Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
lächelten sich zu, sie küßten sich. Das Zimmer war dunkel, das Bett aufgedeckt. Sie stand auf, um sich zu nähern, um ihre Tochter am Haar zu fassen und sie aus dieser Umarmung herauszureißen. Sie wollte sie an der Kehle packen, erwürgen, ihre eigene Tochter, die sie haßte, ihre Tochter, die sich diesem Manne hingab. Sie faßte sie schon… ihre Hände stießen an die Leinewand des Gemäldes. Sie berührte die Füße Christi … Sie schrie laut auf und sank zu Boden. Die Kerze war umgefallen und erlosch.
Was geschah weiter? Sie träumte lange von seltsamen schrecklichen Dingen. Es war immer Georges und Suzanne, die vor ihre Augen traten, eng aneinander geschmiegt, und der Christus segnete ihre verruchte Liebe.
Sie hatte das Gefühl, sie befinde sich nicht in ihrem Hause. Sie wollte aufstehen, fliehen, doch sie hatte keine Kraft. Eine Starrheit hatte sie befallen, ihre Glieder waren gelähmt, nur die Gedanken blieben ihr noch, wenn auch verwirrt und betört durch gräßliche, phantastische Vorstellungen. Sie war halb betäubt und träumte. Es war ein ungesunder, seltsamer und bisweilen tödlicher Traum, den die einschläfernden tropischen Pflanzen mit ihren wundervollen Formen und schwülem Duft in das Menschengehirn eindringen lassen.
Bei Tagesanbruch fand man Frau Walter bewußtlos und halbtot vor dem Christusbild auf dem Rücken ausgestreckt liegen. Sie war so krank, daß man für ihr Leben fürchtete. Erst am Tage darauf kam sie wieder zu vollem Bewußtsein. Dann begann sie zu weinen.
Das Verschwinden Suzannes wurde der Dienerschaft damit erklärt, daß sie plötzlich ins Kloster zurückgeschickt worden sei. Herr Walter antwortete Du Roy auf seinen langen Brief und sagte ihm die Hand seiner Tochter zu.
Bel-Ami hatte seinen Brief in den Postkasten geworfen, in dem Augenblick, wo er Paris verließ, denn er hatte ihn schon am Abend vor der Entführung geschrieben. In respektvollen Ausdrücken teilte er darin mit, daß er seit langem schon das junge Mädchen liebe, daß jedoch nie eine Verabredung zwischen ihnen beiden bestanden hatte, daß er aber, als sie in voller Freiheit zu ihm gekommen war, um ihm zu sagen: »Ich will Ihre Frau sein«, sich für berechtigt hielt, sie zu behalten und sogar zu verbergen, bis er von den Eltern eine Antwort erhalten würde, deren rechtmäßigen Willen er respektiere, aber für weniger maßgebend halte, als den Willen seiner Verlobten selbst.
Er bat Herrn Walter, ihm postlagernd zu antworten; ein Freund würde ihm den Brief übermitteln.
Als er seinen Zweck erreicht hatte, brachte er Suzanne nach Paris und schickte sie zu ihren Eltern zurück; er selbst hielt sich eine Weile von ihnen fern.
Sie hatten sechs Tage an der Seine in La Roche-Guyon verbracht.
Noch nie hatte sich das junge Mädchen so amüsiert. Sie spielte die Bäuerin. Und da er sie als seine Schwester ausgab, so lebten sie ungeniert und keusch nebeneinander, in einer Art verliebter Kameradschaft. Er hielt es für gescheiter, sie nicht anzurühren. Am Tage nach ihrem Eintreffen kaufte sie sich Bauernwäsche und Kleider. Sie angelte und trug dabei auf dem Kopf einen riesigen Strohhut mit Feldblumen. Sie fand die Gegend bezaubernd. Es gab da einen alten Turm und ein altes Schloß, wo man prächtige Wandteppiche zeigte.
Georges trug eine Bauernbluse, die er sich im Dorfe beim Kaufmann erstanden hatte. Er machte mit Suzanne Ausflüge entweder zu Fuß am Fluß entlang, oder im Boot. Sie küßten sich jeden Augenblick. Suzanne in voller Unschuld, er bereit, seiner Begierde zu unterliegen. Doch er nahm sich zusammen, und als er ihr sagte: »Morgen kehren wir nach Paris zurück, Ihr Vater versichert mir Ihre Hand«, da meinte sie ganz naiv:
»Schon, es hat mir soviel Spaß gemacht, Ihre Frau zu sein!«
X.
Es war dunkel in der kleinen Wohnung auf der Rue Constantinople, denn Georges Du Roy und Clotilde de Marelle hatten sich am Eingang getroffen und waren schnell hineingetreten und sie fragte, ohne ihm Zeit zu lassen, die Vorhänge zurückzuziehen:
»Also du heiratest wirklich Suzanne Walter?«
Er gab es sanft zu und sagte dann:
»Wußtest denn du das gar nicht?«
Sie stand wütend und entrüstet vor ihm.
»Du heiratest Suzanne Walter!« versetzte sie zornig. »Das geht schon zu weit! Das geht schon zu weit! Seit drei Monaten bist du so scheinbar lieb mit mir, damit ich nichts merken sollte. Alle Welt weiß es, nur ich nicht. Mein Mann hatte es mir gesagt.«
Du Roy grinste, trotzdem war er etwas verlegen. Er legte seinen Hut auf eine Kaminecke und setzte sich in einen Lehnstuhl.
Sie blickte ihm fest ins Gesicht und sagte dann leise mit gereizter Stimme:
»Seitdem du dich von deiner Frau scheiden ließest, bereitest du diesen Streich vor; und für die Zwischenzeit behieltst du mich nett und liebenswürdig als deine Geliebte! Was bist du doch für ein Schurke!«
»Wieso?« fragte er. »Ich hatte eine Frau, die mich betrog, ich habe sie überrascht. Ich habe die Scheidung durchgesetzt und nun heirate ich eine andere. Was ist denn dabei?«
Sie flüsterte zitternd:
»Oh, wie du raffiniert und gefährlich bist!«
Er begann wieder zu lächeln:
»Natürlich. Die Dummen und die Schwachköpfe fallen immer herein.«
Doch sie ließ von ihren Gedanken nicht ab:
»Ich hätte dich von Anfang an durchschauen müssen. Nein, aber für einen so gemeinen Schurken habe ich dich doch nicht gehalten.«
Er nahm eine würdevolle Miene an:
»Ich bitte dich, auf die Worte zu achten, die du gebrauchst!«
Sie empörte sich gegen seine Dreistigkeit:
»Was? Willst du etwa, daß ich dich mit Handschuhen anfassen soll? Du benimmst dich mir gegenüber, seitdem ich dich kenne, wie ein Lump, und nun verlangst du, daß ich es dir nicht sage? Du betrügst und beutest alle und alles aus; du nimmst dir Geld und Vergnügen überall, wo du es findest, und du willst, daß ich dich als einen ehrlichen Mann behandle?«
Er stand auf und sagte mit bebenden Lippen:
»Schweig, oder ich werfe dich hinaus!«
Sie stammelte:
»Mich hinauswerfen … mich hinauswerfen … du willst mich von hier hinauswerfen … von hier … du … du?«
Sie konnte nicht weitersprechen, sie erstickte direkt vor Zorn, und auf einmal schrie sie in einem jähen Wutausbruch hervor:
»Hinauswerfen? Du vergißt, daß ich das hier seit dem ersten Tage bezahlt habe. Ah! Du hast sie ab und zu auf deine Rechnung übernommen. Aber wer hat sie gemietet … ich war es … Wer hat sie behalten? … Ich … Und du willst mich hinauswerfen? Schweige, du Taugenichts. Glaubst du etwa, ich wüßte nicht, wie du Madeleine die Hälfte ihrer Vaudrecschen Erbschaft gestohlen hast. Glaubst du; daß ich nicht weiß, wie du mit Suzanne geschlafen hast, um sie zu zwingen, dich zu heiraten.«
Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie:
»Sprich nicht von der. Ich verbiete es dir!«
Sie schrie:
»Du hast doch mit ihr geschlafen, ich weiß es.«
Er hätte vieles sich gefallen lassen, doch diese Unwahrheit brachte ihn außer sich. Die Wahrheiten, die sie ihm schreiend ins Gesicht geschleudert hatte, ließen für den Augenblick sein Herz vor Zorn erbeben, aber das, was sie fälschlich über das kleine Mädchen sagte, die seine Frau werden sollte, ließ seine Hand zusammenzucken, in dem wütenden Verlangen, zu schlagen.
Er wiederholte:
»Schweig … nimm dich in acht …! Schweige du! …«
Und er schüttelte sie hin und her wie man einen