 m2.
Einrichtungsplan, Linienriß und Decksplan 1:90.
Die „LIBERIA IV“ wurde auf der Yacht- und Bootswerft H. Hatecke in Freiburg/Elbe für die Atlantiküberquerung gebaut. Der Entwurf des Bootes stammt von der Yacht- und Bootswerft Matthießen & Paulsen in Arnis an der Schlei, die das Boot 1947 als „Fischerei-Forschungsfahrzeug“ entwarf und baute. Das Boot mit seinen sehr starken eichenen Verbänden und seinen 32-mm-Planken ist eigentlich mehr als „Gebrauchsfahrzeug“ denn als Sportyacht anzusehen. Die „LIBERIA IV“ hat mit ihren rund 9 m über Alles die nach den Erfahrungen günstigste Länge für einen Weltumsegler mit ganz kleiner oder auch nur einköpfiger Besatzung. Der lang durchgehende Kiel sorgt dafür, daß das Boot mit festgesetztem Ruder allein seinen Kurs hält. Form, Bauart und Einhängung des Ruders sind so, daß es hier kaum eine Havarie geben kann. Der Ballastkiel besteht aus Gußeisen.
Ein neues Boot? Ich war skeptisch gewesen, denn ich hatte alle meine Fahrten selbst finanziert, und der Rest des Geldes, das ich in vielen Auslandsjahren verdient hatte, reichte nicht weit – glaubte ich. Dann jedoch machte ich einen „Minimumanschlag“ und suchte mit einem Freund nach einer Werft, deren Preise noch nicht dem deutschen Wirtschaftswunder angepaßt worden waren. Auf dieser Suche kamen wir nach Freiburg an der Niederelbe, und ich beschloß, mein Boot auf der Werft Heinrich Hatecke bauen zu lassen.
Soweit es ging, schaute ich selbst nach dem Bau; ich war dabei, als die Werft den gußeisernen Kiel legte, die Eichenspanten – teils „gewachsene“, teils im Dampf gebogene – setzte und die Außenhaut – 3 cm dicke Gebirgslärchenplanken – an die Spanten vernietete. Das Deck wurde aus Teakholz, die Aufbauten und die Inneneinrichtung aus afrikanischem Mahagoni hergestellt: auf der Steuerbordseite der Kartentisch, eine Eckbank, über der drei größere Borde eingebaut wurden, im Vorderschiff eine Koje, zwischen Mast und Koje ein Kleiderschrank, ein Schrank für Ersatzteile und Bücher.
Auf der Backbordseite befanden sich: die Kombüse, eine Koje, davor eine Bank, im Vorschiff ein Bücherschrank, ein Fotoschrank, eine Bank und ein Schrank für Werkzeuge. Ganz vorn im Schiff lag die Vorpiek mit Raum für Segel, Ankerkette und Ankertrosse. An den Motorenraum schlossen sich achtern die Plicht an, zwei Tanks für Treibstoff und ein Wassertank im Achterpiek.
Die Arbeit der Werft, die solide Bauweise, sowie die praktische Inneneinrichtung, waren überall gelobt worden. Auch die navigatorische Einrichtung entsprach meinen Erwartungen. Außer den Instrumenten und Fachbüchern, die ich schon im Faltboot mit an Bord gehabt, aber bei der Kenterung verloren hatte, (zwei Fluidkompasse, ein Chronometer, ein Sextant, der Nautische Almanach und Seekarten), führte ich einen Peilkompaß, nautische Tafeln, Küstenhandbücher, Leuchtfeuerverzeichnisse, ein Echolot und ein Transistorradio mit, das mir selbst in Gabon noch die Zeitzeichen Washingtons übermittelte.
Täglich 150 Beobachtungen
Vom Seewetteramt hatte ich Präzisionsgeräte zur Verfügung gestellt bekommen, um im Rahmen des Geophysikalischen Jahres meteorologische Beobachtungen durchführen zu können. Dreimal täglich mußte ich 50 bestimmte Fragen beantworten! Einhundertfünfzig Antworten! Es war das erste Mal, daß sich ein Einhandsegler dieser Prozedur unterwarf.
Diese Beobachtungen sollten Aufschluß geben über Wind, Sicht und Wetter, Luftdruck und Luftdruckänderungen, Lufttemperatur und Feuchte, untere, mittlere und hohe Wolken, Periode, Höhe und Richtung von Wellen etc. etc. Es fiel mir manchmal nicht ganz leicht, die Beobachtungen regelmäßig durchzuführen. Interessant sind sie nicht, die Temperaturmessungen ausgenommen. Als höchste Wassertemperatur maß ich einmal vor der Guineaküste bei Flaute 30,5 Grad Celsius.
Eine der Fragen, die immer wieder von Laien an Segler gestellt werden, ist