Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
– Aber jetzt, was soll man denn von uns denken? Was sollen die Leute sagen? Du kannst doch nicht jetzt am hellenlichten Tag ein Zimmer verlangen, ich bitte Dich Julius …
Aber er fiel ihr ins Wort:
– Das ist mir ganz gleich, was die Leute im Hotel sagen und denken. Du wirst gleich sehen, wie schnuppe mir das ist. – Und er klingelte.
Sie sagte nichts mehr und schlug die Augen nieder, seelisch und körperlich empört über diesen unausgesetzten Wunsch ihres Mannes, sich immer nur mit Ekel ergebend, resigniert aber gedemütigt nachgebend, indem sie darin etwas Tierisches, Erniedrigendes, Schmutziges sah.
Ihre Sinne schliefen noch, und er behandelte sie, als hätte sie seine Gluten geteilt.
Als der Kellner kam, verlangte Julius, daß sie auf ihr Zimmer geführt würden. Der Mann, ein richtiger Korse, bärtig bis zu den Augen hinauf, verstand nicht und sagte, das Zimmer würde zur Nacht bereit sein.
Julius aber ward ungeduldig und erklärte:
– Nein, sofort, wir sind müde von der Reise und wollen uns ausruhen.
Da glitt ein Lächeln über das Antlitz des Bediensteten, und Johanna wäre am liebsten davon gelaufen.
Als sie eine Stunde später wieder herunterkamen, wagte sie kaum an den Leuten, die ihr begegneten, vorüber zu gehen, sie meinte sie müßten hinter ihrem Rücken lächeln und flüstern. Und sie trug es Julius innerlich nach, daß er sie nicht begriff, daß er nicht die feine Scham, nicht den Takt hatte; und zwischen sich und ihm fühlte sie wie einen Schleier, eine Kluft, indem sie zum ersten Male ahnte, daß zwei Menschen nie einander, bis in ihre Seele, bis in die Tiefe ihrer Gedanken erforschen, daß sie nebeneinander hergehen können, oft Arm in Arm, aber nie eins, und daß das Tiefste, Innerste eines jeden von uns im Leben doch ewig einsam bleibt.
Sie verweilten drei Tage in der kleinen Stadt, die in der Tiefe ihres blauen Golfes versteckt, im Schutz ihrer Bergwände, die niemals einen Windhauch hinein ließen, heiß war, wie ein Hochofen.
Dann wurde der Reiseplan festgesetzt, und um allen Schwierigkeiten gewachsen zu sein, entschlossen sie sich, Pferde zu mieten. Sie nahmen also zwei kleine, unermüdliche, korsische Hengste mit blitzenden Augen und machten sich eines Morgens bei Tagesanbruch auf den Weg.
Ein Führer auf einem Maultiere begleitete sie und trug die Vorräte, denn in diesem wilden Lande giebt es keine Wirtshäuser.
Zuerst folgte die Straße dem Hafen und verschwand dann in einem nicht sehr tiefen Thal, das zu den hohen Bergen führte. Manchmal kamen sie durch fast ausgetrocknete Gebirgsbäche, nur der letzte Rest eines Wässerchens sickerte noch unter den Steinen wie ein verstecktes Tier und gluckste leise.
Das unbebaute Land schien ganz kahl zu sein, die Abhänge waren mit hohem Gras bedeckt, das in dieser heißen Jahreszeit ganz gelb geworden. Ab und zu begegnete man einem Gebirgsbewohner, sei es zu Fuß, sei es auf seinem kleinen Pferde, oder seitwärts sitzend auf einem kleinen Esel, der nicht größer war, wie ein Hund. Alle trugen ein geladenes Gewehr auf dem Rücken, alte, verrostete Waffen, aber doch furchtbar in ihrer Hand.
Der scharfe Geruch der aromatischen Pflanzen, mit denen die Insel bedeckt ist, schien die Luft zu verdicken.
Die Straße folgte langsam steigend in langen Windungen dem Berge. Die Gipfel aus rotem oder bläulichem Granit gaben der Gegend etwas Märchenhaftes, und an den niedrigeren Hängen sahen die riesigen Kastanienwälder aus, wie kleine, grüne Gebüsche, so gewaltig sind hier die Höhenverhältnisse.
Ab und zu streckte der Führer gegen die zerrissenen Berge die Hand aus und nannte einen Namen. Johanna und Julius blickten hin, sahen nichts Besonderes, bis sie endlich etwas Graues entdeckten, wie einen Steinhaufen, der vom Gipfel abgebröckelt zu sein schien. Es war ein Dorf, eine kleine, granitene Ortschaft, die dort oben lag, angeklebt wie ein richtiges Vogelnest, an den riesigen Bergen fast verschwindend.
Das lange Schrittreiten machte Johanna fast ungeduldig. – Wir wollen etwas schneller reiten, sagte sie und trieb ihr Pferd an; aber als sie ihren Mann nicht neben sich galoppieren hörte, drehte sie sich um und fing sofort laut an zu lachen, als sie ihn in langen Sätzen herankommen sah, totenbleich, die Hände in der Mähne des Pferdes fest gekrallt. Bei seinem guten Aussehen, seiner schönen ritterlichen Gestalt, war seine Ungeschicklichkeit und Angst um so komischer. Da fingen sie an langsam zu traben, der Weg führte jetzt zwischen zwei unendlichen Reihen von Buschwerk dahin, die gleich einem Mantel die ganzen Berge bedeckten. Das war das korsische Dickicht, jenes undurchdringliche Dickicht, gebildet aus Eichen-, Wachholder-, Erdbeerbüschen, Mastiks, Alaternen, Laichkraut, Lorbeer-, Myrten-und Buchsbäumen, die in einander gewachsen, sich wie Haare verwirrten. Dazu Waldreben und riesige Farrenkräuter, Jelänger-Jelieber, Rosmarin, Dornen und Dornengestrüpp, die die Bergrücken mit undurchdringlicher Decke überzogen.
Sie hatten Hunger. Der Führer holte sie ein und brachte sie an eine jener reizenden Quellen, die in diesen zerklüfteten Bergen so häufig sind. Ein schmaler, eisigkalter Wasserstrahl, der aus einem kleinen Felsspalt brach und über ein Kastanienblatt lief, das irgend ein Vorübergehender dahin gelegt, um die kleine Quelle bequem bis in den Mund des Durstigen zu leiten, erquickte sie.
Johanna fühlte sich so glücklich, daß sie an sich halten mußte, um nicht laut aufzujubeln.
Sie setzten ihren Ritt fort und den Golf von Sagone umkreisend, stiegen sie wieder hinab.
Gegen Abend kamen sie durch Cargese, ein griechisches Dorf, das einst Flüchtlinge gegründet, die aus ihrem Vaterland Vertrieben worden. An einem Brunnen standen große, schöne, schlanke Mädchen mit länglichen Händen, seiner Taille, wundervoll graziös. Julius rief ihnen guten Abend zu. Sie antworteten in singendem Ton in der harmonischen Sprache ihres ehemaligen Vaterlandes.
Als sie nach Piana kamen, mußten sie in einem Hause um Gastfreundschaft bitten, wie in alten Zeiten und in einsamen Gegenden. Johanna zitterte vor Freude, während sie warteten, bis die Thür sich öffnete, an welche Julius geklopft. Ja, das war einmal eine Reise mit allen Überraschungen unentdeckter Straßen.
Sie kamen gerade zu einem jungen Ehepaar. Man empfing sie, wie wohl einst die Patriarchen den von Gott gesandten Gast empfingen. Sie schliefen auf einer Schütte Mais in dem alten, baufälligen Hause, in dessen Gebälk die Bohrwürmer ihre langen Gänge zogen, so daß es schien, als ob das ganze Haus lebte und atmete.
Bei Tagesanbruch brachen sie auf und befanden sich bald vor einem Wald, einem wirklichen Wald von rotem Sandstein; da standen Spitzen, Säulen, Kirchtürme, wundersame Gestalten die der Zahn der Zeit, der nagende, rüttelnde Sturm, die Seeluft aus den Felsen gefressen hatten.
Diese wundersamen Felsgebilde waren bis zu dreihundert Meter hoch, schmal, abgerundet, schlank, gewunden, ungestalt, phantastisch und seltsam. Sie glichen Bäumen, Pflanzen, Tieren, Monumenten, Menschen, Mönchen in langen Gewändern, gehörnten Teufeln, riesigen Vögeln, eine ganze Welt von Spuk-Gestalten, die irgend eine eigenwillige Gottheit in Stein verwandelt.
Johanna sprach nicht mehr, ihr war das Herz beklommen. Sie nahm Julius Hand, drückte sie, im Bedürfnis, jemand zu fühlen und zu lieben angesichts der Schönheit der Natur.
Und plötzlich, als sie aus diesem Chaos traten, lag ein neuer Meerbusen vor ihnen, rings von blutroter Granitwand eingerahmt.
Im blauen Meer spiegelten sich die scharlachnen Felsen. Johanna stammelte:
– O Julius!
Sie fand keine anderen Worte, sie war ganz weich vor Bewunderung, die Kehle ihr wie zugeschnürt. Zwei Thränen standen in ihren Augen. Er sah sie erstaunt an und fragte:
– Was hast Du denn, Kindchen?
Sie wischte die Wangen, lächelte und sagte mit leise bebender, zitternder Stimme:
– Nichts! Ich bin nervös, ich weiß nicht, es hat mich so gepackt! Ich bin so glücklich, daß mir die geringste Sache solchen Eindruck macht!
Er begriff diese weibliche Nervosität nicht, die zitternden Stimmungen, die durch ein nichts in Schwingung gebracht