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Aufbruch in die Dunkelheit. Mark StichlerЧитать онлайн книгу.

Aufbruch in die Dunkelheit - Mark Stichler


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trug einen schmalen, hellblonden Schnurrbart. Seine hellen, wässrigen Augen wanderten stets unstet durch den Raum. Er wirkte schüchtern und konnte niemandem lange ins Gesicht sehen. Zumeist stand er nur bei den anderen und sagte keinen Ton. Die Escher-Brüder nahmen an, Ava lud ihn nur ein, weil er einen vorzüglichen Zuhörer abgab. Und das war auch der Fall. Bei keinem noch so banalen Thema erfand Herr Stange Ausflüchte, um dem Gespräch eventuell entkommen zu können. Geduldig saß er da, den Blick meist zu Boden gerichtet oder auf einen fernen Gegenstand im Raum, und hörte zu. Er nickte meist an den richtigen Stellen oder warf einsilbige Kommentare ein. Bei den seltenen Diners der Mandelbaums, der Alsbergs oder der Eschers war Herr Stange außerdem ab und zu von Nutzen, wenn einmal ein Tischherr fehlte.

      „Eine Folterkammer“, bestätigte Ava, etwas überrascht von Herrn Stanges unerwartetem Einwurf.

      „Ach, was“, rief Simon gereizt und sprang auf. „Wir wissen überhaupt nicht, was das ist.“ Er wurde kurz nachdenklich. „Es war schon ein merkwürdiger Anblick. Aber … wahrscheinlich haben sie dort früher den Hühnern den Kopf abgeschlagen. Es waren ein paar alte Ketten an der Wand. Das ganze Zeug war komplett verrostet.“ Er ging hinüber zu einer Anrichte, auf der verschiedene Flaschen und Flakons standen. „Möchte irgendjemand etwas zu trinken? Cognac? Sherry? Likör?“

      Ava war eigentlich noch nicht bereit, das Thema fallenzulassen. Ihre Entdeckungen im Keller des Hauses hatten ihre lebhafte Fantasie zu sehr angeregt. Doch in diesem Moment ging die Tür zum Salon auf und Herr von Bergen trat ein.

      „Guten Abend, meine Lieben“, rief er und ging rasch auf Ava zu. „Ich hoffe, man verzeiht mir meine Verspätung, aber ich wurde aufgehalten.“

      Er schien ein wenig außer Atem zu sein, sein gewelltes, braunes Haar war leicht zerzaust und die Schleife seiner weichen Krawatte etwas verrutscht. Alles in allem machte er den Eindruck eines jungen Mannes, der sich schweren Herzens von einer äußerst wichtigen Verabredung hatte lösen müssen, ob geschäftlicher oder amouröser Natur blieb offen. Und der sich dann sehr beeilt hatte, noch einigermaßen rechtzeitig zur nächsten Verabredung bei den Mandelbaums zu erscheinen. Es war allgemein bekannt, dass Andreas von Bergen nichts gegen den Ruf eines in Liebesdingen nicht ganz unerfahrenen Mannes einzuwenden hatte.

      Die Alsberg-Schwestern jedenfalls griffen beinahe synchron zu ihren Taschentüchern und tupften sich nervös den Hals, während von Bergen Ava und Simon begrüßte.

      „Es war nichts Wichtiges“, entschuldigte er sich dann noch einmal bei den anderen.

      Hans erschien es beinahe so, als hoffe er durch die Erwähnung weiter nach dem Grund seiner Verspätung ausgefragt zu werden, um irgendwann mit einem Lachen vor dem Ansturm der Fragen kapitulieren zu können und von seiner vorherigen Verabredung zu berichten. Er und von Bergen waren im gleichen Alter und Hans hatte ihn schon seit der Schulzeit in Verdacht, sich immer quasi der Rolle des jungen Adeligen verpflichtet zu fühlen, von der er ein ziemlich klischeehaftes Bild hatte. Wobei der Adel für Hans per se vom Klischee lebte und von Bergen somit ja genau ins Schema passte. Doch jetzt beschäftigten Hans andere Dinge. Die ganze Zeit schon stand er wie abwesend und tief in Gedanken etwas abseits von der Gruppe. Die Aufmerksamkeit, die von Bergen auf sich gezogen hatte, kam ihm gelegen. Er nahm Ava kurz entschlossen am Arm und führte sie ein Stück von den anderen weg.

      „Ich muss mit dir reden“, sagte er leise.

      Beim Fenster blieb er stehen und wandte sich ihr zu. Einen Moment schwieg er und blickte ihr in die Augen. Ava, die seinen Blick zuerst neugierig und mit einem Lächeln erwidert hatte, wurde nervös.

      „Was ist denn los?“, fragte sie und errötete. Ihre Gedanken waren die ganze Zeit mit ihrem Abenteuer im Keller beschäftigt gewesen. Hans’ plötzliche Ernsthaftigkeit irritierte sie.

      „Du heiratest?“, fragte Hans nach kurzem Zögern mit rauer Stimme und wurde plötzlich verlegen. Er versuchte, es zu überspielen, indem er eilig weitersprach, ohne ihre Antwort abzuwarten. „Du hättest ruhig etwas sagen können. Oder ist das ein Geheimnis, das du deinen engsten Freunden vorenthalten willst? Zumindest dachte ich bisher, Eduard und ich gehörten zu deinen engsten Freunden.“

      „Aber ja doch“, rief Ava leise und wandte sich zu den anderen um. Von Bergens Taktik, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, funktionierte. Alle hatten sich um ihn geschart, während Simon einige Gläser füllte und herumreichte. Niemand achtete auf Ava und Hans.

      „Wie kann es dann sein, dass anscheinend alle Welt von deiner bevorstehenden Hochzeit weiß, nur wir nicht?“, fragte Hans mit unterdrücktem Ärger.

      „Ich … Ich …“ Ava war auf Hans’ Vorwürfe offensichtlich in keiner Weise vorbereitet und sehr verwirrt. „Wir haben es doch noch gar niemandem gesagt, außer der engsten Familie“, brachte sie schließlich hervor. „Alle Welt …“ Sie schüttelte energisch den Kopf.

      „Und … Hättest du es nicht wenigstens mir sagen können?“, fragte Hans weiter, durch Avas offensichtliche Bestürzung etwas besänftigt.

      „Ich hätte … Wir hätten es euch natürlich erzählt“, erwiderte Ava und versuchte, ihre Fassung wiederzufinden. „Es ist noch lange nicht so weit. Und ich hätte nicht gedacht, dass es dich so sehr interessiert.“

      Hans betrachtete sie einen Augenblick. Dann berührte er leicht ihren Arm.

      „Das kann unmöglich dein Ernst sein“, sagte er. „Wie kannst du nur einen Moment annehmen, dass es mich nicht interessiert? Hatten wir nicht immer …“ Er unterbrach sich. „Wer ist er denn überhaupt? Siehst du, ich bin derartig durcheinander, dass ich sogar vergessen hab zu fragen, um wen es sich eigentlich handelt.“

      Ava blickte zu Boden.

      „Aaron“, flüsterte sie.

      „Wie bitte?“, fragte Hans laut. Andreas von Bergen warf einen kurzen Blick zu ihnen hinüber, fuhr aber gleich wieder mit seiner Geschichte fort. Eduard hatte ebenfalls bemerkt, dass Hans und Ava sich am Fenster unterhielten, kümmerte sich aber auch nicht weiter darum.

      „Aaron Friedmann“, sagte Ava deutlich und blickte Hans fest in die Augen.

      Hans runzelte die Stirn.

      „Aaron Friedmann“, wiederholte er. „Ist das nicht der Sohn eures Prokuristen?“

      Ava nickte.

      „Und wo ist dein Verlobter heute?“ Hans blickte sich um, als müsse bei gründlicher Untersuchung des Raumes Aaron Friedmann ganz bestimmt irgendwo auftauchen. Hinter einem Sofa, unter dem Teppich …

      „Er ist unterwegs …“, antwortete Ava ausweichend. „Er trifft einige Lieferanten, glaube ich.“

      „Aha“, machte Hans unzufrieden. „Wahrscheinlich haben wir es ihm zu verdanken, dass ihr eure Stoffe jetzt von einer anderen Firma bezieht.“

      „Unsinn“, sagte Ava unwirsch. „Außerdem sind solche Abende nichts für ihn.“

      Hans lachte.

      „Er ist sich wohl zu fein für unsere Gesellschaft“, meinte er spöttisch.

      „Unsinn“, rief Ava noch einmal ärgerlich und stampfte mit dem Fuß auf. Jetzt sahen sogar die Alsberg-Schwestern für einen kurzen Moment zu ihnen hinüber. „Er sagt nur, er fühle sich da nicht wohl in seiner Haut. Die Gespräche sind nichts für ihn. Er ist …“, sie überlegte, „er ist ruhig. Nüchtern und besonnen. Für Simons Ideen hat er nichts übrig.“

      „Du meinst, für Simons und meine Ideen“, ergänzte Hans.

      „Vielleicht“, sagte Ava vage. „Diese ganzen Utopien, die Träume von einer besseren, gerechteren Gesellschaft … Aaron ist eben Realist.“

      Hans schüttelte unwillig den Kopf.

      „Man ist also ein Träumer, wenn man über eine bessere Gesellschaft nachdenkt, für Veränderung eintritt?“

      „Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte Ava ärgerlich. „Wie kannst du mir das nur vorwerfen? Ich bin doch eurer Meinung. Haben


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