Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de MaupassantЧитать онлайн книгу.
wurde und zugleich in den Armen der Alten eine Glut ließ, die er besser der Jungen aufhob.
Darum stieß er sie leise von sich und sagte:
– Ach was, sei vernünftig!
Sie blickte ihn verzweifelt an:
– Ach Georg, ich darf Dich nicht einmal mehr küssen?
Er antwortete:
– Nein, heute nicht. Ich habe Kopfschmerzen und dadurch wird’s schlimmer!
Da setzte sie sich wieder hin, ganz folgsam zwischen seine Kniee und fragte:
– Willst Du morgen bei uns essen? Du würdest mich dadurch so glücklich machen!
Er zögerte, aber er wagte nicht ›nein‹ zu sagen, und sagte zu:
– Gut, ich komme!
– Ich danke Dir, Du lieber Mann.
Sie rieb zärtlich ihre Wange in regelmäßiger Bewegung an der Brust des jungen Mannes und eines ihrer langen, schwarzen Haare verfing sich dabei an seiner Weste. Sie bemerkte es und plötzlich kam sie auf eine tolle Idee, eine jener abergläubischen Ideen, die oft alles bei der Frau bedeuten. Ganz langsam begann sie dieses Haar um einen der Knöpfe zu wickeln, den nächsten Knopf umschlang sie mit einem zweiten, ein drittes Haar befestigte sie an einem andern Knopf und endlich an jedem Knopf eins.
Wenn er nachher aufstand, würde er sie abreißen, er würde ihr weh thun, o welches Glück! Und ohne es zu wissen nähme er etwas von ihr mit sich, eine kleine Locke ihres Haars, um die er sie nie gebeten. Sie fesselte ihn durch ein geheimes, unsichtbares Band an sich, sie ließ einen Talisman an ihm zurück: ohne es zu wollen, müßte er an sie denken, von ihr träumen und sie vielleicht in den nächsten Tagen etwas mehr lieb haben.
Da sagte er plötzlich:
»Ich muß Dich jetzt verlassen, denn man erwartet mich in der Kammer für das Ende der Sitzung. Heute darf ich nicht fehlen.«
Sie seufzte:
»Ach, schon?«
Dann sagte sie mit Ergebung:
»Geh mein Liebling, aber Du kommst morgen zu Tisch.«
Und plötzlich beugte sie sich zurück. Sie spürte auf dem Kopf einen heftigen Schmerz, als ob man sie mit hundert Nadeln gestochen. Ihr Herz schlug, sie war glücklich, durch ihn gelitten zu haben. – Adieu! sagte sie.
Er schloß sie lächelnd in die Arme und küßte sie kalt auf die Augen.
Aber sie, die durch diese Berührung wieder ganz erregt worden war, murmelte:
»Schon? – Und ihr flehender Blick suchte das Nebenzimmer, dessen Thür offen stand.«
Er schob sie von sich und sagte eilig:
»Ich muß fort, ich komme sonst zu spät.«
Da hielt sie ihm die Lippen hin, die er kaum berührte, und nachdem er ihr ihren Sonnenschirm gegeben, den sie vergessen, sagte er:
»Nun, vorwärts! Schnell, es ist schon drei vorbei!«
Sie ging vor ihm hinaus, indem sie nochmals sagte:
– Morgen um sieben!
Er antwortete:
– Gut, ich werde kommen! – Sie trennten sich, sie wandte sich rechts, er links.
Du Roy ging bis zum äußeren Boulevard, dann bummelte er langsam den Boulevard Malesherbes zurück.
Als er bei einem Zuckerbäcker vorüber kam, sah er glasierte Maronen in einer Kristallschale und dachte: »Ich bringe Clotilde ein paar mit.« Und er kaufte eine Düte voll dieser gezuckerten Früchte, die sie so sehr liebte.
Um vier Uhr kehrte er zurück, um die junge Geliebte zu erwarten.
Sie traf etwas zu spät ein, weil ihr Mann eben auf acht Tage angekommen war. Sie fragte:
– Kannst Du morgen bei uns essen? Mein Mann würde sich freuen.
– Nein, ich muß beim Chef essen. Wir haben eine Menge politischer und finanzieller Geschäfte, die uns in Anspruch nehmen. – Sie hatte ihren Hut abgenommen und zog nun die Taille aus, die sie beengte. Er deutete auf die Düte auf dem Kamin:
– Ich habe Dir glasierte Maronen mitgebracht!
Sie klatschte in die Hände:
– Das ist schön! Du bist nett!
Sie nahm sie, kostete eine und sagte:
– Ach, sie schmecken zu schön! Ich weiß schon, daß keine übrig bleiben wird!
Dann fügte sie hinzu, indem sie lächelnd Georg sinnlich betrachtete:
– Du leistest allen meinen Lastern Vorschub!
Sie aß langsam die Maronen, blickte immerfort in die Düte, als wollte sie sehen, ob noch welche übrig blieben und sagte:
– Da, setz Dich mal hier in diesen Stuhl, ich kauere mich zwischen Deine Kniee um meine Maronen zu knabbern. Das macht mir Spaß!
Er lächelte, setzte sich und nahm sie zwischen die geöffneten Kniee, wie vorhin Frau Walter.
Sie hob den Kopf zu ihm und, den ganzen Mund noch voll, sagte sie:
– Denke Dir mal, ich habe von Dir geträumt. Ich träumte wir machten eine große Reise zusammen auf einem Kamel, das zwei Höcker hatte. Wir saßen jedes auf einem Höcker und so ging es durch die Wüste. Wir hatten in einem Stück Papier Butterbrote mit und Wein in einer Flasche. So frühstückten wir auf unserem Kamel, aber es paßte mir nicht, weil wir uns nicht nähern konnten. Wir waren zu weit von einander, und ich wollte von meinen Höcker herunter.
Er antwortete:
– Ich will auch herunter!
Er lachte. Die Geschichte machte ihm Spaß, und er brachte sie dazu, allerlei Unsinn zu reden, zu schwatzen, all die Kindereien von Stapel zu lassen und all den Unsinn zu reden, womit Verliebte aufwarten können. Dieser Unsinn, der ihm reizend klang aus dem Munde der Frau von Marelle, hätte ihn rasend gemacht, wenn ihn Frau Walter gesprochen.
Auch Clotilde nannte ihn: »Kleiner,« »Herzl,« »Mäuschen.« Aber diese Worte waren ihm wie eine Liebkosung, aus dem Munde der anderen vorhin hatten sie ihn wütend gemacht und ihm weh gethan; denn die Liebesworte nehmen den Geschmack der Lippen an, die sie aussprechen.
Aber während er sich über ihre Scherze amüsierte, dachte er immer an die siebzigtausend Franken, die er gewinnen sollte, und plötzlich unterbrach er das Geschwätz seiner Freundin, indem er ihr zweimal auf den Kopf tippte:
– Hör mal, Kleine, ich will Dir einen Auftrag für Deinen Mann geben. Sag ihm mal, ich ließe ihm sagen, er solle für zehntausend Franken marokkanische Rente kaufen. Sie steht auf zweiundsiebzig, ich verspreche ihm, daß er vor Ablauf eines Vierteljahres sechszig-bis achtzigtausend Franken daran verdient hat. Aber er muß absolut stillschweigen. Sag ihm, ich ließe ihm sagen, daß die Expedition nach Tanger beschlossene Sache ist, und daß der französische Staat die marokkanische Schuld übernimmt, aber verplappere Dich nicht mit andern, ich vertraue Dir da ein Staatsgeheimnis an.
Sie hörte ihm ernsthaft zu und flüsterte:
– Ich danke Dir, ich werde es gleich heute abend meinem Manne sagen. Du kannst auf ihn zählen, der schwatzt nicht. Er ist sehr zuverlässig, bei dem brauchst Du keine Angst zu haben!
Sie hatte sämtliche Maronen gegessen, zerdrückte nun die Düte zwischen den Fingern und warf sie in den Kamin, dann sagte sie: – Nun wollen wir zu Bett gehen. Sie begann, ohne aufzustehen, Georgs Weste aufzuknöpfen.
Plötzlich hielt sie inne und hielt mit zwei Fingern ein langes Haar hoch, das an einem Knopfe hängen geblieben war. Sie fing an zu lachen:
– Da, sieh mal, Du hast ein Haar von Magdalene mitgeschleppt, das ist aber ein treuer Ehegatte. – Aber da ward sie ernst und