Fair Play. Туве ЯнссонЧитать онлайн книгу.
aber die ist dennoch nur eine Konserve! Und wir sind mittendrin. Ich hab vielleicht noch nicht zu Ende gedacht … Jonna, deine Filme sind fantastisch, sie sind perfekt. Aber wenn man sich so total auf sie einlässt, wie wir es tun, kann das nicht ein bisschen gefährlich werden?« »Gefährlich, wie meinst du das?«
»Muss das nicht etwas anderes verringern?«
»Nein. Die besten Filme verringern nichts, sie schränken nicht ein, im Gegenteil – sie eröffnen neue Möglichkeiten, neue Einsichten. Sie straffen unsere halb schusslige Art, aus alter Gewohnheit zu leben, einfach draufloszureden und Zeit, Kraft und Lust zu vergeuden. Glaub mir, der Film lehrt uns unerhört vieles. Und er vermittelt ein wahres Bild davon, wie es ist.«
Mari lachte kurz auf: »Vielleicht von unserem halb schussligen Leben? Wir könnten lernen, etwas intelligenter und dekorativer zu schusseln, oder?«
»Sei nicht albern. Du weißt genau …«
Mari unterbrach sie: »Und wenn der Film eine Art erzieherischer Gott ist? Wäre es dann nicht gefährlich, wenn man versucht, nach dem Vorbild seiner Götter zu leben und dabei die ganze Zeit das Gefühl hat, dass man zu kurz kommt? Dass alles, was man macht, irgendwie falsch komponiert ist …«
Das Telefon läutete und Jonna ging hin und nahm ab. Sie hörte lange zu, dann sagte sie: »Warte einen Moment, ich gebe dir seine Nummer. Beruhige dich, bin gleich wieder da.« Mari hörte sie das Gespräch recht schnell beenden: »Ruf wieder an, falls was sein sollte. Tschüss.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Mari.
»Das war wieder Alma. Die Katze ist aus dem Fenster gesprungen. Sie hat versucht, eine Taube zu fangen.«
»Oje! Wirklich? Ihr Mosse! Ich hab’s nicht richtig verstanden, du warst irgendwie so kurz angebunden …«
»Ich hab ihr die Nummer des Tierarztes gegeben«, sagte Jonna. »Bei Unfällen muss man kurz und sachlich sein. Du hast gerade darüber gesprochen, etwas sei falsch komponiert?«
»Nicht jetzt!«, rief Mari ungeduldig aus. »Ihr Mosse … Jonna, ich glaube, ich geh ins Bett.«
»Nein«, sagte Jonna. »Wir müssen warten. Ist ja möglich, dass sie wieder anruft und Trost braucht. Dann musst du ans Telefon, du kannst ruhig ziemlich lange mit ihr reden. Wir teilen uns das gerecht, das weißt du.« Sie hängte das Silbertuch über den Bildschirm, um ihn vor Staub und Morgensonne zu schützen, und steckte sich die letzte Zigarette des Tages an.
ÜBER DIE IDEE DES JÄGERS
Die Schäre war wie ein Atoll geformt: Felsen, die eine seichte Lagune umfingen, einen Gumpen mit einer schmalen Passage hinaus zum Meer. Bei Ebbe wurde der Gumpen zu einem See, wo die Seehunde früher, bevor sie erschossen worden waren oder sich in ruhigere Gegenden verzogen hatten, ihren Spielplatz gehabt hatten. Inzwischen war er das Kinderzimmer der Eiderenten.
Auf der einen Seite des Gumpens lag das kleine Haus, auf der anderen hatten die Seevögel ihr Revier. Die Guanostreifen auf dem Felsen waren weiß wie Schnee, und weiß wie Schnee waren auch die brütenden Möwen und Seeschwalben und die langen üppigen Borten aus Margeriten in sämtlichen Felsspalten.
Auf dem höchsten Punkt des Felsens residierten zwei Mantelmöwen, gewaltige Vögel mit schwarzen Flügeln und Raubvogelschnäbeln. Ihre deutliche Abgeschiedenheit von der restlichen Siedlung wirkte überlegen, verächtlich. Hin und wieder begab sich einer von ihnen, wie aus Zerstreutheit, den Felshang hinunter, um ein Eiderjunges zu verschlingen, dann stieg jedes Mal eine Wolke aus Hunderten von schreienden Vögeln auf, die einer um den anderen im Sturzflug über den Räuber hinwegschossen – aber nie zu nah. Und der Herr der Insel schnappte zerstreut nach ihnen und kehrte zu seinem Revier zurück, wo er dann regungslos verharrte wie eine vornehme Skulptur auf dem höchsten Punkt des Atolls.
Jonna hatte Eiderjungen gern, vor allem seit eines sich zum Haus herauf verirrt und darauf bestanden hatte, hinter ihr herzulaufen. Schließlich war es ihr gelungen, das Junge in einen Korb zu setzen, danach ruderte sie eine Stunde damit umher, bevor eine geeignete Eiderfamilie in Sicht kam, weit genug entfernt vom Revier der Mantelmöwen. Sie sagte: »Eines schönen Tages werde ich diese Raubmöwen erschlagen. Vor lauter idiotischen Vogeljungen kann man hier ja nie in Ruhe arbeiten.«
Eines Morgens ölte Jonna draußen vor dem Haus ihre Pistole, und ohne lang zu überlegen, ließ sie einen Schuss quer über den Gumpen los, auf die statische Silhouette der Mantelmöwe. Ob in der Absicht, sie zu erschrecken oder sie zu treffen, ist ungewiss, auf jeden Fall sank der Vogel zusammen und flatterte von seinem Fels herunter.
Mari hatte nichts gesehen, sie war es gewohnt, dass Jonna immer mal wieder Schießübungen auf Blechdosen machte. Jonna ging hinüber, um dem Vogel den Garaus zu machen, sie war unangenehm berührt, aber gleichzeitig sehr stolz auf die eigene Treffsicherheit; immerhin waren es quer über den Gumpen mindestens hundert Meter. Aber die Mantelmöwe war nirgends zu sehen.
Zwei Tage später kam Mari heraufgerannt. »Jonna«, rief sie, »die Möwe kann nicht fliegen, und laufen kann sie auch nicht, und das Junge weiß nicht, wohin!«
Als sie ans äußere Ufer kamen, war es leer.
Und unvermeidlich kam der düstere Morgen, als Mari die Mantelmöwe tot auf dem Felsen fand, und da war der Vogel schon voller Würmer.
»Typisch«, sagte Jonna, »natürlich musstest du diejenige sein, die den Vogel findet. Nun, also – es tut mir leid. Ich hab ihn erschossen.« Und sie fügte hinzu: »Aus einer Entfernung von hundert Metern.«
»Das hätte ich mir denken können«, rief Mari aus, »das hätte ich wissen müssen! Du hast den königlichen Vogel getötet! Er war schrecklich, aber er gehörte zur Insel, zu uns! Du liebst das Schießen, du kannst es nicht lassen, jetzt kannst du dir ja die Federn nehmen, nimm sie, nimm sie, das sind doch genau die, die du für deine geheiligten grafischen Säurebäder brauchst, nicht wahr?«
»Das war nicht mit Absicht«, fing Jonna an, aber Mari unterbrach sie und vermutete mit unbedachter Grausamkeit, dass das Möwenjunge jetzt auch irgendwann an Land treiben würde. Dann ging sie zum Fischkasten hinunter und protestierte, indem sie Barsche schlachtete; eine Aufgabe, die sie verabscheute und immer Jonna zu überlassen pflegte.
Jonna entfernte die langen Schwungfedern, wusch und trocknete sie und legte sie ganz hinten in die Arbeitskiste. Den ganzen Tag wartete sie auf die unvermeidliche Fortsetzung, aber Mari fing erst nach dem Netzauslegen an, über die Idee des Jägers zu reden. Irgendwo hatte sie gelesen, man könne die Menschen in groben Zügen in Jäger, Gärtner und Fischer einteilen. Der Typ des Jägers, erklärte sie, werde natürlich am meisten bewundert, er gelte als kühn und ein wenig gefährlich. »Du weißt schon, jemand, der mit hohem Einsatz spielt, jemand, der rücksichtslos sein kann und das wagt, was die anderen nicht wagen. Hab ich nicht recht?«
Jonna schnitzte weiterhin an ihrer Netznadel. Nach einiger Zeit bemerkte sie, es müsse doch alle Sorten geben, aber die meisten seien wahrscheinlich eine Mischung aus allen dreien. Oder aus allen fünfundneunzig oder so.
»Jaja, aber es gibt trotzdem typische Fälle von dem, was wir als Jäger bezeichnen. Und die sind als solche geboren.«
»Apropos Möwen«, bemerkte Jonna, »kannst du dich an diese eine mit dem gebrochenen Flügel erinnern, die sich Tag für Tag bis an die Treppe schleppte? Ich vermute, du warst ein Gärtner, als du versucht hast, sie mit Futter zu trösten, das sie nicht einmal fressen konnte, weil sie zu schwach war? Und was weiter – ich hab dem Vieh den Hechtkescher über den Kopf geschlagen, als du anderweitig beschäftigt warst, und der Rest war mit einem Hammer schnell erledigt. Garantiert war der Vogel voller Würmer. Etwas, das schon ganz zerstört ist, lässt sich nicht zusammenflicken. Du warst übrigens erleichtert. Du hast mich bewundert. Das hast du gesagt.«
»Na ja«, gab Mari zu, »aber jedenfalls war das eine ganz andere Geschichte, das nenne ich Beweisführung mit gesuchten Beispielen …« »Es gibt Gelegenheiten«, sagte Jonna ohne zuzuhören, »es gibt Gelegenheiten, da ist ein gesunder Mangel an Rücksicht das einzig Wahre. Wie war es denn