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Maigret und der faule Dieb. Georges SimenonЧитать онлайн книгу.

Maigret und der faule Dieb - Georges  Simenon


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hatte keinen Hunger. Er schien zu schmollen, und doch waren es im Grunde Momente wie dieser, die er liebte und die ihm nach seiner Pensionierung vielleicht am meisten fehlen würden.

      Er ging die Treppe hinunter und fand ein Taxi vor der Tür, aus seinem Auspuffrohr kam weißer Rauch.

      »Zum Bois de Boulogne … Kennen Sie die Route des Poteaux?«

      »Das wäre ja noch schöner, wenn ich die nicht kennen würde, nach fünfunddreißig Jahren Berufsleben!«

      So trösteten sich die Alten nun mal über ihr Altwerden hinweg.

      Die Sitze waren eisig. Nur wenige Autos und leere Busse auf dem Rückweg zum Busbahnhof kamen ihnen entgegen. In den Bars brannte nirgendwo Licht. An den Champs-Élysées wurden gerade die Büros geputzt.

      »Wieder mal eine Prostituierte ermordet?«

      »Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht …«

      »Bei dem Wetter hätte so eine im Bois auch nicht viele Freier gefunden, würde ich sagen.«

      Auch seine Pfeife schmeckte anders als sonst. Er vergrub die Hände in den Taschen und rechnete nach, dass es mindestens drei Monate her war, seit er Fumel zuletzt gesehen hatte. Er kannte ihn seit … ungefähr aus der Zeit seines Dienstantritts, als er in einem Polizeirevier gearbeitet hatte.

      Schon damals war Fumel, weil er recht hässlich war, bemitleidet worden. Aber man machte sich auch über ihn lustig, zum einen, weil seine Eltern auf die Idee gekommen waren, ihn Aristide zu nennen, und zum anderen, weil er sich trotz seines Aussehens ständig in irgendwelche Liebesdramen verstrickte.

      Fumel hatte geheiratet, aber schon nach einem Jahr hatte sich seine Frau ohne ein Wort aus dem Staub gemacht. Er setzte Himmel und Erde in Bewegung, um sie wiederzufinden. Jahrelang trugen alle Polizisten Frankreichs ihre Personenbeschreibung in der Tasche, und jedes Mal, wenn eine weibliche Leiche aus der Seine gefischt wurde, rannte Fumel ins Leichenschauhaus.

      Die Geschichte war zu einer Art Legende geworden.

      »Ich könnte wetten, dass ihr etwas zugestoßen ist und dass die Täter mich damit treffen wollten …«

      Er hatte ein starres Auge, das heller war als das andere, fast durchsichtig, und das machte es unangenehm, ihn anzusehen.

      »Ich werde sie immer lieben. Und ich weiß, dass ich sie irgendwann wiederfinde …«

      Hoffte er das jetzt, mit einundfünfzig Jahren, noch immer? Es hinderte ihn jedenfalls nicht daran, sich regelmäßig neu zu verlieben. Er blieb jedoch vom Pech verfolgt, denn alle seine Liebesabenteuer führten zu den unwahrscheinlichsten Komplikationen und endeten immer schlecht.

      Einmal hatte man ihn sogar – allem Anschein nach zu Recht – wegen einer Prostituierten, die ihn an der Nase herumgeführt hatte, der Zuhälterei angeklagt, und er war nur knapp einer Suspendierung entgangen.

      Wie war es möglich, dass er sich in seinem Privatleben so naiv und unbeholfen verhielt und dennoch zu den besten Inspektoren von Paris gehörte?

      Nachdem das Taxi an der Porte Dauphine vorbeigefahren und dann rechts in den Bois eingebogen war, sah man schon den Lichtstrahl einer Taschenlampe. Kurz darauf waren am Rand einer Allee Gestalten zu erkennen.

      Maigret stieg aus und zahlte die Fahrt. Jemand kam auf ihn zu.

      »Sie sind vor denen da«, sagte Fumel, seufzte erleichtert und trippelte, um sich aufzuwärmen, auf dem gefrorenen Boden umher.

      Zwei Fahrräder lehnten an einem Baum. Auch die beiden Polizisten traten von einem Fuß auf den anderen. Ein kleiner Herr mit hellgrauem Hut sah ungeduldig auf die Uhr.

      »Das ist Doktor Boisrond von der zuständigen Behörde.«

      Maigret gab ihm zerstreut die Hand und ging dann auf etwas Dunkles zu, das am Fuß eines Baums lag. Fumel richtete den Strahl seiner Taschenlampe darauf.

      »Ich glaube, Herr Kommissar«, erklärte er, »Sie werden verstehen, was ich meine. Ich habe das Gefühl, da stimmt etwas nicht …«

      »Wer hat ihn entdeckt?«

      »Die beiden Polizisten, sie waren mit den Fahrrädern auf Streife.«

      »Wann?«

      »Um zwölf nach drei. Sie dachten zuerst, es wäre ein Sack, den jemand da hingeworfen hat.«

      Tatsächlich sah der Mann, wie er dort in dem gefrorenen Gras lag, aus wie ein unförmiger Fleck. Er lag nicht lang ausgestreckt, sondern zusammengekauert, fast zusammengerollt, und nur eine Hand ragte heraus, verkrampft, als hätte sie versucht, nach etwas zu greifen.

      »Woran ist er gestorben?«, fragte Maigret den Arzt.

      »Ich habe mich kaum getraut, ihn anzurühren, bevor die Staatsanwaltschaft kommt. Aber soweit ich es beurteilen kann, hat man ihm mit einem sehr schweren Gegenstand den Schädel eingeschlagen.«

      »Den Schädel?«, fragte der Kommissar.

      Denn im Licht der Taschenlampe sah er anstelle des Gesichts nur blutiges, geschwollenes Fleisch.

      »Ich kann es vor der Autopsie nicht mit Sicherheit sagen, aber ich könnte wetten, dass der Mann die Schläge erst abbekommen hat, als er schon tot war oder zumindest gerade im Sterben lag.«

      Und Fumel, der Maigret im Halbdunkel anblickte:

      »Verstehen Sie, was ich meine, Chef?«

      Der Anzug war von guter Qualität, nicht elegant, aber solide, wie ihn zum Beispiel Beamte oder Rentner tragen.

      »Er hat nichts in den Taschen, sagst du?«

      »Ich habe sie vorsichtig abgetastet und keinen Gegenstand gefühlt. Und nun sehen Sie mal …«

      Fumel leuchtete auf den Boden rings um den Kopf. Es war kein Blutfleck zu sehen.

      »Er ist nicht hier ermordet worden. Der Arzt ist der gleichen Meinung, denn bei diesen Verletzungen muss er stark geblutet haben. Man hat ihn also in den Bois gebracht, vermutlich im Auto. Und weil er so zusammengekauert daliegt, muss man sogar annehmen, dass diejenigen, die ihn hergebracht und aus dem Auto gestoßen haben, selbst gar nicht erst ausgestiegen sind.«

      Der Bois de Boulogne war ganz still, erstarrt wie die Kulissen eines Theaterstücks, und die in regelmäßigen Abständen aufragenden Laternen zeichneten weiße Lichtkreise in die Finsternis.

      »Achtung! Ich glaube, da kommen sie …«

      Ein Auto kam von der Porte Dauphine angefahren, ein langer schwarzer Wagen, der offenbar den Weg suchte. Fumel schwang seine Taschenlampe und stürmte zur Autotür.

      Maigret rauchte langsam seine Pfeife und hielt sich abseits.

      »Hier ist es, Herr Staatsanwalt. Der Polizeikommissar musste noch wegen eines Aufnahmeprotokolls ins Krankenhaus Cochin. Er wird in wenigen Minuten hier sein …«

      Maigret hatte den Staatsanwalt erkannt. Es war ein großer, magerer, sehr eleganter Mann in den Dreißigern, der Kernavel hieß. Den Untersuchungsrichter kannte er ebenfalls, auch wenn er bisher selten mit ihm zusammengearbeitet hatte – ein gewisser Cajou, braunhaarig, etwa vierzig Jahre alt und zwischen der neuen und der alten Generation sozusagen in der Mitte. Der Schreiber hielt sich so weit wie möglich von der Leiche entfernt, als fürchtete er, sich von dem Anblick übergeben zu müssen.

      »Wer …«, setzte der Staatsanwalt an.

      Er bemerkte Maigret und runzelte die Stirn.

      »Pardon. Ich habe Sie nicht gleich gesehen. Wie kommt es, dass Sie hier sind?«

      Maigret begnügte sich mit einer vagen Geste und der noch vageren Bemerkung:

      »Ein Zufall …«

      Offensichtlich verärgert richtete sich Kernavel von da an nur noch an Fumel.

      »Was ist hier eigentlich los?«

      »Eine Fahrradstreife hat vor gut einer Stunde


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