Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.
Sinn, in den einzelnen Fällen liegt er bald dem Motiv, bald der Ursache näher, ist indessen doch noch immer von Beiden zu unterscheiden: so geschieht z.B. das Steigen der Säfte in den Pflanzen auf Reiz und ist nicht aus bloßen Ursachen, nach den Gesetzen der Hydraulik, noch der Haarröhrchen, zu erklären: dennoch wird es wohl von diesen unterstützt und ist überhaupt der rein ursächlichen Veränderung schon sehr nahe. Hingegen sind die Bewegungen des Hedysarum gyrans und der Mimosa pudica, obwohl noch auf bloße Reize erfolgend, dennoch schon denen auf Motive sehr ähnlich und scheinen fast den Uebergang machen zu wollen. Die Verengerung der Pupille bei vermehrtem Lichte geschieht auf Reiz, aber geht schon über in die Bewegung auf Motiv; da sie geschieht, weil das zu starke Licht die Retina schmerzlich afficiren würde und wir, dies zu vermeiden, die Pupille zusammenziehn. – Der Anlaß der Erektion ist ein Motiv, da er eine Vorstellung ist; er wirkt jedoch mit der Nothwendigkeit eines Reizes: d.h. ihm kann nicht widerstanden werden, sondern man muß ihn entfernen, um ihn unwirksam zu machen. Eben so verhält es sich mit ekelhaften Gegenständen, welche Neigung zum Erbrechen erregen. Als ein wirkliches Mittelglied ganz anderer Art zwischen der Bewegung auf Reiz und dem Handeln nach einem erkannten Motiv haben wir soeben den Instinkt derThiere betrachtet. Noch als ein anderes Mittelglied dieser Art könnte man versucht werden das Athemholen anzusehn: man hat nämlich gestritten, ob es zu den willkürlichen oder zu den unwillkürlichen Bewegungen gehöre, d.h. eigentlich ob es auf Motiv, oder Reiz erfolge, danach es sich vielleicht für ein Mittelding zwischen Beiden erklären ließe. Marshall Hall (»On the diseases of the nervous system«, § 293 sq.) erklärt es für eine gemischte Funktion, da es unter dem Einfluß theils der Cerebral- (willkürlichen) theils der Spinal- (unwillkürlichen) Nerven steht. Indessen müssen wir es zuletzt doch den auf Motiv erfolgenden Willensäußerungen beizählen: denn andere Motive, d.h. bloße Vorstellungen, können den Willen bestimmen es zu hemmen oder zu beschleunigen, und es hat, wie jede andere willkürliche Handlung, den Schein, daß man es ganz unterlassen könnte und frei ersticken. Dies könnte man auch in der That, sobald irgend ein anderes Motiv so stark den Willen bestimmte, daß es das dringende Bedürfniß nach Luft überwöge. Nach einigen soll Diogenes wirklich auf diese Weise seinem Leben ein Ende gemacht haben (Diog. Laert. VI, 76). Auch Neger sollen dies gethan haben (F. B. Osiander »Ueber den Selbstmord«, S. 170-180). Wir hätten daran ein starkes Beispiel vom Einfluß abstrakter Motive, d.h. von der Uebermacht des eigentlichen vernünftigen Wollens über das bloße thierische. Für das wenigstens theilweise Bedingtseyn des Athmens durch cerebrale Thätigkeit spricht die Thatsache, daß Blausäure zunächst dadurch tödtet, daß sie das Gehirn lahmt und so mittelbar das Athmen hemmt: wird aber dieses künstlich unterhalten, bis jene Betäubung des Gehirns vorüber ist, so tritt gar kein Tod ein. Zugleich giebt uns hier beiläufig das Athemholen das augenfälligste Beispiel davon, daß Motive mit eben so großer Nothwendigkeit, wie Reize und bloße Ursachen im engsten Sinne wirken, und eben nur durch entgegengesetzte Motive, wie Druck durch Gegendruck, außer Wirksamkeit gesetzt werden können: denn beim Athmen ist der Schein des Unterlassenkönnens ungleich schwächer, als bei andern auf Motive erfolgenden Bewegungen; weil das Motiv dort sehr dringend, sehr nah, seine Befriedigung, wegen der Unermüdlichkeit der sie vollziehenden Muskeln, sehr leicht, ihr in der Regel nichts entgegenstehend und das Ganze durch die älteste Gewohnheit des Individuums unterstützt ist. Und doch wirken eigentlich alle Motive mit der selben Nothwendigkeit, Die Erkenntniß, daß die Nothwendigkeit den Bewegungen auf Motive mit denen auf Reize gemeinschaftlich ist, wird uns die Einsicht erleichtern, daß auch Das, was im organischen Leibe auf Reize und völlig gesetzmäßig vor sich geht, dennoch seinem Innern Wesen nach Wille ist, der zwar nie an sich, aber in allen seinen Erscheinungen dem Satz vom Grund, d.h. der Nothwendigkeit unterworfen ist36. Wir werden demnach nicht dabei stehn bleiben, die Thiere, wie in ihrem Handeln, so auch in ihrem ganzen Daseyn, Korporisation und Organisation als Willenserscheinungen zu erkennen; sondern werden diese uns allein gegebene unmittelbare Erkenntniß des Wesens an sich der Dinge auch auf die Pflanzen übertragen, deren sämmtliche Bewegungen auf Reize erfolgen, da die Abwesenheit der Erkenntniß und der durch diese bedingten Bewegung auf Motive allein den wesentlichen Unterschied zwischen Thier und Pflanze ausmacht. Wir werden also was für die Vorstellung als Pflanze, als bloße Vegetation, blind treibende Kraft erscheint, seinem Wesen an sich nach, für Willen ansprechen und für eben Das erkennen, was die Basis unserer eigenen Erscheinung ausmacht, wie sie sich in unserm Thun und auch schon im ganzen Daseyn unsers Leibes selbst ausspricht.
Es bleibt uns nur noch der letzte Schritt zu thun übrig, die Ausdehnung unserer Betrachtungsweise auch auf alle jene Kräfte, welche in der Natur nach allgemeinen, unveränderlichen Gesetzen wirken, denen gemäß die Bewegungen aller der Körper erfolgen, welche, ganz ohne Organe, für den Reiz keine Empfänglichkeit und für das Motiv keine Erkenntniß haben. Wir müssen also den Schlüssel zum Verständniß des Wesens an sich der Dinge, welchen uns die unmittelbare Erkenntniß unsers eigenen Wesens allein geben konnte, auch an diese Erscheinungen der unorganischen Welt legen, die von allen im weitesten Abstande von uns stehn. – Wenn wir sie nun mit forschendem Blicke betrachten, wenn wir den gewaltigen, unaufhaltsamen Drang sehn, mit dem die Gewässer der Tiefe zueilen, die Beharrlichkeit, mit welcher der Magnet sich immer wieder zum Nordpol wendet, die Sehnsucht, mit der das Eisen zu ihm fliegt, die Heftigkeit, mit welcher die Pole der Elektricität zur Wiedervereinigung streben, und welche, gerade wie die der menschlichen Wünsche, durch Hindernisse gesteigert wird; wenn wir den Krystall schnell und plötzlich anschießen sehn, mit so viel Regelmäßigkeit der Bildung, die offenbar nur eine von Erstarrung ergriffene und festgehaltene ganz entschiedene und genau bestimmte Bestrebung nach verschiedenen Richtungen ist; wenn wir die Auswahl bemerken, mit der die Körper, durch den Zustand der Flüssigkeit in Freiheit gesetzt und den Banden der Starrheit entzogen, sich suchen und fliehn, vereinigen und trennen; wenn wir endlich ganz unmittelbar fühlen, wie eine Last, deren Streben zur Erdmasse unser Leib hemmt, auf diesen unablässig drückt und drängt, ihre einzige Bestrebung verfolgend; – so wird es uns keine große Anstrengung der Einbildungskraft kosten, selbst aus so großer Entfernung unser eigenes Wesen wiederzuerkennen, jenes Nämliche, das in uns beim Lichte der Erkenntniß seine Zwecke verfolgt, hier aber, in den schwächsten seiner Erscheinungen, nur blind, dumpf, einseitig und unveränderlich strebt, jedoch, weil es überall Eines und das Selbe ist, – so gut wie die erste Morgendämmerung mit den Strahlen des vollen Mittags den Namen des Sonnenlichts theilt, – auch hier wie dort den Namen Wille führen muß, welcher Das bezeichnet, was das Seyn an sich jedes Dinges in der Welt und der alleinige Kern jeder Erscheinung ist.
Der Abstand jedoch, ja der Schein einer gänzlichen Verschiedenheit zwischen den Erscheinungen der unorganischen Natur und dem Willen, den wir als das Innere unsers eigenen Wesens wahrnehmen, entsteht vorzüglich aus dem Kontrast zwischen der völlig bestimmten Gesetzmäßigkeit in der einen und der scheinbar regellosen Willkür in der andern Art der Erscheinung. Denn im Menschen tritt die Individualität mächtig hervor: ein Jeder hat einen eigenen Charakter: daher hat auch das selbe Motiv nicht auf Alle die gleiche Gewalt, und tausend Nebenumstände, die in der weiten Erkenntnißsphäre des Individuums Raum haben, aber Andern unbekannt bleiben, modificiren seine Wirkung; weshalb sich aus dem Motiv allein die Handlung nicht vorherbestimmen läßt, weil der andere Faktor fehlt, die genaue Kenntniß des individuellen Charakters und der ihn begleitenden Erkenntniß. Hingegen zeigen die Erscheinungen der Naturkräfte hier das andere Extrem: sie wirken nach allgemeinen Gesetzen, ohne Abweichung, ohne Individualität, nach offen darliegenden Umständen, der genauesten Vorherbestimmung unterworfen, und die selbe Naturkraft äußert sich in den Millionen ihrer Erscheinungen genau auf gleiche Weise. Wir müssen, um diesen Punkt aufzuklären, um die Identität des einen und untheilbaren Willens in allen seinen so verschiedenen Erscheinungen, in den schwächsten, wie in den stärksten, nachzuweisen, zuvörderst das Verhältniß betrachten, welches der Wille als Ding an sich zu seiner Erscheinung, d.h. die Welt als Wille zur Welt als Vorstellung hat, wodurch sich uns der beste Weg öffnen wird zu einer tiefer gehenden Erforschung des gesammten in diesem zweiten Buch behandelten Gegenstandes37.
§ 24