Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
daß er sie bestimmen mußte, ihm ein Rendezvous zu geben, zunächst, wo sie wollte und dann, wo er wollte.
»Hören Sie mich,« sagte er, »es muß sein … ich werde Sie sehen … ich werde auf Sie vor Ihrer Tür warten … wie ein Bettler … ich gehe hinauf … aber ich werde Sie sehen … ich muß Sie sehen … morgen.«
Sie wiederholte:
»Nein, nein, kommen Sie nicht. Ich werde Sie nicht: empfangen. Sie müssen an meine Töchter denken.«
»Dann sagen Sie mir, wo ich Sie treffen kann. … auf der Straße … wo es auch sei … zu jeder Zeit: … wann Sie wollen … nur daß ich Sie sehen darf … Ich werde Sie begrüßen und Ihnen sagen: ‘Ich liebe Sie’, und werde gehen.«
Sie zögerte, wußte nicht, was sie tun sollte. Und da der Wagen schon vor ihrer Tür hielt, murmelte sie sehr schnell:
»Ich werde morgen um halb vier in die Trinité-Kirche kommen.«
Dann stieg sie aus und befahl dem Kutscher:
»Fahren Sie Herrn Du Roy nach Hause.«
Als er zurückkam, fragte ihn seine Frau: »Wo warst du denn so lange?«
»Ich mußte ein wichtiges Telegramm aufgeben«, antwortete er leise.
Madame von Marelle trat auf ihn zu.
»Werden Sie mich nach Hause bringen, Bel-Ami«, fragte sie: »Sie wissen, daß ich nur unter dieser Bedingung so weit vom Hause Einladungen zum Diner annehme!«
Dann wandte sie sich an Madeleine.
»Du bist doch nicht eifersüchtig?«
»Nein, nicht die Spur«, antwortete Frau Du Roy langsam.
Die Gäste brachen auf, Frau Laroche-Mathieu sah wie ein kleines Provinzmädel aus. Sie war die Tochter eines Notars und heiratete Laroche, als er noch ein unbedeutender Rechtsanwalt war. Frau Rissolin war alt und prätentiös und machte den Eindruck einer alten Hebamme, deren Bildung aus einer Leihbibliothek stammte. Die Vicomtesse de Percemur schien alle Anwesenden zu verachten, und sehr ungern berührten ihre »Samtpfötchen« diese gemeinen Plebejerhände.
Clotilde, in einen Spitzenschal gehüllt, sagte beim Hinausgehen zu Madeleine:
»Dein Diner ist fabelhaft gelungen. Du wirst bald den besten politischen Salon in Paris haben.«
Als sie mit Georges allein war, umarmte sie ihn und sagte:
»Du, mein lieber Bel-Ami, von Tag zu Tag liebe ich dich mehr.«
Der Wagen schaukelte wie ein Boot. »Unser Zimmer ist doch viel schöner«, sagte sie. »O ja«, antwortete er, aber er dachte dabei an Frau Walter.
IV.
Der Platz vor der Trinité-Kirche lag menschenleer in der glühenden. Julisonne. Eine drückende Hitze lastete über Paris, als wenn die schwere Luft von dort oben verbrannt und auf die Stadt herabgefallen wäre; es war eine dicke, schwüle; und versengende Luft, die den Lungen weh tat.
Das Wasser im Springbrunnen rieselte lässig herab. Es schien ermattet vom Springen, schlaff und müde, und das Wasser in dem Bassin, in dem Blätter und Papierfetzen herumschwammen, sah blaugrün, schwer und trübe aus. Ein Hund, der auf den steinernen Rand gesprungen war, badete in dieser verdächtigen Flüssigkeit. Ein paar Menschen, die auf den Bänken in den Anlagen herumsaßen, blickten voll Neid auf das Tier.
Du Roy zog seine Uhr. Es war erst drei Uhr; er hatte noch eine halbe Stunde Zeit. Er mußte lachen, wenn er an dieses Rendezvous dachte: »Die Kirchen dienen zu allem möglichen,« sagte er sich, »sie trösten sie darüber, einen Juden geheiratet zu haben, geben ihr eine oppositionelle Haltung in der Politik, eine passende Stellung in der vornehmen Welt und ein Obdach für galante Abenteuer. Es ist nämlich die Gewohnheit, sich der Religion zu bedienen, wie man einen entoutcas-Schirm gebraucht. Ist das Wetter schön, dient er als Spazierstock, scheint die Sonne, so ist er ein Sonnenschirm, wenn es regnet ein Regenschirm, und wenn man überhaupt nicht ausgeht, läßt man ihn im Vorzimmer stehen. Und so gibt es Hunderte, die sich aus dem lieben Gott nichts machen und doch nicht gestatten, daß man ihn lästert und ihn dabei gern als Vermittler gebrauchen. Wenn man einer solchen Frau vorschlüge, in ein Absteigequartier zu gehen, so würde sie es mit Entrüstung zurückweisen und als Schande betrachten, aber sie findet gar nichts darin, am Fuße des Altars eine Liebesgeschichte anzuspinnen. Er ging langsam am Springbrunnen auf und ab und sah nochmals nach der Uhr auf dem Kirchturm, die im Vergleich zu seiner zwei Minuten vorging. Er dachte, daß es wohl drinnen angenehmer sein würde und ging hinein.
Die kühle Kellerluft des steinernen Gewölbes umfing ihn. Er atmete sie mit Behagen ein und ging dann durch das Kirchenschiff, um die Örtlichkeit zu übersehen. Aus der Tiefe des mächtigen Bauwerks tönte ein anderer regelmäßiger Schritt herüber; bald hielt er inne, bald hallte er wieder laut auf den Steinfliesen. Er suchte neugierig nach diesem Spaziergänger. Es war ein dicker, kahlköpfiger Herr, der mit der Nase in der Luft und den Hut hinter dem Rücken herumging. Hier und da kniete eine alte Frau, das Gesicht in die Hände vergraben. Ein Gefühl der Einsamkeit, des Verlassenseins und der Ruhe erfüllte seinen Geist, und das Licht, das durch die farbigen Scheiben fiel, tat den Augen wohl. Du Roy fand es hier drinnen »recht behaglich«. Er ging wieder an die Tür und sah abermals nach der Uhr. Es war erst ein viertel nach drei. Er setzte sich am Haupteingang und bedauerte sehr, daß er hier keine Zigarette rauchen dürfe. Vom andern Ende der Kirche, in der Nähe des Chors, ertönten nach wie vor die langsamen, schallenden Schritte des dicken Herrn. Jemand kam herein. Du Roy drehte sich hastig um. Es war eine arme, einfache Frau im Wollrock; gleich beim ersten Stuhl fiel sie auf die Knie und verharrte hier mit gefalteten Händen, den Blick gen Himmel erhoben, die Seele im Gebet versunken.
Du Roy beobachtete sie; es interessierte ihn, welcher Kummer, welcher Schmerz oder welche Verzweiflung diese arme Seele in die Kirche getrieben hatte. Tiefstes Elend sah man ihr an. Vielleicht hatte sie einen Mann, der sie halbtot prügelte oder ein sterbendes Kind?
»Armes Wesen,« dachte er, »es gibt so viele, die leiden müssen!« Und er zürnte gegen die erbarmungslose Natur. Dann überlegte er sich, daß diese armseligen Leute wenigstens daran glaubten, daß dort oben ein Auge über sie wache und daß im Himmel ihr irdischer Lebenswandel mit der Bilanz von Soll und Haben verbucht sei. — Dort oben. — Wo denn eigentlich?
In der Stille der Kirche versank Du Roy in weltumspannende Träumereien. Er begann in Gedanken die ganze Schöpfung zu umfassen und er murmelte ganz leise vor sich hin: »Wie das alles eigentlich dumm ist.« Das Rauschen eines Kleides ließ ihn hochfahren.
Sie war es.
Er stand auf und ging schnell auf sie zu. Sie reichte ihm nicht die Hand und sagte nur ganz leise:
»Ich habe nur ein paar Augenblicke Zeit. Ich muß gleich wieder nach Hause. Knien Sie neben mir nieder, damit wir nicht auffallen.« Sie durchschritt das Kirchenschiff und suchte, wie jemand, der das Haus genau kannte, nach einem passenden ungestörten Platz. Ihr Gesicht war mit einem dichten Schleier bedeckt und sie ging mit gedämpften, kaum hörbaren Schritten. Als sie den Chor erreicht hatten, drehte sie sich um und sprach mit einer geheimnisvollen, kaum hörbaren Stimme, wie man in der Kirche zu sprechen pflegt:
»Es ist besser an der Seite; hier kann man zu leicht gesehen werden.«
Sie verbeugte sich tief vor dem Tabernakel des Hauptaltars und bog: dann nach rechts ein und ging wieder in der Richtung nach dem Eingange zurück. Plötzlich schien sie einen Entschluß zu fassen, nahm einen Betstuhl und kniete nieder. Georges nahm den danebenstehenden und so knieten sie unbeweglich in der Haltung von Betenden.
»Ich danke Ihnen, danke,« flüsterte er, »ich liebe Sie über alles. Ich möchte Ihnen das immerfort sagen, Ihnen erzählen, wie bei mir die Liebe zu Ihnen begonnen, wie ich beim erstenmal, als ich Sie sah, von Ihrem Reiz und Ihrer Anmut bezaubert