Apokalypse Pallantau. Arno EndlerЧитать онлайн книгу.
über die sanft gerundeten, vom Palla-Gras befreiten Hügel. An einigen Stellen zeigten sich die ersten Sprossen des Getreides. Vorwitzige grüne Punkte im hellbraunen Boden. Das Versprechen auf eine gute Zukunft, wie Nahita immer sagte.
Parrer spürte ein leichtes Stechen in der Seite. Das Haus war bereits in Sichtweite.
Scala stieß ihn an die Schulter und deutete in Richtung der Ostfelder. „Gira, Genba und Ichmach kommen auch.“
Der Schweiß in Parrers Augen brannte. Er sah die drei Gestalten undeutlich und nickte nur.
Die drei Farmgebäude standen unversehrt in der Senke. Neben dem Haupthaus gab es eine ungenutzte Scheune, die eigentlich für Tiere vorgesehen war, und ein Nebengebäude mit dem Lager für die Ernte und den Zimmern der Farmgirls. Parrer registrierte, dass alle Scheiben heil waren und die Dächer schienen intakt. In der weißen Außenfassade der Häuser gab es keine sichtbaren Risse.
Das Paddelboot in der vorgeschobenen Bucht Capellineris, die nur rund hundert Meter vom Haupthaus entfernt lag, schaukelte sanft. Ein Bild der Ruhe und Idylle. Nichts deutete darauf hin, dass das Beben Schäden angerichtet hatte. Parrer konnte jedoch die unguten Vorahnungen, die seinen Magen in Aufruhr versetzten, nicht beiseiteschieben.
„Nahita“, rief er, als sie den Hof erreichten. „Schau du im Lager nach“, wies er Scala an.
Er selbst rannte auf die Eingangstür zu.
Über dem Rahmen prangte die Inschrift, die Nahita zwei Tage nach ihrem Einzug dort angemalt hatte: PER SEMPRE. Für immer. Das sollte es auf ewig sein. Ihre gemeinsame Heimat.
Er öffnete die Tür und betrat den großen Küchenraum, einen Flur gab es nicht.
Nahita stand am Herd. Das laute Brutzeln und der Duft nach gebratenen Kartoffeln beruhigte Parrer augenblicklich.
„Ita!“, rief er.
Da wandte sie sich um. Der Schwangerschaftsbauch wirkte voluminöser als am Morgen, was sicherlich Einbildung war.
„Parrer?“ Sie sah ihn verwirrt an. „Was machst du schon hier? Ich bin mit dem Essen noch nicht fertig.“
Er umrundete den großen Tisch, an dem sie die Mahlzeiten teilten, stieß dabei gegen einen Stuhl, bemerkte den Schmerz an der Hüfte erst, als er sie in die Arme schloss.
„Ich bin so froh“, sagte er, spürte, wie sich ihre anfängliche Verspannung wegen der unerwarteten Umarmung löste und sie weich wurde.
„Was hast du, Lassu?“, fragte sie.
Parrer entließ sie aus seinem Griff. „Ich habe mir Sorgen gemacht. Jetzt bin ich erleichtert.“
„Sorgen?“
„Ja, wegen des Bebens.“
„Ein Beben?“
„Ja, hast du es nicht gemerkt, Liebste?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Es war ein Erdbeben. Unerwartet und ziemlich heftig.“
„Rannuiemmi kennt keine Erdbeben“, zitierte Nahita den Flyer, der ihnen bei der Auswanderungsbehörde ausgehändigt worden war.
„Ich habe es mir nicht eingebildet. Scala war bei mir. Die anderen kommen auch schon zurück. Es war heftig.“
Nahita musterte ihren Mann intensiv, dann zuckte sie zusammen. „Hach! Die Kartoffeln.“ Sie wandte sich wieder um, griff nach dem Pfannenwender.
„Beinahe angebrannt.“
Parrer schaute konsterniert zu, wie sich seine Frau in aller Seelenruhe dem Essen widmete.
Sie blieb die Gelassenheit selbst. Genauso managte sie auch ihre Schwangerschaft.
Er spürte, wie die Anspannung von ihm abfiel. Er stellte sich hinter Nahita und umarmte sie, ließ seine Hände auf ihrem prallen Bauch ruhen.
„Lassu? So hast du mich schon lange nicht mehr genannt“, flüsterte er ihr ins Ohr und küsste sie auf den Hals.
„Ich fand es gerade passend“, entgegnete sie.
Lassu, die kleinen Nager ihrer ehemaligen Heimat. Männchen, die sich an die Weibchen klammern und durch die Landschaft getragen wurden. Parrer grinste. „Wir hatten wenig Zeit in den letzten Wochen. Für uns, meine ich.“
„Es werden andere Tage kommen. Wenn das Kind erstmal da ist.“
Parrer sparte sich eine Antwort darauf. Er schnupperte, sog den Duft der kräftig gewürzten Kartoffeln ein.
„Hm. Lecker. Sollte es nicht Klöße geben?“
„Ich wollte mir dein enttäuschtes Gesicht nicht anschauen müssen“, erwiderte Nahita.
Er küsste sie erneut auf den Hals, der verführerisch frei vor ihm lag. Die blonden Haare hatte sie sich sehr kurz geschnitten, weil es praktischer für sie gewesen war.
„Lass das“, ermahnte sie ihn mit einem leicht amüsierten Tonfall. „Willst du nicht mal schauen, ob sie in den News etwas über das Beben bringen?“
„Mach ich“, gab Parrer nach und ging zur Tür. „Ita?“, fragte er, als er im Durchgang verharrte und sich umwandte.
„Jetzt geh schon“, entgegnete sie, ohne ihn anzuschauen.
Parrer quälte immer wieder der Gedanke, was seine Frau alles aufgegeben hatte, um ihn auf diese neue Heimat zu begleiten. Einst gefeierte Forscherin, fristete sie nun ein Dasein als Hausfrau und Farmerin. Seit der Schwangerschaft konnte sie nicht mehr bei der Bestellung der Felder helfen. So waren sie in eine traditionell rückständige Rollenverteilung zurückgefallen, die Nahita nicht gefallen konnte.
Für ihre Forschungen blieb ihr nur die spärliche Freizeit. Das Mikroskop war ihr Freund und ihre Erkenntnisse teilte sie mit den Fulltime-Wissenschaftlern in Mount Elias. Diese Verbindung zur Forschergemeinschaft stellte für sie eine willkommene Abwechslung dar.
Dennoch fügte Nahita sich in die Hausfrauen-Rolle, als wenn sie es nie anders gekannt hätte.
Parrer wusste, dass er viel gutzumachen hatte.
Er schaltete im Wohnraum mit der Fernbedienung die LR-Videowand an.
NO VIDEO-SIGNAL
Die Störungen des Loqui-Rete waren hier in der Peripherie ausgeprägt. Erst nach der nächsten Welle der Neu-Kolonisten würde sich dies ändern.
Parrer wechselte in den News-Bereich der allgemeinen Senatspublikationen. Dort fand er auch die Informationen, die er suchte. Ein Beben der dritten Kategorie in einigen Kilometern Tiefe im Zentralland Pallantaus, weit weg von allen bewohnten Gegenden.
Somit hatten er und Scala nur die Ausläufer gespürt. Parrer las die Ankündigung einer Forschungsgruppe, die sich mit dem bislang unbekannten Phänomen eines Erdbebens befassen sollte.
Nicht wirklich beunruhigende Nachrichten.
Trotzdem setzte sich ein hartnäckiges Gefühl in ihm fest. Was wäre, wenn die Regierung die Angelegenheit verharmloste?
Parrer wollte mit den Nachbarfarmen reden, aber die eigentliche Kommunikation via Loqui-Rete blieb unterbrochen, wie seine Armilla meldete. Für einen Fußmarsch oder eine Fahrt mit dem Speeder war es an diesem Tag zu spät.
„Parrer?“
Der Farmer drehte sich um.
Gira stand im Durchgang zur Küche. Ihr Gesicht, das von der Farmarbeit ganz braun geworden war, wirkte unnatürlich blass. Sie biss sich auf der Lippe herum.
„Was ist?“, fragte er.
„Du solltest mal rauskommen. Genba hat da eine merkwürdige Nachricht von Ichmach auf dem Monitor. Kommst du? – Bitte!“, drängte sie.
Parrer schaltete die Videowand ab und folgte Gira, die durch die Küche schlich und Nahita keines Blickes würdigte. Es schien beinahe so, als wenn sie