Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
»Ich bin wahnsinnig, daß ich Sie so mit mir sprechen lasse, wahnsinnig, daß ich gekommen bin, wahnsinnig, daß zu tun, was ich tue; Sie glauben zu lassen, daß dieses Abenteuer irgendeine Fortsetzung finden könnte. Vergessen Sie, es muß sein, und sprechen Sie nie davon.«
Sie wartete. Er suchte nach einer überzeugenden leidenschaftlichen Antwort, da er jedoch seine Worte durch Liebkosungen nicht verstärken konnte, fühlte er sich wie gelähmt.
»Ich erwarte nichts,« fuhr er fort, »ich erhoffe nichts. Ich liebe Sie. Sie können tun, was Sie wollen, ich werde es Ihnen immer wieder sagen, so leidenschaftlich und so eindringlich, daß Sie schließlich daran glauben werden. Ich werde meine Liebe und Zärtlichkeit in Sie eindringen lassen, Wort für Wort, Stunde für Stunde, Tag für Tag, bis sie Sie schließlich ergreifen, Sie milde stimmen und zuletzt auch Sie zu mir sagen müssen: ‘Ich liebe Sie.’«
Er fühlte, wie ihre Schulter ihn zitternd berührte und wie ihre Brust bebte, dann flüsterte sie hastig:
»Auch ich liebe Sie.«
»O mein Gott!«
Sie fuhr mit bebender Stimme fort:
»Durfte ich Ihnen das sagen? Ich fühle mich schuldig und verachtungswert … ich … die ich zwei Töchter habe … aber ich kann nicht mehr … ich kann nicht … Ich hätte nie geglaubt … ich hätte nie gedacht … es war eben stärker als ich … Hören Sie … Hören Sie doch … Ich habe nie jemanden geliebt … nur Sie allein … ich schwöre es Ihnen, ich liebe Sie seit einem Jahr heimlich im Innern meines Herzens. Oh, was habe ich gelitten, ja, was habe ich mit mir kämpfen müssen … Ich kann nicht mehr, ich liebe Sie.«
Sie weinte in ihre Hände, die sie über ihrem Gesicht gefaltet hatte; ihr ganzer Körper zitterte, erschüttert von der leidenschaftlichen Erregung.
Georges flüsterte:
»Geben Sie mir Ihre Hand, daß ich sie berühre, daß ich sie an mich drücke.«
Langsam zog sie ihre Hand von ihrem Gesicht. Er sah, daß ihre Wangen ganz feucht vom Weinen waren. Ein Tropfen hing noch am Rande der Wimpern, bereit, herunter zu rollen.
Er ergriff ihre Hand und preßte sie.
»Oh, ich möchte diese Tränen küssen.«
Sie sprach mit dumpfer und gebrochener Stimme, so daß es fast wie ein Seufzer klang:
»Mißbrauchen Sie nicht meine Schwäche … ich habe den Kopf verloren.«
Er hatte Lust, zu lächeln. Wie konnte er sie an diesem Ort mißbrauchen. Er preßte ihre Hand an sein Herz und sagte: »Fühlen Sie es klopfen?«
Denn er war am Ende seiner leidenschaftlichen Redensarten und er wußte nicht mehr, was er sagen sollte.
Doch seit einigen Augenblicken kam der regelmäßige Schritt des dicken Herrn immer näher. Er war die Altäre entlang gegangen und kam nun wenigstens schon das zweitemal das rechte Seitenschiff herunter. Frau Walter hörte ihn nun ganz nah neben dem Pfeiler, der sie vor ihm verbarg, sie zog ihre Hand aus Georges Umklammerung und verbarg von neuem ihr Gesicht.
So blieben sie wieder unbeweglich nebeneinander knien, als hätten sie beide ein glühendes Gebet zum Himmel emporgesandt. Der dicke Herr ging an ihnen vorbei und warf auf sie einen gleichgültigen Blick, er verschwand nach dem unteren Teil der Kirche und hielt immer noch seinen Hut auf dem Rücken.
Du Roy dachte jetzt daran, daß er irgend woanders als in der Trinité-Kirche ein Rendezvous erhalten müßte.
»Wo werde ich Sie morgen sehen?« fragte er.
Sie antwortete nicht. Sie schien leblos; sie schien ganz wie ein versteinerter Ausdruck vom Gebet.
Er fuhr fort:
»Wollen Sie, daß wir uns im Parc Monceau treffen?«
Sie nahm ihre Hände vom Gesicht und wandte es ihm zu, es war tränenüberströmt, bleich und entstellt vor Schmerz. Sie sagte mit abgerissener Stimme:
»Lassen Sie mich … lassen Sie mich jetzt … gehen Sie … gehen Sie fort, nur fünf Minuten … ich leide so sehr in Ihrer Nähe … ich halte es nicht mehr aus … gehen Sie … lassen Sie mich beten … allein … fünf Minuten. Ich kann nicht … lassen Sie mich Gott um Vergebung anflehen … Er soll mir vergeben … Er soll mich retten … Lassen Sie mich … fünf Minuten lang.«
Der Ausdruck ihres Gesichtes war dermaßen verstört und schmerzerfüllt, daß er ohne ein Wort zu sagen aufstand; dann versetzte er nach einem kurzen Zaudern:
»Ich komme nach einer Weile wieder.«
Sie machte mit dem Kopf ein Zeichen, als wollte sie sagen: »Ja, nach einer Weile.« Und er ging zum Chor hinunter.
Nun versuchte sie zu beten, mit übermenschlicher Anstrengung wollte sie Gott anrufen und flehte mit zitterndem Körper und verzweifelter Seele um Erbarmen. Sie schloß wütend die Augen, um ihn nicht zu sehen, ihn, der sie eben verlassen hatte. Sie verscheuchte ihn aus ihren Gedanken, sie wehrte sich gegen ihn, doch an Stelle der himmlischen Erscheinung, die sie mit schwerem Herzen und gebrochener Seele erflehte, kam ihr der gekräuselte Schnurrbart des jungen Mannes nicht aus dem Sinne.
Seit einem Jahr kämpfte sie Tag für Tag und Abend für Abend gegen die immer zunehmende Leidenschaft, gegen dieses Bild, das sich in ihre Träume drängte, ihre Sinne quälte und ihr die Ruhe raubte. Sie fühlte sich gefangen wie ein wildes Tier in einem Netz, geknebelt und wehrlos diesem Manne ausgeliefert, der sie bezwungen und erobert hatte, einzig und allein durch seinen Schnurrbart und die Farbe seiner Augen.
Und jetzt in der Kirche in Gottes Nähe, fühlte sie sich noch schwächer, noch verlassener als bei sich zu Hause. Sie konnte nicht mehr beten, sie mußte immerfort an ihn denken. Sie litt bereits darunter, daß er fort war, und doch kämpfte sie verzweifelt. Sie wehrte sich und rief mit der ganzen Kraft ihrer Seele um Hilfe. Sie wäre lieber gestorben, als so zu fallen, sie, die sie noch nie einen Fehltritt begangen hatte. Sie murmelte wirre, flehende Gebete, aber sie hörte nur auf Georges Schritte, die in den fernen Gewölben immer leiser und leiser wurden. Sie begriff, daß es nun mit ihrer Kraft zu Ende und daß jeder Widerstand vergeblich sei. — Trotzdem wollte sie nicht nachgeben. Sie zitterte am ganzen Leibe und fühlte sich so schwach und zusammengebrochen, daß sie gleich umfallen, auf dem Boden sich herumwälzen und heftige und schrille Schreie ausstoßen würde. Da hörte sie rasche Schritte herannahen. Sie wandte den Kopf, es war ein Priester. Sie stand auf, lief mit gefalteten Händen auf ihn zu und stammelte:
»Oh, retten Sie mich! Retten Sie mich!«
Er blieb überrascht stehen:
»Was wünschen Sie, Madame?«
»Ich will, daß Sie mich retten; haben Sie Erbarmen mit mir. Wenn Sie mir nicht zu Hilfe kommen, bin ich verloren!«
Er sah sie an, und dachte, ob sie vielleicht wahnsinnig wäre.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte er.
Es war ein junger, hochgewachsener, etwas dicker Geistlicher, mit vollen, etwas schlaffen Backen, die, trotzdem sie sauber rasiert waren, einen gräulichen Schimmer hatten; es war ein schöner Stadtvikar, aus einem reichen Stadtviertel, der an wohlhabende Sünderinnen gewöhnt war.
»Hören Sie meine Beichte,« sagte sie, »und geben Sie mir einen Rat, helfen Sie mir und sagen Sie, was ich tun soll.«
»Ich höre die Beichte alle Sonnabende von drei bis sechs«, erwiderte er.
Aber sie faßte ihn am Arm und wiederholte:
»Nein, nein! nein! Sofort, sofort! Es muß sein! Er ist hier in dieser Kirche! Er erwartet mich!«
»Wer erwartet Sie denn?« fragte der Priester.
»Ein Mann, der mich verderben will, der mich verführen wird, wenn Sie mich nicht retten … Ich kann nicht mehr vor ihm fliehen … ich bin zu schwach … so schwach … so schwach …«
Sie