Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
er setzte sich selbst in einen Lehnstuhl. Sie aber zog ein niedriges Taburett heran und ließ sich zwischen den Beinen des jungen Mannes nieder. Sie fuhr mit schmeichelnder Stimme fort:
»Da ich stets an dich denke, gebe ich auf alles, was man um mich herum flüstert, acht.«
Dann begann sie ihm langsam zu erklären, wie sie gemerkt hatte, daß seit einiger Zeit ohne sein Mitwissen etwas vorbereitet würde und daß man sich seiner bedienen wollte, obwohl man seine Beteiligung am Geschäft fürchtete und ihn nicht verdienen lassen wollte.
Sie sprach:
»Weißt du, wenn man liebt, wird man hinterlistig.« Kurz, gestern hatte sie alles begriffen. Es handelte sich um ein richtiges Geschäft, das im stillen vorbereitet wurde. Sie lächelte und freute sich über ihre Schlauheit und Gewandtheit. Sie wurde aufgeregt, sie sprach als Gattin eines Finanziers, die an Börsencoups gewöhnt war, an das Schwanken der Worte, an den jähen Wechsel zwischen Hausse und Baisse, der binnen zwei Stunden Börsenspekulation Tausende von kleinen Bürgern ruiniert und ihrer letzten, in Fonds angelegten Ersparnisse beraubt, die von geachteten Finanzleuten und Politikern garantiert sind.
Sie wiederholte:
»Oh, es ist etwas Großartiges, was sie da im Schilde führen. Es ist etwas sehr Großes. Übrigens hat Walter das alles eingeleitet; er versteht das. Es ist ein Bombengeschäft.«
Er wurde ungeduldig über die lange Vorrede:
»Los, weiter! Sag’ schnell!«
»Also höre zu. Die Tangerexpedition war zwischen ihnen beschlossen, schon seit dem Tage, wo Laroche das Portefeuille des Auswärtigen übernommen hatte; nach und nach haben sie die marokkanischen Anleihen aufgekauft, die auf 65 bis 64 gefallen waren. Sie haben es sehr geschickt aufgekauft, durch Vermittlung unverdächtiger und kleiner Agenten, die auf der Börse nicht weiter aufgefallen waren. Sie haben selbst die Rothschilds getäuscht, die sich über die Nachfrage nach Marokkanern sehr wunderten. Aber man nannte ihnen die Namen der Zwischenhändler, alles unbedeutende, zweitklassige, meist gescheiterte Firmen. Das hat die Großbank beruhigt. Und nun wird man die Expedition unternehmen, und sobald wir da unten Fuß gefaßt haben, garantiert der französische Staat die Schulden. Unsere Freunde nehmen dann einen Gewinn von fünfzig bis sechzig Millionen Francs mit. Du begreifst nun, warum man vor aller Welt die geringste Indiskretion fürchtet.«
Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Weste und legte die Arme auf seine Knie; sie schmiegte sich an ihn, denn sie wußte, jetzt hatte sie sein Interesse geweckt. Für eine Liebkosung, für ein Lächeln, war sie nun bereit, alles zu tun, alles zu begehen.
»Bist du auch ganz sicher?« fragte er.
»Oh, ich weiß es ganz genau«, erwiderte sie zuversichtlich.
Er erklärte darauf:
»Es ist wirklich großartig. Was aber diesen Lump Laroche angeht, den will ich am Kragen nehmen. Oh, dieser Gauner! Er soll sich in acht nehmen … er soll sich in acht nehmen! … Er soll mir nur mit seinem Ministergetue zwischen die Finger kommen!«
Dann dachte er nach und murmelte:
»Man müßte davon auch etwas profitieren.«
»Du kannst noch die Anleihe kaufen,« sagte sie, »sie steht nur auf 72.«
»Ich habe aber kein Geld flüssig«, erwiderte er.
Sie sah flehend zu ihm auf:
»Ich habe schon daran gedacht, mein Kätzchen; wenn du zu mir sehr nett wärest, wenn du mich ein bißchen lieb hättest, dann würdest du mir gestatten, es dir zu leihen.«
Er antwortete schroff und heftig:
»Nein, ausgeschlossen!«
»Hör mich an,« bat sie mit flehender Stimme, »es gibt eine Möglichkeit, es zu tun, ohne Geld zu leihen. Ich wollte von dieser Anleihe für 10000 Francs kaufen, um mir eine kleine Reserve anzulegen; nun werde ich für 20000 Francs kaufen. Du beteiligst dich daran zur Hälfte. Du verstehst doch, ich werde es ja nicht an Walter gleich zurückzahlen. Du brauchst zunächst gar nicht zu bezahlen. Sollte es gelingen, so gewinnst du 70000 Francs; gelingt es nicht, so bleibst du mir eben 10000 Francs schuldig, die du mir zurückzahlen wirst, wann es dir paßt.«
Er wiederholte:
»Nein, nein, solche Kombinationen mache ich nicht mit.«
Nun begann sie, ihre Gründe auseinanderzusetzen und versuchte, ihn mit Vernunft zu überreden. Sie bewies ihm, daß er tatsächlich 10000 Francs auf sein Wort riskierte, daß folglich sie ihm gar nichts lieh, daß doch die Bank Walter das Geld vorstreckte.
Außerdem wies sie darauf hin, daß er doch in der Vie Francaise den ganzen politischen Feldzug geführt hatte, der das Geschäft überhaupt erst ermöglichte und daß er doch nicht so naiv wäre, keinen Vorteil daraus zu ziehen.
Er zauderte. Sie fuhr fort:
»Überlege es dir doch. Es ist doch Walter, der dir die 10000 Francs vorstreckt, und du hast ihm Dienste erwiesen, die bedeutend wertvoller sind als das.«
»Also gut, meinetwegen,« sagte er, »wir machen mit dir die Sache halb und halb. Sollten wir verlieren, so zahle ich dir 10000 Francs zurück.«
Sie war so glücklich, daß sie sich erhob, seinen Kopf mit beiden Händen ergriff und ihn gierig zu küssen begann.
Zunächst wehrte er sich nicht. Als sie aber stürmischer wurde, ihn umklammerte und mit ihren Liebkosungen verzehrte, fiel ihm dann ein, daß die andere bald kommen mußte und daß, wenn er nachgeben, er Zeit verlieren würde, und es wäre ihm doch lieber, seine Leidenschaft für die Jüngere aufzusparen, als sie in den Armen der Alten zu lassen.
Er wies sie sanft zurück.
»Sei doch vernünftig«, sagte er.
Sie blickte ihn verzweifelt an:
»O Georges, darf ich dir nicht einmal einen Kuß geben?«
»Heute nicht,« erwiderte er, »ich habe etwas Kopfschmerzen und es bekommt mir nicht.«
Darauf ließ sie sich fügsam zwischen seinen Knien nieder und fragte:
»Willst du morgen zu mir zum Essen kommen? Du würdest mir eine große Freude machen!«
Er zögerte, wagte aber nicht, abzulehnen.
»Ja, sehr gern!«
»Ich danke dir, mein Liebling.«
Mit regelmäßiger sanfter Bewegung rieb sie langsam ihre Wange an seiner Brust und eins ihrer langen schwarzen Haare blieb dabei an seiner Weste hängen. Sie merkte es und ein toller, halbverrückter, abergläubischer Gedanke ging ihr durch den Kopf, ein Gedanke, wie er oft der einzige Grund weiblichen Handelns ist. Sie begann, dieses Haar langsam um einen seiner Knöpfe zu wickeln. Dann wickelte sie ein anderes Haar um den nächsten Knopf und so weiter, bis an jedem Knopf ein Haar hing.
Sollte er nun aufstehen, so würde er sie alle herausreißen. Er würde ihr weh tun. Welches Glück! Er würde, ohne es zu wissen, etwas von ihr herumtragen, eine kleine Locke ihres Haares, um die er niemals gebeten hatte. Es würde ein Band sein, mit dem sie sich an ihm festhalten würde, ein geheimes, unsichtbares Band, ein Talisman, den er bei sich tragen müßte, ohne es zu wollen. Er würde an sie denken, von ihr träumen und vielleicht sie tags darauf etwas mehr lieben.
Plötzlich sagte er:
»Ich muß dich gleich verlassen, weil man mich zum Schluß der Sitzung in der Kammer erwartet. Ich darf in keinem Falle fehlen.«
Sie seufzte:
»Ach, schon!«
Und setzte dann hinzu :
»Geh; aber morgen, mein Liebling, kommst du bestimmt zum Essen.«
Dann riß sie sich rasch von ihm los. Sie fühlte auf ihrem Kopf einen kurzen heftigen Schmerz, als habe man sie mit Nadeln gestochen. Ihr Herz klopfte, sie war glücklich, durch ihn gelitten zu