Zwei Jahre Ferien. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
Sie erhielten hier eine allseitige Erziehung und Ausbildung, vollkommen entsprechend derjenigen, welche die ähnlichen Anstalten des Vereinigten Königreiches gewähren.
Der Archipel von Neuseeland besteht zunächst aus zwei Hauptinseln, nämlich Ika-Na-Mawi oder die Fischinsel im Norden und Tamaï-Ponamu oder Nephrit-Land im Süden. Durch die Cookstraße getrennt, liegen diese zwischen dem 34. und 45. Grad südlicher Breite, was auf der nördlichen Halbkugel etwa der Lage Nordafrikas und Italiens entspricht.
Die in ihrem südlichen Teil stark zerrissene Insel Ika-Na-Mawi bildet eine Art unregelmäßiges Rechteck, das sich nach Norden zu in einem durch das Kap Van Diemen abgeschlossenen Bogen fortsetzt.
Fast am Anfang dieses Bogenstückes und an einer Stelle, wo die Halbinsel nur wenige (englische) Meilen (zu je 1609 Meter) Breite misst, ist Auckland erbaut. Die Stadt liegt also ganz ähnlich wie das griechische Korinth und hat wirklich auch den Namen »das südliche Korinth« erhalten. Im Westen und im Osten besitzt sie je einen offenen Hafen. Da der östliche, der im Hauraki-Golf liegt, nicht tief genug ist, hat man mehrere jener langen »Piers« (nach englischem Vorbilde) erbauen müssen, an denen wenigstens Schiffe von mittlerem Tonnengehalt anlegen können. Unter diesen befindet sich der »Commercial-Pier«, an welchem die Queens-Street, eine der Hauptstraßen der Stadt, ausmündet.
In der Mitte dieser Straße hat man die Pension Chairman zu suchen.
Am Nachmittag des 15. Februar 1860 traten aus genanntem Pensionat gegen hundert Knaben, begleitet von ihren Eltern und mit lustigen Gesichtern und freudiger Lebendigkeit — junge Vögel, deren Käfig man geöffnet hatte.
Es war nämlich der Beginn der Ferien. Zwei Monate Unabhängigkeit, zwei Monate Freiheit! Einer beschränkten Anzahl dieser Zöglinge winkte die verlockende Aussicht einer Seereise, welche schon lange Zeit vorher in der Pension Chairman der Gegenstand lebhafter Gespräche gewesen war. Wir brauchen wohl nicht zu schildern, welche freudige Erwartung diejenigen erregte, denen günstige Umstände gestatteten, sich an Bord der Yacht »Sloughi« einzuschiffen, um mit derselben an einer Umsegelung von ganz Neuseeland teilzunehmen.
Der von den Eltern der Zöglinge gecharterte hübsche Schoner war für eine Reise von sechs Wochen ausgerüstet. Er gehörte dem Vater eines derselben, Mr. William H. Garnett, einem ehemaligen Kapitän der Handelsflotte, zu dem man das beste Vertrauen haben konnte. Eine unter die verschiedenen Familien verteilte Subskription1 sollte die Kosten der Reise decken, die voraussichtlich die denkbar größte Sicherheit und Annehmlichkeit zu bieten versprach. Für die jungen Leute war das natürlich eine große Freude, und schwerlich hätte man die wenigen Wochen Ferien besser verwenden können.
In den englischen Pensionaten unterscheidet sich die Erziehungsmethode sehr wesentlich von der in ähnlichen französischen Anstalten. Man gönnt den Zöglingen daselbst mehr ein gewisses Recht der Selbstbestimmung und damit eine größere Freiheit, welche die Zukunft derselben recht glücklich beeinflusst. Mit einem Wort, die Erziehung hält hier gleichen Schritt mit der vielseitigsten Ausbildung. Daher kommt es, dass die meisten Zöglinge höflich und gewandt, zuvorkommend, sowie achtsam auf ihr Benehmen sind und, was wohl hervorgehoben zu werden verdient, zur Verheimlichung und Lüge kaum je Zuflucht nehmen, selbst wenn es sich darum handelt, einer verdienten Bestrafung zu entgehen. Dabei sei auch bemerkt, dass die Schüler dieser Lehranstalten weit weniger den Regeln gemeinsamen Lebens und den daraus hervorgehenden Vorschriften des Stillschweigens usw. unterworfen sind. Meist bewohnen dieselben besondere Zimmer, wo sie auch gewisse Mahlzeiten einnehmen, und wenn sie sich an die Tafeln eines gemeinsamen Speisesaales setzen, so steht es ihnen frei, nach Belieben zu plaudern.
Je nach dem Alter sind die Schüler in Abteilungen untergebracht, deren das Pensionat Chairman fünf zählt. Wenn in der ersten und zweiten die Kleinen sich gelegentlich noch an den Hals ihrer Eltern hingen, so ersetzten die Größeren schon den kindlichen Kuss durch den männlichen Händedruck. Dabei gab es keinen Lauscher, sie zu überwachen, das Lesen von Erzählungen und Zeitschriften war gestattet, Urlaubstage wurden häufig bewilligt, die Arbeitsstunden blieben möglichst beschränkt, während daneben auf Körperübungen, wie Turnen, Boxen und anregende Spiele in freier Luft, hoher Wert gelegt wurde. Als Dämpfer gegenüber jener Unabhängigkeit, welche die Schüler übrigens nur selten missbrauchten, hatte man jedoch die körperliche Züchtigung, vorzüglich mit der Gerte, beibehalten. Gelegentlich ausgepeitscht zu werden, erschien den jungen Angelsachsen nicht als ehrenrührig, und sie unterwarfen sich widerspruchslos einer solchen Züchtigung, wenn sie dieselbe als verdient erkannten.
Jedermann kennt die bei den Engländern gewöhnliche Achtung vor der Überlieferung im privaten, ebenso wie im öffentlichen Leben, und diesen Überlieferungen, selbst wenn sie an sich unvernünftig erscheinen, trägt man auch Rechnung in den Lehranstalten des weiten Reiches. Wenn es den älteren Schülern obliegt, die jüngeren zu unterstützen, so geschieht das nur unter der Bedingung, dass letztere es den ersteren durch gewisse häusliche Dienstleistungen, denen sie sich auf keine Weise entziehen können, vergelten. Diese Dienste, welche in der Herbeischaffung des Morgenimbisses, der Reinigung der Kleider sowie des Schuhwerkes, der Besorgung von Aufträgen u. dergl. bestehen, sind unter dem Namen »Faggisme« (etwa Fuchspflichten) bekannt, und diejenigen, welche sie zu leisten haben, heißen »Fags« (Füchse).
Es sind die Kleinsten, die Mitglieder der ersten Abteilungen, welche den Zöglingen der höheren Klassen als »Füchse« dienen, und wenn sie sich dessen weigerten, würde ihnen das Leben gewiss recht sauer gemacht werden. Daran denkt jedoch keiner, und das gewöhnt sie, sich einer Disziplin zu fügen, von der man z. B. bei den Zöglingen der französischen Lyzeen keine Spur findet. Die Überlieferung verlangt es hier einmal, und wenn es ein Land gibt, welches diese beachtet, so ist es das Vereinigte Königreich, wo sie den einfachsten Londoner Straßenjungen ebenso beherrscht wie die Peers des Oberhauses.
Die Zöglinge, welche an der Spazierfahrt des »Sloughi« teilnehmen sollten, gehörten verschiedenen Abteilungen der Pension Chairman an. Wie der Leser schon weiß, befanden sich an Bord des Schoners solche von acht bis zu vierzehn Jahren. Und diese fünfzehn Knaben, mit Einrechnung des Schiffsjungen,