Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes LindemannЧитать онлайн книгу.
lediglich vor der Tollwut schützen, die diese Vampire, auch große Blutsauger genannt, übertragen. Jährlich fallen im tropischen Amerika eine große Anzahl von Rindern auf diese Weise der Tollwut zum Opfer.
Der Große Blutsauger ist ein ausgezeichneter Chirurg; die Zähne dieses häßlichen Tieres, dessen Gesicht dem einer tollwütigen Bulldogge ähnelt, werden wie Messer benutzt, die die Haut mikrotomisch fein durchschneiden. Der Speichel des Vampirs verhindert, daß das Blut, welches mit der Zunge aufgeschlappt wird, gerinnt.
Die Vampire scheinen sich an ihre Opfer zu gewöhnen, denn sie fallen häufig immer wieder über die gleichen Menschen und Tiere her. Bei einer Untersuchung ist festgestellt worden, daß in manchen Dörfern Trinidads die Hälfte aller Kinder nachts von Vampiren gebissen wurden.
Der Asphaltsee
Bevor wir das trotz Moskitos und Vampiren gastliche Trinidad verließen, mußten wir ein touristisches Soll erfüllen und uns den Pitch Lake, den Asphaltsee von La Brea, ansehen. Er ist kein See, zu dem man mit dem Badezeug in der Tasche fährt, sondern eine „Asphaltmine“, die im Tagebau abgebaut wird.
Auf dem Weg nach La Brea fuhren wir wieder an Mangrovensümpfen vorbei, die dem Slumbezirk von Trinidad, der Shanty Town, gegenüberliegen. Wir benutzten eine Autostraße, von der man sagt, sie schwämme auf morastigem Grund. Es ging durch Zuckerrohrfelder, auf denen Ostinder Zuckerrohrstengel auf kleine, von Wasserbüffeln gezogene Karren warfen, vorbei an großen ölraffinerien und durch die frühere Hauptstadt San Fernando, in der mehr Ostinder als Schwarze arbeiten sollen.
Schließlich erreichten wir das La Brea-Kap. Nicht weit vom Meer liegt der beinahe kreisrunde „See“. Ein Führer gab uns Antwort auf meine Fragen – Sir Walter Raleigh habe hier schon kurz vor der Wende des 16. zum 17. Jahrhunderts seine Schiffe mit Asphalt aus diesem See abgedichtet! 100 Meter sei das „Gewässer“ tief; täglich lasse man etwa 400 Tonnen harten Asphalts ab, und eine Schwebebahn könne in 24 Stunden 1500 Tonnen Asphalt vom See zum Meer transportieren. Aber von den winzigen Fischen, die im dunklen Wasser der engen Ritzen schwimmen, wußte er leider nichts. Trotz eifrigen Suchens konnte auch ich keine entdecken, dennoch hausen sie dort, und ich halte das fast für ein ebenso großes Naturwunder wie die Existenz des Asphaltsees überhaupt.
Auf dem See gibt es einige weiche Stellen, denen man aber ausweichen kann, weil man sie ohne weiteres erkennt. Gerade vor wenigen Tagen war ein Polizist am Rande des Asphaltsees brusttief eingesunken, konnte aber wieder befreit werden.
Außer dem See spielen im Wirtschaftsleben Trinidads vor allem das öl und der Fremdenverkehr eine große Rolle. Calypso sänger fördern beträchtlich den Tourismus; in allen besseren Unterhaltungslokalen, am Strand und sogar auf den Straßen trifft man sie an und wird von ihnen besungen. Niña hörte so viele Komplimente von diesen Berufssängern, daß sie davon auf hoher See noch zehrte.
In Port of Spain hatten wir ein Erlebnis, das sich uns in ähnlicher Form noch öfter in Westindien bot: unser Gastgeber machte uns vor einem Museum stolz auf einen Anker aufmerksam, den Kolumbus auf seiner ersten Reise an den Küsten Trinidads verloren haben soll. Ich versagte mir höflich den Hinweis, daß Kolumbus auf seiner ersten Reise von der Existenz der Insel noch gar nichts wußte, daß er sie erst auf seiner dritten Fahrt entdeckte und ihr einen Namen gab. Auf mehreren Karibischen Inseln rühmt man sich eines solchen Ankers; man könnte meinen, Kolumbus habe eine erkleckliche Anzahl von Ankern als Souvenirs mitgeführt.
Sturmfahrt zur Gewürzinsel
Von der Chaguaramas Bay, dem amerikanischen Stützpunkt auf Trinidad, starteten Niña und ich unsere gemeinsame Fahrt durch die Kariben. Freunde hatten uns zum Abschied noch ein fertiges Essen an Bord gebracht, das wir auf der Ausfahrt durch die Boc a de Monas, das Affenmaul, verzehrten. Niña freute sich besonders auf diese Fahrt von Insel zu Insel; sie ahnte nicht, daß es auch in der Karibischen See mit Sturmesstärke blasen kann, sobald man aus dem Windschutz der Inseln herauskommt. Sie sollte es bald spüren.
Kaum hatten wir die Nase aus dem „Affenmaul“ herausgesteckt, da überfiel uns ein so wütender Nordostpassat, daß wir am liebsten gleich wieder umgekehrt wären. Als es dazu noch fürchterlich zu regnen begann, verzog sich Niña in die Kajüte und bereute das gute Essen, das sie soeben verzehrt hatte. Ausgerechnet hier mußte der Regen fallen, wo doch Port of Spain schon seit Monaten auf Wasser wartete und unter Buschbränden litt.
Die LIBERIA IV bolzte sich hart am Wind nach Norden vor. Wir hatten unseren Landfall auf Grenada für die erste Morgenstunde geplant, der steife Passat jedoch ließ uns unser Ziel noch in der Nacht erreichen. Nach 14 Stunden hatten wir rund 90 Seemeilen durcheilt.
Als wir am Morgen erwachten, schien schon die Sonne über die hohen Hänge auf die bunten, sauberen Häuschen von St. George auf Grenada, der „Gewürzinsel“. St. George’s Harbor ist einer der malerischsten Häfen in den an Schönheiten gewiß nicht armen Antillen; es gleicht mehr einer riesigen Theaterkulisse als einem arbeitsamen Hafen. Von den Gewürzen, Zimt, Muskatnuß, Ingwer und Nelken, vom Sapotebaum, aus dessen Milchsaft Kaugummi hergestellt wird, und von den Tonkabohnen konnten wir auch auf unserer Fahrt durch die Insel nichts sehen; wohl aber glaubte Nifia, die Gewürze da und dort zu riechen.
Auf den 60 Seemeilen zwischen Grenada und der nächsten, etwas größeren Insel, St. Vincent, liegen die Grenadinen, eine Gruppe von etwa hundert Inseln, Felsen und Felsenriffen. Da wir auf dieser Strecke heftigsten Gegenwind hatten, erholten wir uns in einer stillen unbewohnten Bucht der Union-Insel. Nach dem furchtbaren Gebolze gegen die anlaufenden Seen tat uns die Abgeschiedenheit und Ruhe dieser Bucht gut, die durch steile Felsenhänge von der bewohnten Ostseite der Insel abgetrennt und nicht leicht zugänglich ist. Wir hörten auf unserem Boot Rußseeschwalben rufen, hörten das Rauschen von aufgescheuchten Fischen, Echos von Vogel rufen, das Plätschern eines Gebirgsrinnsals – glaubten, auf einem See in den Bergen zu sein, nicht auf dem Meer.
Auf der „Brotfruchtinsel“
Bereits am Morgen des folgenden Tages standen wir vor St. Vincent, dessen grüne Hänge uns mit ihren Rindern und Farmhäusern von weitem an eine Almlandschaft in den Alpen erinnerte. Der Hafen von Kingstown ist wunderhübsch von den Hängen einer riesigen Bucht eingerahmt. Wie bevorzugt von der Natur sind doch alle diese Naturhäfen im Vergleich zu den westafrikanischen offenen Reeden!
Mit einem Einheimischen machten wir einen Ausflug durch die „Brotfruchtinsel“, wie man St. Vincent nennt, seit der berüchtigte Kapitän William Bligh Brotfruchtbäume und auch andere Pflanzen von den Pazifikinseln hierher brachte, von wo aus sie sich auf die Nachbarinseln verbreiteten. Noch heute findet man im Botanischen Garten von Kingstown einen Baum, dem man ansieht, daß er schwere Zeiten durchgemacht hat – wahrscheinlich auf der „Bounty“ – und der von den Schößlingen des Kapitäns abstammen soll.
St. Vincent ist als Hauptlieferant der Pfeilwurzelstärke berühmt, die sehr leicht verdaulich ist und deshalb zur Herstellung von Kindernahrung gebraucht wird. Das Pfeilwurzelmehl wird mit Wasser aus den zerkleinerten Knollen und Wurzeln der Pflanze ausgeschlämmt; zu seiner Gewinnung hat man auf der Insel teilweise sogar alte Zuckerrohrmühlen umgebaut.
Zur Abwechslung nahm ich mal wieder einen eingeborenen Mechaniker an Bord, der versuchen sollte, die Umsteueranlage zum Laufen zu bringen. Er interessierte sich für alles, für die Lichtbatterie, für die Brennstoffpumpe, nur nicht für die Umsteueranlage. Als wir abfuhren, lief denn auch nichts mehr, selbst das elektrische Licht an Bord hatte er durch Kurzschlüsse und Fehlanschlüsse – einige Drähte ließ er einfach ins Leere baumeln, andere verband er falsch – zum Stillstand gebracht. Darin unterschied sich das tropische Amerika in nichts von Afrika.
Da wir möglichst viele Inseln sehen wollten, sich aber die Hurrikanzeit näherte und zur Eile gebot, segelten wir nur nachts und besichtigten tags die Inseln. Das war besonders für Niña sehr hart, weil sie jede Nacht ihre Wache stehen mußte; aber solche Leistungen werden weniger durch Muskelkraft als durch Einsicht und guten Willen erzielt, und an bei den mangelte es ihr nicht.
In den Morgenstunden erreichten wir St. Lucia.