Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes LindemannЧитать онлайн книгу.
Karibischen Inseln ist St. Lucia ohne Frage eine der schönsten. Die Einfahrt zum Hafen Port Castries erinnert an einen Fjord. Auf den Bergen der Nordseite wachen Befestigungen, moderne Villen liegen auf der Südseite, etwa zwanzig größere Yachten ankerten in einem Arm der tiefeingeschnittenen Bucht, an deren Ende Port Castries auftaucht.
Siebenmal haben die Franzosen die Insel besetzt, siebenmal die Engländer; heute gehört sie der westindischen Föderation an. Die Ortsnamen auf St. Lucia sind vorwiegend französisch, selbst in Kultur und Sprache schienen die Einwohner uns mehr französisch zu sein als britisch, obwohl die Insel jetzt schon seit rund 150 Jahren in ununterbrochenem Besitz der Briten war.
Als 1942 zwei britische Frachter ein deutsches U-Boot, das vor dem Hafen auf ihr Herauskommen lauerte, über Gebühr lange warten ließen, tauchte das U-Boot kurz entschlossen in den engen Hafen und versenkte die beiden Dampfer an Ort und Stelle. Dann kam es an die Oberfläche und suchte das Weite. Sofort setzte eine Verfolgungsjagd ein – das U-Boot jedoch blieb verschwunden; man nimmt an, es habe in einer kleinen Bucht einige Meilen südlich von Port Castries solange auf dem Meeresgrund gewartet, bis die Jagd abgeblasen wurde.
Wir lagen inmitten von Yachten aus aller Welt. Die meisten waren Amerikaner, einige ßriten, andere Kanadier, Belgier und Südafrikaner. Den einen diente ihre Yacht lediglich als schwimmendes Haus, sie wagten sich alle Jahre nur einmal aus dem Schutz der Insel heraus; die anderen segelten auch, und zu ihnen gehörte Bob Elliot, das Baby unter den Einhandseglern: er hatte als Neunzehnjähriger den Atlantik allein überquert. Ich hatte ihn bereits in Las Palmas kennengelernt. Er wollte nun auf St. Lucia sein Boot überholen und wieder nach Europa zurücksegeln, allerdings mit einem Mitsegler. Das Einhandsegeln hatte er sich leichter vorgestellt.
Wir wurden zu einer Party auf einem großen kanadischen Boot eingeladen. Eine lustige Gruppe von Seglern gab sich alle Mühe, im Schatten eines Sonnensegels das dauernde Flüssigkeitsdefizit der Tropen durch genügende Mengen von Alkohol wieder auszugleichen. Man tanzte an Bord, man flirtete und benahm sich ungeniert. Eine Seglerin empfing mich mit den Worten: „Ah, da kommt der bestgehaßte aller Hochseesegler!“
„Wie meinen Sie das?“ fragte ich sie verwundert.
„In früheren Zeiten wurden die Hochseesegler als Helden betrachtet, seitdem Sie aber in einem Einbaum und in einem Faltboot über den Ozean segelten, sind wir blamiert, erniedrigt und infolgedessen beleidigt. Das einzige, was uns zu unserer Ehrenrettung übrig bleibt, ist, Sie für verrückt zu erklären!“
Da die Dame offensichtlich ein ganz schönes Flüssigkeitsdefizit ausgeglichen hatte, tröstete ich sie mit dem Versprechen, sie bestimmt mitzunehmen, wenn ich je wieder in einem Einbaum über den Atlantik segeln wollte.
Anderntags lernten wir einen Kollegen kennen, der früher in Amerika eine blendende Praxis besessen, sich dann aber plötzlich hierher zurückgezogen hatte. Er hängte den Arztkittel an den Nagel, kaufte sich einen kleinen Berg am Rande des Hafens und züchtet jetzt Hühner und Obstbäume und lebt mit einer hübschen Schwarzen zusammen.
Der Exkollege schrieb uns einige Zeilen in unser Bordbuch und unterzeichnete mit „TTT“. Als wir ihn fragten, was für ein akademischer Grad das sei, schrieb er die drei Buchstaben aus: „Typischer tropischer Tramp“.
Menschen wie ihn findet man in fast jedem Tropenroman, tatsächlich aber auch auf fast jeder Tropeninsel. Der Geschäftsführer des Hotels, in dem wir aßen, war aus Europa zur überprüfung der Bücher nach St. Lucia geschickt worden und für immer hier geblieben. Ein kanadischer Arzt hatte seinen Urlaub hier verlebt und war nicht mehr nach Kanada zurückgekehrt. Auf den amerikanischen Jungferninseln lernten wir diese harmlosen „Tramps“ später in noch größerer Anzahl kennen; diese Inseln schienen ein Hort für Tropentramps aus den Vereinigten Staaten zu sein.
Nachdem sich halb St. Lucia bemüht hatte, die Umsteueranlage der LIBERIA IV zur Arbeit zu bewegen – für kurze Zeit klappte es sogar –, segelten wir schließlich nach Pigeon Island, das ein bis zwei Kabellängen1 im Nordwesten von St. Lucia liegt.
Ein weiblicher Robinson
Miss Josset Legh, die einzige Dauerbewohnerin der Insel, hatte uns kommen sehen. Sie empfing uns in ihrer geräumigen, zum Meer hin geöffneten, afrikanischen Palaverhütte. Ehe wir das aufgebaute Fernrohr, mit dem sie ihre Gäste schon von weitem beobachtet, sowie die vielen Fischernetze, Kanonen, Korallen, vor allem aber ihre Bambusbar betrachten konnten, über der Fotografien von Yachten aus aller Welt hingen, hatte sie uns schon einen Drink serviert und prostete uns ein Willkommen zu.
Wir kamen schnell ins Gespräch. Niña wollte wissen, ob Josset sich so allein auf dieser Insel nicht fürchte, sich nicht einsam fühle?
Die alte Dame beugte sich über die Theke und flüsterte uns zu: „Wissen Sie, ich bin niemals allein hier. Mein Kind ist bei mir und leistet mir Gesellschaft. Obwohl es schon lange tot ist, haben wir stets Kontakt miteinander. Und dann höre ich immer Musik in der Luft; die Wellen des Kosmos tragen mir Melodien zu, Orchestermusik, wie sie kein Mensch besser empfangen kann.“
„Wie hat es Sie denn hierher verschlagen?“ erkundigten wir uns.
„Ich war früher Schauspielerin in London. Mein ganzes Leben lang habe ich von einer Tropeninsel geträumt und bin glücklich, daß mein Traum in Erfüllung gegangen ist. Diese Insel ist mein Werk, alle diese Hütten habe ich mit meinen eigenen Händen gebaut.“
Unwillkürlich schauten wir auf ihre kräftigen, muskulösen Hände. Mir schien sie überhaupt mehr einem englischen Richter mit weißer Perücke als einer Frau zu gleichen. Weiblich war jedoch ihr kurzes Strandkostüm, das an Nacken, Armen und Beinen ihre feste braun gegerbte Haut frei ließ. Immer noch sah man Josset an, daß sie vor 40 Jahren oder so eine blendende Schönheit gewesen sein muß.
Sie fuhr fort: „Früher half mir meine Mutter, vor kurzem aber fiel sie vom Dach, als sie es mit Zitronellagras ausbessern wollte. Sie brach sich ein Bein und starb.“
„Und wie alt war Ihre Mutter, als sie vom Dach fiel?“
„93 Jahre. Ich habe sie hier beerdigt.“
Spökenkieker unter Palmen
Mich interessierten Jossets merkwürdige Anschauungen aus dem Bereich des Mystizismus, und um das Gespräch in diese Richtung zu lenken, erzählte ich ihr ein eigenes Erlebnis parapsychologischer Art.
„Dies ist eine Insel, auf der vieles passiert, das sich nicht mit dem Verstand erklären läßt“, sagte Josset. „Geister gehen hier umher und treiben ihr Unwesen. Manchmal brennt nachts auf den Hügeln ein Licht, und wenn ich dann den Berg hinaufklettere, ist kein Licht mehr da. Manchmal finde ich morgens abgeschlagene Bäume vor. Ich frage Sie: wer hat Interesse daran, hier mit dem Haumesser Bäume zu fällen!?“
Niña und ich schauten uns fragend an, wir wußten es nicht.
„Nur die Seelen der Toten; sie wollen nicht vergessen sein. Die Insel wimmelt von Toten; unter jeder Krume Erde liegen Gebeine –, von den Indianern, die ihre Toten von St. Lucia hierherbrachten, von den Briten, die hier eine Garnison errichteten und deren Soldaten wie die Fliegen an Malaria, Dysenterie, Gelbfieber und anderen Krankheiten starben.“
Josset war ganz in ihrem Element, eine Geistergeschichte folgte der andern. Ich hörte gespannt zu, Niña jedoch zog die Brauen hoch. Später lachte sie mich aus: „Typisch Mann! Du hast nicht einmal gemerkt, daß sie uns Theater vorspielte – sie ist eine gute Schauspielerin.“
Am Nachmittag tollten wir auf der Insel umher. Während Niña auf Rodneys Fort ein Sonnenbad nahm, kletterte ich in einsame Buchten, um nach dem Schatz zu suchen, den französische Seeräuber – wie Josset uns anvertraut hatte – hier deponiert haben sollen …
Nach dem Abendessen bei Josset wollte Niña gern in einem der verwunschenen Häuser schlafen. Warum auch nicht? Ich mußte jedoch auf mein Boot zurück, weil der Ankergrund bei starken Winden nicht sicher genug war. Als ich Niña am nächsten Morgen in ihrem Wunschhaus mit dem Palmendach abholen wollte,