Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes LindemannЧитать онлайн книгу.
sind auch da. Wir laufen morgen zusammen aus!«
Es wurde ein lustiger Abend – o ja! Am nächsten Morgen standen Elga und ich auf dem Deck und winkten der »Askadil« und der »Bella Donna« nach, deren Segelsilhouetten schon in der Hafenausfahrt so erschreckend klein wurden. Wir fühlten uns verlassen. Und bald würden auch unsere Segel winzig überm Horizont dort zu sehen sein …
»Wir treffen sie wieder«, sagte ich zu Elga. »Drüben, auf Barbados, auf Antigua, irgendwo ganz bestimmt. Und jetzt heiß mich, bitte, in die Takelage.«
Während zweier Tage saß ich im Bootsmannsstuhl, prüfte das Rigg und brachte die von Elga hergestellten Schamfielings an. Dann kauften wir nach den von Elga aufgestellten Listen Proviant ein. Karton nach Karton mit insgesamt 100 Konservendosen und über 50 kg loser Verpflegung wurden an Bord gerudert, sortiert und zu den alten, gelichteten Beständen gestaut. Das kostete Elgas Geduld und meinen Schweiß: was ich wegpackte – es ging nur Dose für Dose in unserem kleinen Schiff – das wurde von ihr auf Staulisten verzeichnet, um es später auf See wiederfinden zu können. Abends arbeiteten wir die Handbücher des Atlantik, der Westindischen Inseln sowie die Pilotcharts durch. Es entstand der Plan, der die Gegebenheiten von Wind und Strom berücksichtigte und unsere entsprechenden Kurse über den Atlantik festlegte. Erfahrungen von anderen Jachtsleuten, bei vielen Gesprächen gehört, wurden ebenfalls berücksichtigt. Oft sprachen wir während der Arbeit von jenen fernen Inseln. Wir sagten ihre Namen, die uns noch gar nichts bedeuteten, deren Klang jedoch so schön, so verlockend, so geheimnisvoll war.
Die Bestände von Trinkwasser, Benzin, Petroleum wurden ergänzt.
»Wir haben jetzt alles an Bord«, sagte Elga. »Wann wollen wir auslaufen?«
Das war sie, die Frage, auf die wir gewartet hatten. Seit wir die Reise planten und vorbereiteten, seit 8 Jahren also, wußten wir um sie. Und um die Antwort wußten wir ebenso.
»Morgen«, antwortete ich.
Wir gingen frühzeitig zu Bett. Ich lag wach und blickte aus der halb aufgestellten Vorderluke zu den Sternen. Meine Gedanken segelten suchend über den Atlantik. Machen wir eine gute Überfahrt – finden wir den Passat bald – steuert »Kairos« sich selbst ohne unsere Ruderwachen – ist alles stark genug: Wanten, Spannschrauben, Bolzen, Winschen, Blöcke, Spleiße, Schoten, Segel, Muskeln, Herzen, Seelen – treten Schäden ein – beheben wir sie – kommen wir an. Fragen waren es ohne Fragezeichen, weil sie mehr beteten als fragten.
Ich drehe mich zur Seite und schließe die Augen. Wir haben alles getan, was wir tun konnten. Morgen gibt es nur noch eines: segeln.
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Barbados, im Dezember 1964 |
Steuerbord achteraus hob der Pico de Teide, höchster Berg der Kanarischen Inseln, in 40 Seemeilen Entfernung den schneebedeckten Gipfel aus Wolken und Dunst: ein letzter Gruß der Welt diesseits des Atlantik. Wie würde das Land aussehen, das jenseits seiner Wasserwüste in Sicht kommen würde?
Uns blieb wenig Zeit, um solche Fragen zu beantworten. »Kairos« verlangte unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Auf Südwest-Kurs mit Wind und Seegang von Steuerbord querein rollte er heftig, das Steuern war anstrengend. Gischt wehte über Deck.
Trotz Seekrankheits-Tabletten fühlten wir uns miserabel. Ich fluchte kläglich beim Messen der Sonnenhöhe, weil der Sextant naß wurde und ich das Instrument in der Kajüte gründlich trocknen mußte. Nach ihrer Rechenarbeit zeigte auch Elga ein grünblasses Gesicht. Wegen des Seegangs mußten wir alle Luken geschlossen halten. Die Luft in der Kajüte wurde stickig-feucht.
»Ich mag nichts essen«, sagte Elga. »Du? Ich kann auch nichts vorbereiten hier unten.«
»Etwas essen müssen wir –«
Sie schloß die Luke, weil Gischt übers Schiff geworfen wurde. Nach einem Augenblick reichte sie mir lächelnd eine halbe Tafel Nußschokolade heraus. Das Lächeln konnte die Anspannung ihres Gesichtes kaum mildern.
»Iß du auch etwas!« schrie ich. Sie hatte die Luke schon wieder geschlossen. »Und schlaf, so gut du kannst!« Wir brauchten Stärkung in diesem chaotischen Beginn.
Ich aß von der Schokolade, ohne wahrzunehmen, wie sie schmeckte. In mir wuchsen Übelkeit und Angst vor der vorausliegenden Ungewißheit. Umkehren, dachte ich, laß uns umkehren. Zwar wußte ich, daß wir das niemals tun würden, aber dieses Wissen half nichts. Kurs Südwest, Atlantik, 2700 Seemeilen, es ist zum Kotzen, dachte ich, und tat es. Dann aß ich den Rest der Schokolade.
Abends ließ der Wind nach. Die See beruhigte sich. Wir refften aus. Übelkeit und Angstzustände besserten sich. Elga kochte mit Anstrengung das Abendbrot – Corned Beef mit geschmorter Gurke und Makkaroni. Es schmeckte. Unsere Widerstandskraft festigte sich.
Während der folgenden Tage und Nächte beobachteten wir gespannt den Wind, der weiterhin abflaute, auf Nord drehte, einige Schauer brachte – Passat? – und doch wieder auf Nordwest zurücksprang und aufbriste. Es war noch nicht der Passat.
Wache folgte auf Wache. Unsere Müdigkeit nahm schnell zu. Doch gleichzeitig wuchs unser Selbstvertrauen. Unser Anpassungsvermögen machte das Leben auf dem nie bewegungslosen Schiff jeden Tag etwas erträglicher. Wir wurden froh des Windes und des Schiffes, das sprühend durch die blauen Seen zog als Zeichen unseres Willens im Dreiklang von Wasser, Horizont und Himmel. Achteraus versank, so wie vor Tagen die Kanarischen Inseln, was belastend und hemmend auf unseren Seelen gelegen hatte. Wir waren auf See, eingespannt in unser geordnetes Bordleben, eingelassen in eine Freiheit, die der Atlantik mit grenzenlosem Raum vor uns ausbreitete.
Am Morgen des vierten Tages setzten heftige Schauer ein, nach deren Durchzug der Wind auf Nordost drehte und stetig blieb. Es war der Passat!
Ich setzte nun zum ersten Male unsere Passatsegel – zwei Vorsegel, die mit je einem Spinnakerbaum nach den Seiten ausgestützt werden. Von den Nocken der Bäume laufen Leinen über Blöcke und Taljen zur Ruderpinne. Unter dieser Besegelung kann sich das Schiff vor dem Winde selbst steuern. Gleich stark fällt der Wind von achtern in beide Segel und drückt sie nach vorn. Dieser Druck, der dem Schiff Fahrt gibt, überträgt sich gleichzeitig als Zug auf die Leinen und damit auf die Ruderpinne, die das Ruder mittschiffs hält. Läuft das Schiff aus dem Ruder, d. h. ändert es aus irgendeinem Grunde den Kurs, so wird der Winddruck im Segel jener Seite stärker, zu der das Schiff dreht. Die Folge ist, daß die Pinne dem verstärkten Zug von Leine und Talje folgt, den Kurs also berichtigt, bis der Druck auf beiden Seiten in den Segeln wieder gleich stark ist. Das Ganze ist ein Balancesystem, dessen ausgleichende Kraft der Wind erzeugt. Die Manövrierfähigkeit des Schiffes ist unter den Passatsegeln stark eingeschränkt. Es kann nicht wenden oder hoch am Wind segeln. Nähern wir uns Land, so müssen die Passatsegel gegen die konventionelle Besegelung gewechselt werden.
Es kostete mich etwa zwei Stunden Arbeit, bis die Passatsegel gesetzt waren und in voller Wirkungskraft die üblichen, jetzt festgemachten Segel ersetzten. Den Nachmittag verbrachten wir dann neben den Routinearbeiten damit, die Zugkraft der beiden Segel so auf die Pinne zu bringen, ihre noch nicht einwandfrei ausbalancierte Arbeitsleistung so zu verbessern, daß sich das Schiff selbst steuerte. Wir hatten ja keinerlei Erfahrungen in dieser Sache. Die Konstruktion beruhte auf meinen theoretischen Zeichnungen und auf dem, was andere Segler in ähnlicher Weise gemacht und beschrieben haben. Es war manche Änderung notwendig. Wir arbeiteten ohne Pause.
Abends lag Elga müde in ihrer Koje. Ich saß zerschlagen im Niedergang, halb ihr, halb dem Kompaß zugewandt. Wir tranken spanischen Wein und waren schweigsam froh – zu mehr reichte es nicht.
Aber »Kairos« steuerte sich selbst auf Westsüdwest-Kurs. Wie von Geisterhand bewegt, ging die Pinne hin und her, über Taljen und Blöcke eingespannt in den Wechselzug der Passatsegel. Es war großartig!
»Ich werde während der ersten Nachthälfte stündlich Ausguck halten, Schlummertier«, sagte ich zu der schläfrigen Elga. »Du dann in der zweiten. Einverstanden?«
Elga