Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
von einer Schönen, um die er lange gebuhlt hatte, endlich auf ihr Zimmer beschieden, der Erfüllung aller seiner Wünsche entgegensah, als sie, ihren Brustlatz öffnend, ihm ihren vom Krebs auf das Entsetzlichste zerfressenen Busen zeigte. Von diesem Augenblick an, als hätte er in die Hölle gesehn, bekehrte er sich, verließ den Hof des Königs von Majorka und gieng in die Wüste, Buße zu thun99. Dieser Bekehrungsgeschichte sehr ähnlich Ist die des Abbé Rancé, welche ich im 48. Kapitel des zweiten Bandes in der Kürze erzählt habe. Wenn wir betrachten, wie in Beiden der Uebergang von der Lust zu den Gräueln des Lebens der Anlaß war; so giebt uns Dies eine Erläuterung zu der auffallenden Thatsache, daß die lebenslustigste, heiterste, sinnlichste und leichtsinnigste Nation in Europa, also die französische, es ist, unter welcher der bei Weitem strengste aller Mönchsorden, also der Trappistische, entstanden ist, nach seinem Verfall wieder hergestellt wurde, durch Rance, und, trotz Revolutionen, Kirchenveränderungen und eingerissenem Unglauben, sich bis auf den heutigen Tag, in seiner Reinheit und furchtbaren Strenge erhält.
Eine Erkenntniß der oben erwähnten Art, von der Beschaffenheit dieses Daseyns, kann jedoch auch wieder mit ihrem Anlaß zugleich sich entfernen, und der Wille zum Leben, und mit ihm der vorige Charakter, wieder eintreten. So sehn wir den leidenschaftlichen Benvenuto Cellini, ein Mal im Gefängniß und ein anderes Mal bei einer schweren Krankheit, auf solche Weise umgewandelt werden, aber nach verschwundenem Leiden wieder in den alten Zustand zurückfallen. Ueberhaupt geht aus dem Leiden die Verneinung des Willens keineswegs mit der Nothwendigkeit der Wirkung aus der Ursache hervor, sondern der Wille bleibt frei. Denn hier ist ja eben der einzige Punkt, wo seine Freiheit unmittelbar in die Erscheinung eintritt: daher das so stark ausgedrückte Erstaunen des Asmus über die »transscendentale Veränderung.« Bei jedem Leiden läßt sich ein ihm an Heftigkeit überlegener und dadurch unbezwungener Wille denken. Daher erzählt Plato im »Phädon« von Solchen, die bis zum Augenblick ihrer Hinrichtung schmausen, trinken, Aphrodisia genießen, bis in den Tod das Leben bejahend. Shakespeare bringt uns im Kardinal Beaufort100 das fürchterliche Ende eines Ruchlosen vor die Augen, der verzweiflungsvoll stirbt, indem kein Leiden noch Tod den bis zur äußersten Bosheit heftigen Willen brechen kann.
Je heftiger der Wille, desto greller die Erscheinung seines Widerstreits: desto größer also das Leiden. Eine Welt, welche die Erscheinung eines ungleich heftigem Willens zum Leben wäre, als die gegenwärtige, würde um soviel größere Leiden aufweisen: sie wäre also eine Hölle.
Weil alles Leiden, indem es eine Mortifikation und Aufforderung zur Resignation ist, der Möglichkeit nach, eine heiligende Kraft hat; so ist hieraus zu erklären, daß großes Unglück, tiefe Schmerzen schon an sich eine gewisse Ehrfurcht einflößen. Ganz ehrwürdig wird uns aber der Leidende erst dann, wann er, den Lauf seines Lebens als eine Kette von Leiden überblickend, oder einen großen und unheilbaren Schmerz betrauernd, doch nicht eigentlich auf die Verkettung von Umständen hinsieht, die gerade sein Leben in Trauer stürzten, und nicht bei jenem einzelnen großen Unglück, das ihn traf, stehn bleibt; – denn bis dahin folgt seine Erkenntniß noch dem Satz vom Grunde und klebt an der einzelnen Erscheinung; er will auch noch immer das Leben, nur nicht unter den ihm gewordenen Bedingungen; -sondern er steht erst dann wirklich ehrwürdig da, wann sein Blick sich vom Einzelnen zum Allgemeinen erhoben hat, wann er sein eigenes Leiden nur als Beispiel des Ganzen betrachtet und ihm, indem er in ethischer Hinsicht genial wird, ein Fall für tausende gilt, daher dann das Ganze des Lebens, als wesentliches Leiden aufgefaßt, ihn zur Resignation bringt. Dieserwegen ist es ehrwürdig, wenn in Goethes »Torquato Tasso« die Prinzessin sich darüber ausläßt, wie ihr eigenes Leben und das der Ihrigen immer traurig und freudenlos gewesen ist, und sie dabei ganz ins Allgemeine blickt.
Einen sehr edlen Charakter denken wir uns immer mit einem gewissen Anstrich stiller Trauer, die nichts weniger ist, als beständige Verdrießlichkeit über die täglichen Widerwärtigkeiten (eine solche wäre ein unedler Zug und ließe böse Gesinnung fürchten); sondern ein aus der Erkenntniß hervorgegangenes Bewußtseyn der Nichtigkeit aller Güter und des Leidens alles Lebens, nicht des eigenen allein. Doch kann solche Erkenntniß durch selbsterfahrenes Leiden zuerst erweckt seyn, besonders durch ein einziges großes; wie den Petrarka ein einziger unerfüllbarer Wunsch zu jener resignirten Trauer über das ganze Leben gebracht hat, die uns aus seinen Werken so rührend anspricht: denn die Daphne, welche er verfolgte, mußte seinen Händen entschwinden, um statt ihrer ihm den unsterblichen Lorbeer zurückzulassen. Wenn durch eine solche große und unwiderrufliche Versagung vom Schicksal der Wille In gewissem Grade gebrochen ist; so wird im Uebrigen fast nichts mehr gewollt, und der Charakter zeigt sich sanft, traurig, edel, resignirt. Wann endlich der Gram keinen bestimmten Gegenstand mehr hat, sondern über das Ganze des Lebens sich verbreitet; dann ist er gewissermaaßen ein In-sich-gehn, ein Zurückziehn, ein allmäliges Verschwinden des Willens, dessen Sichtbarkeit, den Leib, er sogar leise, aber im Innersten untergräbt, wobei der Mensch eine gewisse Ablösung seiner Banden spürt, ein sanftes Vorgefühl des sich als Auflösung des Leibes und des Willens zugleich ankündigenden Todes; daher diesen Gram eine heimliche Freude begleitet, welche es, wie ich glaube, ist, die das melancholischeste aller Völker the joy of grief genannt hat. Doch liegt eben auch hier die Klippe der Empfindsamkeit, sowohl im Leben selbst, als in dessen Darstellung im Dichten: wenn nämlich immer getrauert und immer geklagt wird, ohne daß man sich zur Resignation erhebt und ermannt; so hat man Erde und Himmel zugleich verloren und wässerichte Sentimentalität übrig behalten. Nur indem das Leiden die Form bloßer reiner Erkenntniß annimmt und sodann diese als Quietiv des Willens wahre Resignation herbeiführt, ist es der Weg zur Erlösung und dadurch ehrwürdig. In dieser Hinsicht aber fühlen wir beim Anblick jedes sehr Unglücklichen eine gewisse Achtung, die der, welche Tugend und Edelmuth uns abnöthigen, verwandt ist, und zugleich erscheint dabei unser eigener glücklicher Zustand wie ein Vorwurf. Wir können nicht umhin, jenes Leiden, sowohl das selbstgefühlte wie das fremde, als eine wenigstens mögliche Annäherung zur Tugend und Heiligkeit, hingegen Genüsse und weltliche Befriedigungen als die Entfernung davon anzusehn. Dies geht so weit, daß jeder Mensch, der ein großes körperliches Leiden, oder ein schweres geistiges trägt, ja sogar jeder, der nur eine die größte Anstrengung erfordernde körperliche Arbeit im Schweiß seines Angesichts und mit sichtbarer Erschöpfung verrichtet, dies alles aber mit Geduld und ohne Murren, daß, sage ich, jeder solcher Mensch, wenn wir ihn mit inniger Aufmerksamkeit betrachten, uns gleichsam vorkommt wie ein Kranker, der eine schmerzhafte Kur anwendet, den durch sie verursachten Schmerz aber willig und sogar mit Befriedigung erträgt, indem er weiß, daß je mehr er leidet, desto mehr auch der Krankheitsstoff zerstört wird und daher der gegenwärtige Schmerz das Maaß seiner Heilung ist.
Allem Bisherigen zufolge geht die Verneinung des Willens zum Leben, welche Dasjenige ist, was man gänzliche Resignation oder Heiligkeit nennt, immer aus dem Quietiv des Willens hervor, welches die Erkenntniß seines innern Widerstreits und seiner wesentlichen Nichtigkeit ist, die sich im Leiden alles Lebenden aussprechen. Der Unterschied, den wir als zwei Wege dargestellt haben, ist, ob das bloß und rein erkannte Leiden, durch freie Aneignung desselben, mittelst Durchschauung des principii individuationis, oder ob das unmittelbar selbst empfundene Leiden jene Erkenntniß hervorruft. Wahres Heil, Erlösung vom Leben und Leiden, ist ohne gänzliche Verneinung des Willens nicht zu denken. Bis dahin ist Jeder nichts Anderes, als dieser Wille selbst, dessen Erscheinung eine hinschwindende Existenz, ein immer nichtiges, stets vereiteltes Streben und die dargestellte Welt voll Leiden ist, welcher Alle unwiderruflich auf gleiche Weise angehören. Denn wir fanden oben, daß dem Willen zum Leben das Leben stets gewiß ist und seine einzige wirkliche Form die Gegenwart, der Jene, wie auch Geburt und Tod in der Erscheinung walten, nimmer entrinnen. Der Indische Mythos drückt dies dadurch aus, daß er sagt: »Sie werden wiedergeboren«. Der große ethische Unterschied der Charaktere hat die Bedeutung, daß der Böse unendlich weit davon entfernt ist, zu der Erkenntniß zu gelangen, aus welcher die Verneinung des Willens hervorgeht, und daher allen Quaalen, welche im Leben als möglich erscheinen, der Wahrheit nach, wirklich preisgegeben ist; indem auch der etwan gegenwärtige, glückliche Zustand seiner Person nur eine durch das principiumindividuationis vermittelte Erscheinung und Blendwerk der Maja, der glückliche Traum des