Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln. Hannes LindemannЧитать онлайн книгу.
Wasser manchmal die Matratzen aus den Unterkojen. Bei Ihnen auch, was?«
Ich vergaß meine nackten Füße. »Wir haben noch nie Seewasser im Schiff gehabt«, sagte ich. »So ein kleines Schiff liegt ja im Vergleich zu einem großen viel besser auf der See. Es ist leicht, es weicht aus, es wird gehoben. Die See findet keine Masse, die sie zerschlagen kann. Freilich, wir segeln nicht in solchen Sturmgebieten wie vor Kap Hoorn.«
Mr. S. hatte sich zu uns gesellt. Auch andere sahen zu uns herüber. Meine Füße wanderten wieder unter den Schutz des Sessels.
Der alte Kapitän sah mich interessiert an. »Würden Sie um Kap Hoorn segeln – well, mit Ihrer Jacht?«
»Nein.«
»Es ist gemacht worden, soviel ich weiß«, warf Mr. S. ein.
»Ja«, sagte ich, »verschiedene Male auf kleinen und großen Jachten.«
Der alte Kapitän schmauchte gewaltige Rauchwolken aus seiner Pfeife. Seine harten, blauen Augen blickten mich unverwandt an. »Es gibt drei Grundregeln«, sagte ich zögernd, »nach denen wir unsere Weltumsegelung durchführen wollen: Sicherheit erst, Wohlergehen dann, Schnelligkeit schließlich. Mit einer Jacht vor Kap Hoorn ist jede dieser Regeln infrage gestellt. Da war die Ketsch ›Tzu Hang‹. Ihr Skipper versuchte, das Kap von West nach Ost zu runden. Die Jacht wurde von einer mitlaufenden Sturmsee überrannt und kenterte in Längsrichtung über den Bug. Die ›Tzu Hang‹ war ein bewährtes Seeschiff.«
»Und die Besatzung?«
»Die Frau des Skippers wurde über Bord gewaschen, griff in die Takelage, die nachschleppte, als sich das Schiff mit gebrochenen Masten und eingedrückter Kajüte wieder aufgerichtet hatte. So konnte sie an Bord gelangen. Der Skipper und ein Freund befanden sich unter Deck. Sie brachen sich nicht das Genick. Man konnte die Jacht lenzpumpen und unter Nottakelage nach Südamerika segeln.«
»Großartige Seemannschaft«, sagte der alte Kapitän.
»Unsichere Reise in totaler Erschöpfung auf einem Wrack«, entgegnete ich. »Diese Menschen waren eisenhart. Sie versuchten später, wiederum Kap Hoorn zu bezwingen. Wiederum kenterte die ›Tzu Hang‹, wiederum erreichte man in Müh und Not Südamerika. Die See ist frei, captain, wirklich frei, und jeder segelt auf ihr nach eigenem Willen die Kurse seiner Bestimmung.«
Der alte Kapitän rauchte gedankenverloren. »Wieviele gute Schiffe«, sagte er schließlich mit einer vagen Handbewegung, »… wieviele gute Schiffe machte Kap Hoorn zuschanden.«
Mr. S. sagte herzlich: »Jetzt will ich Ihnen einmal zeigen, wie wir mit der ›Walanka‹ zur See fahren. Und dabei will ich mich mit Ihnen über Hamburg unterhalten. Ich emigrierte in den dreißiger Jahren. Es blieb mir nichts anderes übrig. Aber ich liebe die Stadt immer noch …«
Und während wir durch sein Schiff gingen, erzählte er Hamburger Geschichten. An der Gangway gaben wir uns die Hand. Elga und ich dankten ihm und seiner Frau. Der alte Kapitän qualmte gewaltige Wolken aus seiner schwarzen Pfeife.
Ich ruderte uns – ruck und ruck – aus dem blendenden Schein der Gangwaylampe. Ein Schlauchboot ist kein Salonsessel.
»Haben Sie Ihre Schuhe an Bord vergessen?« rief Mr. S.
»Keine angehabt!« schrie ich zurück.
Er lachte und hob grüßend die Hand.
»Fair winds!« rief der alte Kapitän mit Kommandostimme.
Am nächsten Morgen schickten sie uns einen gekochten Hummer zum Frühstück und die Einladung zu einem Duschbad für den Nachmittag. Wir freuten uns.
Kuchendüfte wehten am Nachmittag des Silvestertages durch die Kajüte bis hinauf zum Deck, wo ich Ausbesserungsarbeiten machte, die unter der ständigen Einwirkung des Tropenklimas sich nun unaufhörlich fortsetzen.
»Na, wird er was?« rief ich neugierig.
»Nicht so laut!« Elga steckte erhitzt den Kopf aus der Luke. »Sonst wird er klitschig.«
Elga hat in ihrer Patent-Deckelpfanne sogar schon Brot gebacken. Die ständige Gefahr bei solchen Unternehmen ist nur, daß nach kunstvollem Backen Brot oder Kuchen zusammenfallen. Wir ließen bisher nichts unversucht, um diese Gefahr zu bannen – von der Hitzeregulierung bis hin zu magischen Beschwörungen. Die letzteren sind meine große Aufgabe.
»Pfanaseisogut – kuchoprobelei«, flüsterte ich und kramte Farbdosen und Werkzeug zusammen, wobei ich mich der Luke näherte. »Wenn er fertig ist, laß mich probieren, gutes Kind – hungroimmaso –« Aber Elgas Kopf war verschwunden. Ich legte mich in den Schatten des Sonnensegels und sah zum sonnengebadeten Ufer hinüber, wo einige weiße Reiher bewegungslos standen. Darüber schlief ich ein.
Nach dem festlichen Abendessen saßen wir im Cockpit und tranken französischen Rotwein. Kurz vor der Dämmerung waren die weißen Reiher aufgeflogen. Als der Abendschimmer im Westen verglomm und das Konzert von Baumfröschen und Grillen begann, setzte im Uferdickicht das Spiel der Glühwürmchen ein. An immer neuen Stellen glühten sternhafte Punkte auf, verweilten sekundenlang und löschten aus.
Wir hörten Musik im Radio, tanzten ein wenig – so klein ist »Kairos« gar nicht – und unterhielten uns. Der Zauber dieser Inseln war ein unerschöpfliches Gesprächsthema für uns.
Columbus glaubte, den westlichen Weg zum reichen Indien gefunden zu haben. Aber er hatte einen neuen Kontinent entdeckt. Er hinterließ seinen Traum vom Golde, an dem er zerbrach, der spanischen Conquista. Mit Wünschelrute, Schwert und Kreuz wurden die »Westindischen« Inseln während des 16. Jahrhunderts durchstöbert, wurde das Festland im Westen der Karibischen See durchsucht und für die spanische Krone in Besitz genommen. Es wurde ein Abenteuer ohne Grenzen, das den Irrtum des Columbus hinsichtlich des entdeckten Kontinents berichtigte: es war nicht Indien. Aber es steigerte seine Phantasterei vom Gold: man fand niemals genug.
Die Spanier blieben nicht allein. Englands Weg zur Seeherrschaft begann in der Karibischen See. Hawkins und Drake kamen und plünderten die spanischen Niederlassungen wie Piraten. Wirbelsturmgleich stießen sie in die Häfen und schossen alles, was dort schwamm, kurz und klein. Phantastisch, was sie in den besetzten Häfen an Reichtum vermuteten. Sie verlangten Millionen an Lösegeldern, und jede Woche sank ein Straßenzug oder ein Häuserblock in Schutt und Asche, wenn ihre Erpressungen nicht erfüllt wurden. Mit einem Bruchteil von Millionen mußten sie sich begnügen, aber rauchende Trümmer ließen sie zurück. Ruhm und Admiralsrang waren ihnen sicher.
Frankreich durfte nicht zurückstehen. Nicht weniger maßlos als die Engländer handhabte der Pirat Florentin das Geschäft. Holländer und Dänen folgten in Bescheidenheit.
Die Ureinwohner, Kariben und Indios, überlebten den wüsten Einzug des Weißen Mannes nicht. Ihre Arbeitskraft fehlte bald auf den Plantagen. So fingen die Piraten Neger an den Küsten Afrikas und verkauften sie zu lohnenden Preisen, bevor sie brandschatzten und kaperten. Reichtum und Ruhm waren für Flibustier in jenen Tagen ebenso schnell zu gewinnen wie Untergang und Tod.
Weder Blut noch Pulverqualm vermochten den Zauber der Inseln auszulöschen. Ihre Namen sprechen von Träumen und Hoffnungen – Trinidad, Granada, Montserrat, Iles des Saintes, Virgin Islands. Eine Säbelscheide voll Frömmigkeit und ein Pulverhorn voll Romantik schenkten die Räuber und Schmuggler den Inseln ebenso wie tödliche Breitseiten.
Im 17. Jahrhundert werden aus diesen Piraten und Schmugglern Regierungsbeamte und Gouverneure. Die europäischen Mächte wollen verwalten und kolonisieren, was Seeräuber eroberten. Als Gouverneur von Jamaica, geadelt, gut ernährt, mit Richtlinien des Philosophen John Locke für die Verwaltung, die später in der nordamerikanischen Verfassung wiederzufinden sein werden, stirbt Sir Henry Morgan. Als Captain Morgan hing er gefangene Spanier an den Daumen auf, bis sie starben, und die Stadt Panama löschte er mit Schwert und Feuer so gründlich aus, daß sie nur neben den Trümmern neu erbaut werden konnte.
Ein Mäntelchen von Menschlichkeit sollte nun alles haben, einen diplomatischen Hintergrund. So gründet der Franzose d’Esnambuc zunächst eine Regierungsgesellschaft »der Herren der amerikanischen Inseln«, bevor