Dichter und ihre Gesellen. Joseph von EichendorffЧитать онлайн книгу.
seinem Mißmute gar nichts zu ahnen.
Fortunat aber ging allein und unruhig durch den Garten. „Ich werde doch kein Narr sein und mich verlieben?“ sagte er zu sich selbst. „Und doch bin ich auf dem nächsten Wege dazu. Und hinter mir langsam und feierlich der abgemagerte Geist des sich selbst erschossenen Walters, und vor mir ein Zug von Tanten und Basen, und gute Wirtschaft, und Kindergeschrei, und ein Haus machen –“
Der Angstschweiß trat ihm ordentlich bei diesen Gedanken vor die Stirn. Er rannte eiligst nach dem Hause zurück und eröffnete dort ohne weiteres der erstaunten Familie, wie er zwar heute gerade keine Briefe aus der Stadt bekommen habe, aber eigentlich ebenfalls schleunigst fortreisen müsse; daß er daher für Speis und Trank und alle die schöne, stille, herrliche Zeit aus Herzensgrund Dank sagen und hiermit sogleich schon heut Abschied nehmen wolle, da er noch vor Tagesanbruch weiterzuziehen gedenke. Florentine wurde bei diesen Worten ganz rot, sie setzte sich schmollend auf eine entfernte Bank, und Fortunat glaubte zu bemerken, daß ihre abgewendeten Augen von Tränen glänzten. Auch die andern machten ihm durch ihre aufrichtige Trauer das Herz schwer, denn sie hatten sich alle in der kurzen Zeit schon an seine fröhliche Weise gewöhnt. Er mußte versprechen, wiederzukommen und ihnen noch ausführlich von den Ländern und Städten zu erzählen, wohin seine Reise ging; so saßen sie noch lange plaudernd vor der Haustür beisammen. Beim Schlafengehen endlich flüsterte ihm Florentine noch heimlich zu: „Und ich werde doch auf sein, eh Sie wegreiten!“
Er hatte alle Fenster des Schlafzimmers offen gelassen, um den Morgen nicht zu verschlafen. Da war es ihm, als gingen draußen fröhliche Stimmen unter den Fenstern auf und nieder und riefen immerfort in seinen Schlummer hinein: Frisch auf, schlafe nicht mehr! Wunderbare Berge und Gründe, schimmernde Fernen, frisch auf! und schöne, helle, fröhliche Zeit! Er sprang endlich empor und blickte durchs Fenster. Es war noch Nacht; dennoch kleidete er sich in langentbehrter Reiselust sogleich an, ging durch das stille Haus an Florentinens Schlafkammer vorüber und machte noch schnell einen Gang durch den Garten. Es war in der Nacht ein warmer Regen gefallen, die Nachtigallen schlugen überall aus den erfrischten Büschen, hin und her bellten Hunde fern in den Dörfern, sonst lag alles noch still im prächtigen Mondenschein unter dem weiten, gestirnten Himmel. Als er zurückkehrte, hörte er unten im Hause leise ein Fenster öffnen, es war Florentine, die sich in leichter Morgenkleidung hinauslehnte. „Zisch’ aus! zisch’ aus!“ rief sie ihm entgegen, „ich bin früher wach gewesen als Sie!“ Dann, sich im Garten umsehend, sagte sie: „Das ist gerade wie damals, da Sie hier das Ständchen brachten und wir Sie zum ersten Male sahen. – Nun wird es hier wieder recht einsam sein, und ich wollte Sie eben nur noch bitten, daß Sie auf Ihrer Reise von sich hören lassen und manchmal an Walter schreiben, der Ihnen außerordentlich gut ist und gern von fremden Ländern hört.“ Fortunat versprach es und bat sie um einen Kuß zum Abschiede. „Warum nicht gar!“ rief das Mädchen lachend, indem sie ihm schnell die Hand hinausreichte, dann schloß sie geschwind das Fenster, und er sah sie nicht wieder. Fortunat warf sich nun ungesäumt auf sein Pferd und ritt durch die hohe, dunkle Allee an dem Gittertor des Gartens und dem stillen Dorfe vorüber. Draußen auf dem Berge aber wandte er sich noch einmal zurück. „Gesegnet“, rief er, „du schönes Waldtal, in deiner glückseligen Abgeschiedenheit, möge der Sturm der Welt dich nie verstören!“
Sechstes Kapitel
Am nächsten Abend, ein Regen hat sich erhoben, stößt Fortunat auf die Schauspieler: ein Häufchen Wanderer, die neben einem Paar Pferde herschritten, auf denen zwei junge Frauenzimmer saßen.
„Das haben wir davon“, hob die eine Dame zu Pferde zu der andern Reiterin an, „das haben wir nun von Eurer schönen Natur. Brächen die Herren nicht ihren Flaschen auf das Wohlsein jeder alten Burg die Hälse, so wäre uns allen jetzt wohler, und wir säßen im Trocknen, denn unser Wagen ist gewiß längst in der Stadt.“ Dabei breitete sie mühsam einen, wie es schien, nicht sonderlich konditionierten Regenschirm über sich aus. Aber der Wind verarbeitete ihn sogleich mit solcher Fertigkeit, daß ihre berittene Nachbarin laut auflachte, und die Dame ihre Segel erbost wieder einziehen mußte. Fortunat, welcher hier heimlich auf ein ergötzliches Gezänk hoffte, ermahnte die Gesellschaft, den beiden Damen in diesem Kampfe mit den Elementen durch ein gemeinschaftliches, angenehmes Gespräch galant unter die Arme zu greifen. Die Männer antworteten gar nicht darauf, die Dame mit dem Regenschirme aber fragte: ob er vielleicht auch ein Künstler sei und es so gut haben wolle wie sie? „Oh“, setzte sie spitzig nach ihrer Nachbarin gewendet hinzu, „Liebhaberrollen sind hier jederzeit zu haben.“ „Bitte sehr“, erwiderte die Nachbarin mit einer wohlklingenden Stimme, „bei Ihnen ist ja diese Stelle seit geraumer Zeit vakant.“ Ein plötzlicher Blitz beleuchtete hier auf einen Augenblick ein schönes, feines, aber bleiches Gesichtchen, über welches zu beiden Seiten lange, schwarze Haare triefend herabhingen. „Mein Gott, was ist das für eine Wirtschaft um das bißchen Regen!“ rief einer der jungen Männer aus, „quamquam sint sub aqua, sub aqua maledicere tentant!“ „Sparen Sie doch Ihr Latein“, sagte die Dame mit dem Schirme, „Sie memorieren wohl eben den Bettelstudenten?“ Sie wollte noch mehr sprechen, aber der Literatus fiel schnell in das Lied wieder ein, das Fortunat schon vorhin von fern gehört hatte, und übersang sie lustig:
Frei von Mammon will ich schreiten
Auf dem Feld der Wissenschaft,
Sinne ernst und nehm zuzeiten
Einen Mund voll Rebensaft.
Quamquam . . .: Sind sie auch unter Wasser, unter Wasser wolln sie noch schmälen.
Bin ich müde vom Studieren,
Wann der Mond tritt sanft herfür,
Pfleg ich dann zu musizieren
Vor der Allerschönsten Tür.
„Land! Land!“ schrie hier plötzlich der Voranschreitende dazwischen, und man erblickte zu allgemeiner Freude von weitem Mauern und Türme, die sich wie dunkle Riesen immer deutlicher aus dem trüben Grau aufrichteten. Einzelne Lichter schimmerten schon den Reisenden trostreich entgegen, ein jeder strengte neu belebt seine letzten Kräfte an, und so waren sie bald an dem Tore eines kleinen Städtchens angelangt. Wie Zugvögel mit begossenen, hängenden Flügeln strichen sie stumm durch die engen, finstern Gassen, wo sich die Lichter aus den Fenster blendend und verwirrend im Wasser spiegelten, während der Regen von allen Dächern aus abenteuerlich vorgestreckten Drachenköpfen auf sie herabstürzte.
So kamen sie endlich in den Hof eines Wirtshauses. Hier war der Reisewagen der Gesellschaft, den man unterwegs umgeworfen hatte, auch soeben erst angelangt. Der Theaterprinzipal Sorti, ein kleines, fixes Männchen, rannte eifrig hin und her, vom Wagen wurden Burgen, Drachen und lange Kamelhälse eilig über den Hof getragen, die Hofhunde bellten, überall war ein Rufen, Drängen und Schimpfen in der undurchdringlichen Finsternis, die nur von einzelnen Blitzen manchmal durchkreuzt wurde. Mitten aus diesem Rumor hob der Literatus die jüngere Reiterin schnell vom Pferde und trug sie auf seinem Arm in das Haus. Das Mädchen war arg durchnäßt, mit dem dünnen, vom Regen knapp anliegenden Kleide, mit den lang herabhängenden, tröpfelnden Locken sah sie wie ein Nixchen aus, das eben den Wellen entstiegen. Sie hielt beide Hände vor das Gesicht, um sich vor dem plötzlich aus dem Hause dringenden Lichte zu schützen, aber zwischen den kleinen Fingern funkelten zwei schwarze Augen hindurch, die Fortunat im Vorüberfluge durchdringend anblickten.
Dieser konnte nur mit Mühe ein besonderes Stübchen gewinnen, wo er schnell seine Kleider wechselte, während draußen nach und nach ein gewaltiges Türzuwerfen, Streiten und Lachen, von einzelnen Operntrillern und Läufern durchschwirrt, das ganze Haus erfüllte. Unterdes hatte auch das Wetter sich wieder verzogen, und der Mond trat klar zwischen dem zerrissenen Gewölk hervor. Er verließ daher gar bald seine enge, schwüle Kammer wieder und eilte zwischen den Reifröcken, Rüstungen, Fahnen und Miedern, die über dem Treppengeländer zum Trocknen ausgehängt waren, in den Garten hinab. Ein einsames Frauenzimmer saß dort vor der Haustür auf der Bank, an dem etwas verbrauchten Federhut, dem hohen Kragen und der ganzen Haltung erkannte er die Dame mit dem Schirme wieder. – „Ich bin mir selbst noch Genugtuung schuldig“, hub sie sogleich an, als sie Fortunat bemerkte, „Sie werden vielleicht eine ungünstige Meinung von mir gefaßt haben; aber Sie glauben nicht,