Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
seinen Willen nicht brechen und zur endlichen Verneinung führen kann. Alle wahre und reine Liebe hingegen, ja selbst alle freie Gerechtigkeit, geht schon aus der Durchschauung des principii individuationis hervor, welche, wenn sie in voller Klarheit eintritt, die gänzliche Heiligung und Erlösung herbeiführt, deren Phänomen der oben geschilderte Zustand der Resignation, der diese begleitende unerschütterliche Friede und die höchste Freudigkeit im Tode ist101.
§ 69
Von der nunmehr, in den Gränzen unserer Betrachtungsweise, hinlänglich dargestellten Verneinung des Willens zum Leben, welche der einzige in der Erscheinung hervortretende Akt seiner Freiheit und daher, wie Asmus es nennt, die transscendentale Veränderung ist, unterscheidet nichts sich mehr, als die willkürliche Aufhebung seiner einzelnen Erscheinung, der Selbstmord. Weit entfernt Verneinung des Willens zu seyn, ist dieser ein Phänomen starker Bejahung des Willens. Denn die Verneinung hat ihr Wesen nicht darin, daß man die Leiden, sondern daß man die Genüsse des Lebens verabscheut. Der Selbstmörder will das Leben und ist bloß mit den Bedingungen unzufrieden, unter denen es ihm geworden. Daher giebt er keineswegs den Willen zum Leben auf, sondern bloß das Leben, indem er die einzelne Erscheinung zerstört. Er will das Leben, will des Leibes unbehindertes Daseyn und Bejahung; aber die Verflechtung der Umstände läßt diese nicht zu, und ihm entsteht großes Leiden. Der Wille zum Leben selbst findet sich in dieser einzelnen Erscheinung so sehr gehemmt, daß er sein Streben nicht entfalten kann. Daher entscheidet er sich gemäß seinem Wesen an sich, welches außerhalb der Gestaltungen des Satzes vom Grunde liegt, und dem daher jede einzelne Erscheinung gleichgültig ist; indem es selbst unberührt bleibt von allem Entstehn und Vergehn und das Innere des Lebens aller Dinge ist. Denn jene nämliche feste, innere Gewißheit, welche macht, daß wir Alle ohne beständige Todesschauer leben, die Gewißheit nämlich, daß dem Willen seine Erscheinung nie fehlen kann, unterstützt auch beim Selbstmorde die That. Der Wille zum Leben also erscheint eben so wohl in diesem Selbsttödten (Schiwa), als im Wohlbehagen der Selbsterhaltung (Wischnu) und in der Wollust der Zeugung (Brahma). Dies ist die innere Bedeutung der Einheit des Trimurtis, welche jeder Mensch ganz ist, obwohl sie in der Zeit bald das eine, bald das andere der drei Häupter hervorhebt. – Wie das einzelne Ding zur Idee, so verhält sich der Selbstmord zur Verneinung des Willens: der Selbstmörder verneint bloß das Individuum, nicht die Species. Wir fanden schon oben, daß, weil dem Willen zum Leben das Leben immer gewiß und diesem das Leiden wesentlich ist, der Selbstmord, die willkürliche Zerstörung einer einzelnen Erscheinung, bei der das Ding an sich ungestört stehn bleibt, wie der Regenbogen feststeht, so schnell auch die Tropfen, welche auf Augenblicke seine Träger sind, wechseln, eine ganz vergebliche und thörichte Handlung sei. Aber sie ist auch überdies das Meisterstück der Maja, als der schreiendeste Ausdruck des Widerspruchs des Willens zum Leben mit sich selbst. Wie wir diesen Widerspruch schon bei den niedrigsten Erscheinungen des Willens erkannten, im beständigen Kampf aller Aeußerungen von Naturkräften und aller organischen Individuen um die Materie und die Zeit und den Raum, und wie wir jenen Widerstreit, auf den steigenden Stufen der Objektivation des Willens, immer mehr, mit furchtbarer Deutlichkeit, hervortreten sahen; so erreicht er endlich, auf der höchsten Stufe, welche die Idee des Menschen ist, diesen Grad, wo nicht bloß die, die selbe Idee darstellenden Individuen sich unter einander vertilgen, sondern sogar das selbe Individuum sich selbst den Krieg ankündigt, und die Heftigkeit, mit welcher es das Leben will und gegen die Hemmung desselben, das Leiden, andringt, es dahin bringt, sich selbst zu zerstören, so daß der individuelle Wille den Leib, welcher nur seine eigene Sichtbarwerdung ist, durch einen Willensakt aufhebt, eher als daß das Leiden den Willen breche. Eben weil der Selbstmörder nicht aufhören kann zu wollen, hört er auf zu leben, und der Wille bejaht sich hier eben durch die Aufhebung seiner Erscheinung, weil er sich anders nicht mehr bejahen kann. Weil aber eben das Leiden, dem er sich so entzieht, es war, welches als Mortifikation des Willens ihn zur Verneinung seiner selbst und zur Erlösung hätte führen können; so gleicht in dieser Hinsicht der Selbstmörder einem Kranken, der eine schmerzhafte Operation, die ihn von Grund aus heilen könnte, nachdem sie angefangen, nicht vollenden läßt, sondern lieber die Krankheit behält. Das Leiden naht sich und eröffnet als solches die Möglichkeit zur Verneinung des Willens; aber er weist es von sich, indem er die Erscheinung des Willens, den Leib zerstört, damit der Wille ungebrochen bleibe. – Dies ist der Grund, warum beinahe alle Ethiken, sowohl philosophische, als religiöse, den Selbstmord verdammen; obgleich sie selbst hiezu keine andere, als seltsame sophistische Gründe angeben können. Sollte aber je ein Mensch aus rein moralischem Antriebe sich vom Selbstmord zurückgehalten haben, so war der Innerste Sinn dieser Selbstüberwindung (in was für Begriffe ihn seine Vernunft auch kleidete) dieser: »Ich will mich dem Leiden nicht entziehn, damit es den Willen zum Leben, dessen Erscheinung so jammervoll ist, aufzuheben beitragen könne, indem es die mir schon jetzt aufgehende Erkenntniß vom eigentlichen Wesen der Welt dahin verstärke, daß sie zum endlichen Quietiv meines Willens werde und mich auf immer erlöse.«
Bekanntlich kommen von Zeit zu Zeit immer wieder Fälle vor, wo der Selbstmord sich auf die Kinder erstreckt: der Vater tödtet die Kinder, die er sehr liebt, und dann sich selbst. Bedenken wir, daß Gewissen, Religion und alle überkommenen Begriffe ihn im Morde das schwerste Verbrechen erkennen lassen, er aber dennoch dieses in der Stunde seines eigenen Todes begeht, und zwar ohne irgend ein egoistisches Motiv dabei haben zu können; so läßt sich die That nur daraus erklären, daß hier der Wille des Individuums sich unmittelbar wiedererkennt in den Kindern, jedoch befangen in dem Wahn, der die Erscheinung für das Wesen an sich hält, und dabei tief ergriffen von der Erkenntniß des Jammers alles Lebens, jetzt vermeint, mit der Erscheinung das Wesen selbst aufzuheben, und daher sich und die Kinder, in denen er unmittelbar sich selbst wieder leben sieht, aus dem Daseyn und seinem Jammer erretten will. – Ein diesem ganz analoger Irrweg wäre es, wenn man wähnte, das Selbe, was freiwillige Keuschheit leistet, erreichen zu können durch Vereitelung der Zwecke der Natur bei der Befruchtung, oder gar indem man, in Betracht der unausbleiblichen Leiden des Lebens, den Tod des Neugeborenen beförderte, statt vielmehr Alles zu thun, um Jedem, welches sich ins Leben drängt, das Leben zu sichern. Denn wenn Wille zum Leben daist, so kann ihn, als das allein Metaphysische oder das Ding an sich, keine Gewalt brechen, sondern sie kann bloß seine Erscheinung an diesem Ort zu dieser Zeit zerstören. Er selbst kann durch nichts aufgehoben werden, als durch Erkenntniß. Daher ist der einzige Weg des Heils dieser, daß der Wille ungehindert erscheine, um in dieser Erscheinung sein eigenes Wesen erkennen zu können. Nur in Folge dieser Erkenntniß kann der Wille sich selbst aufheben und damit auch das Leiden, welches von seiner Erscheinung unzertrennlich ist, endigen: nicht aber ist dies durch physische Gewalt, wie Zerstörung des Keims, oder Tödtung des Neugeborenen, oder Selbstmord möglich. Die Natur führt eben den Willen zum Lichte, weil er nur am Lichte seine Erlösung finden kann. Daher sind die Zwecke der Natur auf alle Weise zu befördern, sobald der Wille zum Leben, der ihr inneres Wesen ist, sich entschieden hat. –
Vom gewöhnlichen Selbstmorde gänzlich verschieden scheint eine besondere Art desselben zu seyn, welche jedoch vielleicht noch nicht genugsam konstatirt ist. Es ist der aus dem höchsten Grade der Askese freiwillig gewählte Hungertod, dessen Erscheinung jedoch immer von vieler religiöser Schwärmerei und sogar Superstition begleitet gewesen und dadurch undeutlich gemacht ist. Es scheint jedoch, daß die gänzliche Verneinung des Willens den Grad erreichen könne, wo selbst der zur Erhaltung der Vegetation des Leibes, durch Aufnahme von Nahrung, nöthige Wille wegfällt. Weit entfernt, daß diese Art des Selbstmordes aus dem Willen zum Leben entstände, hört ein solcher völlig resignierter Asket bloß darum auf zu leben, weil er ganz und gar aufgehört hat zu wollen. Eine andere Todesart als die durch Hunger ist hiebei nicht wohl denkbar (es wäre denn, daß sie aus einer besonderen Superstition hervorgienge); weil die Absicht, die Quaal zu verkürzen, wirklich schon ein Grad der Bejahung des Willens wäre. Die Dogmen, welche die Vernunft eines solchen Büßenden erfüllen, spiegeln ihm dabei den Wahn vor, es habe ein Wesen höherer Art ihm das Fasten, zu dem der innere Hang ihn treibt, anbefohlen. Aeltere Beispiele hievon kann man finden in der »Breslauer Sammlung von Natur-und Medicin-Geschichten«,