Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
den Fall durch die Regel, diese durch die allgemeinere Regel erkennen, daß wir also die allgemeinsten Gesichtspunkte suchen: durch solche Uebersicht wird eben unsere Erkenntniß so sehr erleichtert und vervollkommnet, daß daraus der große Unterschied entsteht zwischen dem thierischen und dem menschlichen Lebenslauf, und wieder zwischen dem Leben des gebildeten und dem des rohen Menschen. Nun findet allerdings die Reihe der Erkenntnißgründe, welche allein auf dem Gebiet des Abstrakten, also der Vernunft, existirt, allemal ein Ende beim Unbeweisbaren, d.h. bei einer Vorstellung, die nach dieser Gestaltung des Satzes vom Grunde nicht weiter bedingt ist, also an dem, a priori oder a posteriori, unmittelbar anschaulichen Grunde des obersten Satzes der Schlußkette. Ich habe schon in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, § 50, gezeigt, daß hier eigentlich die Reihe der Erkenntnißgründe übergeht in die der Gründe des Werdens, oder des Seyns. Diesen Umstand nun aber geltend machen wollen, um ein nach dem Gesetz der Kausalität Unbedingtes, sei es auch nur als Forderung, nachzuweisen; dies kann man nur, wenn man die Gestaltungen des Satzes vom Grunde noch gar nicht unterschieden hat, sondern, an den abstrakten Ausdruck sich haltend, sie alle konfundirt. Aber diese Verwechselung sucht Kant sogar durch ein bloßes Wortspiel mit Universalitas und Universitas zu begründen, S. 322; v, 379. – Es ist also grundfalsch, daß unser Aufsuchen höherer Erkenntnißgründe, allgemeiner Wahrheiten, entspringe aus der Voraussetzung eines seinem Daseyn nach unbedingten Objekts, oder nur irgend etwas hiemit gemein habe. Wie sollte es auch der Vernunft wesentlich seyn, etwas vorauszusetzen, das sie für ein Unding erkennen muß, sobald sie sich besinnt. Vielmehr ist der Ursprung jenes Begriffs vom Unbedingten nie in etwas Anderm nachzuweisen, als in der Trägheit des Individuums, das sich damit aller fremden und eigenen fernem Fragen entledigen will, wiewohl ohne alle Rechtfertigung.
Diesem angeblichen Vernunftprincip nun spricht zwar Kant selbst die objektive Gültigkeit ab, giebt es aber doch für eine nothwendige subjektive Voraussetzung und bringt so einen unauflöslichen Zwiespalt in unsere Erkenntniß, welchen er bald deutlicher hervortreten läßt. Zu diesem Zweck entfaltet er jenes Vernunftprincip weiter, S. 322; V, 379, nach der beliebten architektonisch-symmetrischen Methode. Aus den drei Kategorien der Relation entspringen drei Arten von Schlüssen, jede von welchen den Leitfaden giebt zur Aufsuchung eines besondern Unbedingten, deren es daher wieder drei giebt: Seele, Welt (als Objekt an sich und geschlossene Totalität), Gott. Hiebei ist nun sogleich ein großer Widerspruch zu bemerken, von welchem Kant aber keine Notiz nimmt, weil er der Symmetrie sehr gefährlich wäre: zwei dieser Unbedingten sind ja selbst wieder bedingt, durch das Dritte, nämlich Seele und Welt durch Gott, der ihre hervorbringende Ursache ist: jene haben also mit diesem gar nicht das Prädikat der Unbedingtheit gemein, worauf es doch hier ankommt, sondern nur das des Erschlossenseyns nach Principien der Erfahrung, über das Gebiet der Möglichkeit derselben hinaus.
Dies bei Seite gesetzt, finden wir in den drei Unbedingten, auf welche, nach Kant, jede Vernunft, ihren wesentlichen Gesetzen folgend, gerathen muß, die drei Hauptgegenstände wieder, um welche sich die ganze, unter dem Einfluß des Christenthums stehende Philosophie, von den Scholastikern an, bis auf Christian Wolf herab, gedreht hat. So zugänglich und geläufig jene Begriffe durch alle jene Philosophen auch jetzt der bloßen Vernunft geworden sind; so ist dadurch doch keineswegs ausgemacht, daß sie, auch ohne Offenbarung, aus der Entwickelung jeder Vernunft hervorgehn müßten, als ein dem Wesen dieser selbst eigenthümliches Erzeugniß. Um Dieses auszumachen, wäre die historische Untersuchung zu Hülfe zu nehmen, und zu erforschen, ob die alten und die nichteuropäischen Völker, besonders die Hindostanischen, und viele der ältesten Griechischen Philosophen auch wirklich zu jenen Begriffen gelangt seien; oder ob bloß wir, zu gutmüthig, sie ihnen zuschreiben, so wie die Griechen überall ihre Götter wiederfanden, indem wir ganz fälschlich das Brahm der Hindu und das Tien der Chinesen mit »Gott« übersetzen; ob nicht vielmehr der eigentliche Theismus allein in der Jüdischen und den beiden aus ihr hervorgegangenen Religionen zu finden sei, deren Bekenner gerade deshalb Anhänger aller andern Religionen auf Erden unter dem Namen Heiden zusammenfassen, – einem, beiläufig gesagt, höchst einfältigen und rohen Ausdruck, der wenigstens aus den Schriften der Gelehrten verbannt seyn sollte, weil er Brahmanisten, Buddhaisten, Aegypter, Griechen, Römer, Germanen, Gallier, Irokesen, Patagonier, Karaiben, Otaheiter, Australier u.a.m. identificirt und in Einen Sack steckt. Für Pfaffen ist ein solcher Ausdruck passend: in der gelehrten Welt aber muß ihm sogleich die Thüre gewiesen werden, er kann nach England reisen und sich in Oxford niederlassen. – Daß namentlich der Buddhaismus, diese auf Erden am zahlreichsten vertretene Religion, durchaus keinen Theismus enthält, ja, ihn perhorrescirt, ist eine ganz ausgemachte Sache. Was den Plato betrifft, so bin ich der Meinung, daß er seinen ihn periodisch anwandelnden Theismus den Juden verdankt. Numenius hat ihn deshalb (nach Clem. Alex. Strom., I, c. 22, Euseb. praep. evang., XIII, 12, und der Suda, unter Numenius) den Moses graecisans genannt: Ti gar esti Platôn, ê Môsês attikizôn; und er wirft ihm vor, daß er seine Lehren von Gott und der Schöpfung aus den Mosaischen Schriften gestohlen (aposylêsas) habe. Klemens kommt oft darauf zurück, daß Plato den Moses gekannt und benutzt habe, z.B. Strom., I, 25.-V, c. 14, § 90 u.s.f.- Paedagog., II 10, und III, 11; auch in der Cohortatio ad gentes, c. 6, woselbst er, nachdem er, im vorhergehenden Kapitel, sämmtliche Griechische Philosophen kapuzinerhaft gescholten und verhöhnt hat, weil sie keine Juden gewesen sind, den Plato ausschließlich lobt und in lauten Jubel darüber ausbricht, daß derselbe, wie er seine Geometrie von den Aegyptern, seine Astronomie von den Babyloniern, Magie von den Thrakiern, auch Vieles von den Assyriern gelernt habe, so seinen Theismus von den Juden: Oida sou tous didaskalous, kan apoksyptein ethelês, – – – – doxan tên tou theou par' autôn ôphelêsai tôn Ebraiôn (tuos magistros novi, licet eos celare velis, – – – – – illa de Deo sententia suppeditata tibi est ab Hebraeis). Eine rührende Erkennungsscene. – Aber eine sonderbare Bestätigung der Sache entdecke ich in Folgendem. Nach Plutarch (in Mario) und besser nach Laktanz (I, 3, 19) hat Plato der Natur gedankt, daß er ein Mensch und kein Thier, ein Mann und kein Weib, ein Grieche und kein Barbar geworden sei. Nun steht in Isaak Euchels Gebeten der Juden, aus dem Hebräischen, zweite Auflage, 1799, S. 7, ein Morgengebet, worin sie Gott danken und loben, daß der Dankende ein Jude und kein Heide, ein Freier und kein Sklave, ein Mann und kein Weib geworden sei. – Eine solche historische Untersuchung würde Kanten einer schlimmen Nothwendigkeit überhoben haben, in die er jetzt geräth, indem er jene drei Begriffe aus der Natur der Vernunft nothwendig entspringen läßt, und doch darthut, daß sie unhaltbar und von der Vernunft nicht zu begründen sind, und deshalb die Vernunft selbst zum Sophisten macht, indem er S. 339; v, 397, sagt: »Es sind Sophistikationen, nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst, von denen selbst der Weiseste sich nicht losmachen und vielleicht zwar nach vieler Bemühung den Irrthum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich zwackt und äfft, niemals loswerden kann.« Danach wären diese Kantischen »Ideen der Vernunft« dem Fokus zu vergleichen, in welchen die von einem Hohlspiegel konvergirend zurückgeworfenen Strahlen, einige Zolle vor seiner Oberfläche, zusammenlaufen, in Folge wovon, durch einen unvermeidlichen Verstandesproceß, sich uns daselbst ein Gegenstand darstellt, welcher ein Ding ohne Realität ist.
Sehr unglücklich ist aber für Jene drei angeblich nothwendigen Produktionen der reinen theoretischen Vernunft der Name Ideen gewählt und dem Plato entrissen, der damit die unvergänglichen Gestalten bezeichnete, welche, durch Zeit und Raum vervielfältigt, in den unzähligen, individuellen, vergänglichen Dingen unvollkommen sichtbar werden. Plato's Ideen sind diesem zufolge durchaus anschaulich, wie auch das Wort, das er wählte, so bestimmt bezeichnet, welches man nur durch Anschaulichkeiten oder Sichtbarkeiten, entsprechend übersetzen könnte. Und Kant hat es sich zugeeignet, um Das zu bezeichnen, was von aller Möglichkeit der Anschauung so ferne liegt, daß sogar das abstrakte Denken nur halb dazu gelangen kann. Das Wort Idee, welches Plato zuerst einführte, hat auch seitdem, zweiundzwanzig Jahrhunderte hin durch, immer die Bedeutung behalten, in der Plato es gebrauchte: denn nicht nur alle Philosophen des Alterthums, sondern auch alle Scholastiker und sogar die Kirchenväter und die Theologen des Mittelalters brauchten es allein in jener Platonischen Bedeutung, nämlich im Sinn des lateinischen Wortes exemplar, wie Suarez ausdrücklich anführt in seiner fünfundzwanzigsten Disputation, Sect. 1. – Daß später Engländer und Franzosen die Armuth ihrer Sprache zum Mißbrauch jenes Wortes verleitet hat, ist schlimm genug, aber