Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
Füße trugen, dem Wagen nach. Sobald er sie eingeholt hatte, beugte sich Julius herab, packte ihn am Kragen; zog ihn zu sich herauf, ließ die Zügel los und begann den Hut, der ihm bis auf die Schultern herabgetrieben ward, mit Faustschlägen zu traktieren, daß es wie Trommeln klang.
Der Bengel brüllte, suchte auszureißen, vom Bock zu springen, während sein Herr, indem er ihn mit der einen Hand hielt, mit der andern immer weiter schlug. Johanna stammelte halb verzweifelt:
– Papa, ach Papa! Und die Baronin preßte ganz empört den Arm ihres Gatten:
– Aber so hindere ihn doch! Hindere ihn doch!
Da ließ plötzlich der Baron vorn eine Scheibe des Wagenfensters herunter, packte seinen Schwiegersohn am Ärmel und brüllte ihn an:
– Hast Du das Kind bald genug gehaun?
Julius blickte sich erschrocken um und rief:
– Siehst Du denn nicht, wie der Bengel seine Livrée zugerichtet hat?
Aber der Baron antwortete, indem er den Kopf zwischen die beiden steckte:
– Das ist ganz gleich, so roh ist man nicht. Julius ward wieder böse:
– Bitte laß mich in Ruhe, das geht Dich nichts an! Er hob von neuem zum Schlage die Hand, aber sein Schwieger vater packte sie schnell und zog sie mit solcher Kraft herab, daß sie gegen das Holz des Bockes stieß, und dabei schrie er heftig:
– Wenn Du jetzt nicht sofort aufhörst, steige ich sofort aus! Ich will Dich schon zwingen, daß Du es sein läßt….
Der Vicomte beruhigte sich plötzlich …. zuckte mit den Achseln und hieb auf die Tiere ein, daß sie im langen Trabe davon rasten.
Die beiden Frauen waren bleich geworden, bewegten sich nicht, und man hörte deutlich das laute Klopfen des Herzens der Baronin.
Bei Tisch war Julius netter als gewöhnlich, als ob nichts geschehen wäre. Johanna, ihr Vater und Frau Adelaide, die schnell vergaßen in ihrem heitern Wohlwollen, waren ganz gewonnen, weil er liebenswürdig war, und gaben sich ihrer Fröhlichkeit hin mit dem Wohlbehagen des Gesunden.
Als Johanna wieder von den Brisevilles sprach, fing sogar ihr Mann an zu scherzen, aber er fügte doch sehr bald hinzu:
– Sie mögen sein wie sie wollen, jedenfalls sind sie sehr vornehm.
Andere Besuche wurden nicht gemacht, jeder fürchtete, daß der Fall Marius sich wiederholen möchte. Sie beschlossen nur, den Nachbarn zum Jahreswechsel Karten zu schicken und die Besuche bis auf die ersten schönen Tage des folgenden Frühlings zu verschieben.
Weihnachten kam. Zu Tisch erschienen der Pfarrer, der Ortsvorstand und seine Frau, zum Neujahrstag wurden sie wieder eingeladen.
Das waren die einzigen Zerstreuungen, die das monotone Einerlei der Tage unterbrachen.
Papa und Mutting hatten die Absicht, am 9. Januar Les Peuples zu verlassen. Johanna wollte sie zurück halten, aber Julius gab sich weiter keine Mühe, und wegen der Unliebenswürdigkeit seines Schwiegersohnes ließ der Baron eine Extrapost aus Rouen kommen.
Am Abend vor ihrer Abreise, nachdem alles gepackt, entschlossen sich Johanna und ihr Vater, da es ein Heller Frosttag war, nach Yport zu gehen, wo sie seit ihrer Rückkehr aus Korsika nicht wieder gewesen waren.
Sie kamen durch den Wald, durch den sie am Tage ihrer Hochzeit gegangen war, an der Seite des Mannes, dessen Gefährtin auf ewig sie werden sollte, durch den Wald, wo sie ihre erste Liebkosung empfangen, den ersten Schauer der Liebe gefühlt und jene sinnliche Liebe geahnt, die sie erst im wilden Waldthale Ota hatte empfinden sollen, an der Quelle, wo sie getrunken und ihre Küsse mit dem Wasser vermischt hatten.
Nirgends war mehr Laub an den Bäumen, kein sprießendes Gras, man hörte nur das Knacken der Äste und den dürren Klang, den die kahlen Gebüsche im Winter von sich geben.
Sie kamen in das kleine Dorf. Die Straßen waren leer und schweigsam, es duftete nach Meer, Seetang und Fischen, Die großen Netze hingen noch immer vor den Thüren zum Trocknen oder lagen ausgebreitet am Strande. Das graue, kalte Meer mit seinen ewigen, tobenden Schaumwellen begann in die Ebbe zu treten; nach Fécamp zu erschienen am Rande der Klippen die grünlichen Felsen, und längs des Strandes sahen die großen Boote, die auf der Seite lagen, aus wie mächtige tote Walfische.
Und die Fischer kamen in Gruppen ans Ufer, schwer einherschreitend in ihren mächtigen Seemannsstiefeln, ein Tuch um den Hals, die Schnapsflasche in der einen Hand und in der andern die Laterne ihres Schiffes. Lange gingen sie um die schiefliegenden Boote herum. Mit normannischer Bedächtigkeit verstauten sie ihre Netze, einen großen Laib Brot, einen Topf mit Butter, Schnapsflasche und Glas an Bord. Dann schoben sie das aufgerichtete Boot gegen das Wasser, das mit großem Lärm auf dem Strande hinrutschte, in die Brandung schoß, sich auf den Wellen schaukelte, ein Paar Augenblicke hin und herschwankte, dann seine mächtigen braunen Flügel entfaltete und mit seinem kleinen Licht an der Mastspitze in der Nacht verschwand.
Und die großen Seemannsfrauen, deren grobe Glieder unter den dünnen Kleidern sich abzeichneten, die bis zur Ab fahrt des letzten Fischers gewartet hatten, kehrten in das schlafende Dorf zurück, mit ihrem Gekreisch die Stille der Straße störend.
Der Baron und Johanna sahen unbeweglich zu, wie im Dunkel die Männer verschwanden, die so wie heute jede Nacht hinausfuhren, ihr Leben zu wagen, um nicht Hungers zu sterben und dabei doch in so dürftigen Verhältnissen waren, daß bei ihnen niemals Fleisch auf den Tisch kam.
Der Baron ward ganz begeistert angesichts des Ozeans:
– Er ist furchtbar und doch schön! Wie wundervoll ist dies Meer, wenn es dunkel wird, dies Meer auf dem so viele Menschenleben stündlich in Gefahr schweben! Nicht wahr, Hannchen?
Sie antwortete mit eisigem Lächeln:
– Aber mit dem Mittelmeer nicht zu vergleichen. Doch ihr Vater war empört:
– Das Mittelmeer ist das reine Öl, Zuckerwasser, blaues Wasser im Waschtrog! Sieh nur mal, wie das grausig ist mit den großen Schaumköpfen und denke nur, alle diese Männer, die da hinaus gefahren und schon verschwunden sind.
Johanna gab es mit einem Seufzer zu:
– Ja, wenn Du willst.
Aber das Wort: Mittelmeer, das ihr auf die Lippen gekommen war, hatte wieder ihr Herz gepackt und ihre Gedanken nach den fernen Gegenden zurück geführt, wo ihre Träume schliefen.
Vater und Tochter gingen nun, statt durch den Wald zurück zu kehren, auf die Straße und stiegen langsam die Höhe hinan. Sie sprachen kaum, sie waren traurig über die baldige Trennung.
Ab und zu wehte ihnen, wenn sie an den Grenzgräben der Bauernhöfe vorüber kamen, der Geruch gestampfter Äpfel, jener Duft frischen Apfelweins entgegen, der zu dieser Jahreszeit über dem ganzen normannischen Lande zu liegen scheint; oder Stallgeruch traf sie, jener warme, angenehme Duft, den der Kuhdünger ausströmt. In jedem Hof bezeichnete ein erleuchtetes Fenster das Wohnzimmer, und Johanna war es, als weitete sich ihre Seele, als verstünde sie das Unsichtbare. Diese kleinen, über die Felder hin verstreuten Lichtstecke flößten ihr plötzlich wieder das lebhafte Gefühl ein, daß alle Wesen auf dieser Erde doch allein stehen, alle einander fremd find, keiner das Glück findet, das er ersehnt.
Da sagte sie mit trauriger Stimme:
– Das Leben ist nicht immer heiter! Der Baron seufzte:
– Ja, Kleine, wir können es nicht ändern.
Und als am nächsten Tage Papa und Mutting, abgereist waren, blieben Johanna und Julius allein.
VII
Nun begannen im Leben der jungen Leute die Karten eine Rolle zu spielen. Jeden Tag spielte Julius, die Pfeife dabei schmauchend und Cognac trinkend,