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Inseldämmerung. Bent OhleЧитать онлайн книгу.

Inseldämmerung - Bent Ohle


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biss sich auf die Unterlippe. Dann machte er kehrt, verließ das Büro und knallte die Tür hinter sich zu.

      Bernd war noch da, als er die Umkleide betrat. Till starrte ihn mit leicht gesenktem Kopf an und drückte dann sachte die Tür ins Schloss.

      »Na, machst du jetzt ’n Aufstand deswegen?« Bernd schien unbeeindruckt. Auch er war ein körperlich sehr kräftiger Mann. Zwar schob er einen mächtigen Bauch vor sich her, doch seine Arme waren dick und muskulös. Sein glänzender Schädel saß auf einem Hals wie ein Baumstamm, und seine Oberschenkel platzten fast aus den Hosen, die er trug. Er machte Kraftsport und sah selbstbewusst einer etwaigen körperlichen Auseinandersetzung entgegen.

      »Ich will meine Tour zurück«, sagte Till nur.

      Bernd grinste breit. Er schien es zu genießen, Till eins auswischen zu können. »Hör zu, Kleiner. Du hast den Scheiß angefangen, jetzt löffel ihn verdammt noch mal aus.«

      Sie gingen aufeinander zu und blieben mit kaum einem Meter Abstand zwischen ihnen stehen.

      »Wenn du hier noch einmal irgendeine Scheiße erzählst, die mir schaden könnte, werde ich dir die Kehle durchschneiden, das schwöre ich dir. Ich weiß nicht, für wen du dich hältst, aber mit mir hast du dir den Falschen ausgesucht«, sagte Bernd mit zusammengebissenen Zähnen.

      Till stand reglos da. Wieder dachte er, dass er sich beherrschen musste, um ihr Vorhaben nicht zu gefährden. Wenn er Bernd jetzt in irgendeiner Weise Schaden zufügte, würde das nur noch mehr Probleme mit sich bringen. So schwer es ihm auch fiel, er musste seinen Stolz hinunterschlucken und diesen fetten Wichser gehen lassen. Er hat nicht gewonnen, beschwor er sich innerlich selbst, er hat nicht gewonnen. Du wirst am Ende als Sieger dastehen, aber jetzt, nur kurz, musst du ihn gewinnen lassen. Er sah ihm in die Augen. Gott, wie schwer es ihm fiel, die Worte über die Lippen zu bringen.

      »Viel Spaß mit meiner Route«, presste er heraus und ging an Bernd vorbei zu seinem Spind.

      »Und was machen wir jetzt?«, fragte Simon verzweifelt, als sie im Wagen saßen und Till ihm den Vorfall geschildert hatte. Dass sie eine andere Tour fahren mussten, war gar nicht gut, der ganze Plan war dadurch gefährdet.

      »Wir rufen Brockhaus an.«

      »Das Handy ist nur für den Notfall.«

      »Ist das kein verschissener Notfall oder was?«, schrie Till ihn an.

      Simon holte nur still das Handy aus seiner Tasche und tippte auf die eingespeicherte Nummer. »Ich bin’s«, sagte er matt, als Brockhaus abhob. »Wir haben die Tour nicht mehr. Es wurde umdisponiert.«

      Keine Antwort, Stille am anderen Ende der Leitung.

      »Plan B«, sagte Brockhaus leise. Dann war die Leitung tot.

      Till sah fragend zu ihm herüber.

      »Plan B.«

      Till lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße, aber Simon hätte schwören können, ein freudiges Blitzen in seinen Augen zu sehen.

      Fähre nach Amrum, kurz vor der Ankunft, 12:24 Uhr

      »Wir bitten Sie, zu Ihrer eigenen Sicherheit in den Gängen oder in Ihren Autos zu warten, bis das Schiff angelegt hat. Es könnte etwas holprig werden, also halten Sie sich bitte fest. Danke«, lautete die kaum verstehbare Durchsage des Kapitäns über die Lautsprecher. Martin war mit seiner Familie auf dem Weg nach unten, wo die Gäste, die zu Fuß auf die Insel wollten, schon dicht an dicht standen. Er trug Piet auf dem Arm und wurde am Ende des Ganges von einem Schiffsmitarbeiter aufgehalten, der an der schweren Eisentür »Wache« stand.

      »Wir wollen zum Auto«, rief Martin gegen das Rauschen des Wassers und den Wind an. Der Mann nickte und ließ sie durch.

      Martin legte schützend eine Hand auf Piets Kopf und drückte ihn fest an seine Brust. Der Wind packte und schüttelte sie, dass die Kleidung nur so flatterte. Sie mussten aufpassen, nicht gegen eins der Autos zu stoßen. Eilig stiegen alle ins Auto ein und schlossen die Türen. Dicke Tropfen klatschten auf die Scheibe, durch die man kaum noch etwas sehen konnte.

      »Puh«, sagte Martin nur und sah nach Piet. Der verzog das Gesicht, schniefte und fing lauthals an zu weinen. »Schon gut, Pieti«, flüsterte er.

      »Gib ihn mir«, sagte Alexandra und streckte ihre Hände aus. Martin reichte ihr ihren Sohn nach hinten und wischte sich übers nasse Gesicht.

      »War ja ’ne tolle Idee, nach Amrum zu fahren über Weihnachten«, ätzte Joshua.

      »Jetzt pass mal auf, Joshi«, begann Martin ungehalten und wandte sich seinem Sohn zu. »So langsam gehen mir deine Kommentare auf den Zeiger. Fahr einfach mal einen Gang runter und versuch, nicht den ganzen Tag nur rumzumosern wie ein beleidigtes Prinzesschen, okay?«

      Daniela unterdrückte auf der Rückbank ein Lachen.

      Joshua machte große Augen und zog eine gekünstelte Grimasse. »Uhh, da hab ich aber Angst.«

      »Übertreib’s nicht. Meine Geduld ist langsam am Ende«, sagte Martin, und es klang so ernst, dass Alexandra und Daniela aufblickten. Joshua erwiderte nichts mehr und wandte sich ab.

      Dann herrschte Stille im Wagen.

      Als die Fähre beim Anlegemanöver gegen die Stoßdämpfer an der Kaimauer stieß, ging ein heftiger Ruck durch die Fahrzeuge auf der Ladefläche. Der Mitarbeiter, der vorn am Bug bereitstand, wäre fast umgefallen. Es gab noch einen weiteren Aufprall, und der Bug hob und senkte sich ständig, bis die Landungsbrücke das Schiff endlich wie ein Feststellmechanismus zum Stehen brachte. Aus Sicherheitsgründen durften die Autos heute zuerst von Bord fahren, anschließend gingen alle Gäste, die zu Fuß unterwegs waren, an Land.

      Ein merkwürdiges Gefühl ergriff von Martin Besitz, als er den Wagen über die Brücke auf das Eiland lenkte. Sie waren nicht zum ersten Mal hier, aber diesmal schien es endgültiger als sonst. Die Reise auf eine Insel war immer etwas Besonderes, vor allem, wenn man sie nur per Schiff erreichen konnte. Ein wenig wie die Reise zu einem anderen Stern. Nie war dieses Gefühl stärker gewesen als heute. Martin empfand eine tiefe Verbundenheit mit allen Menschen, die gerade mit ihm diese Insel betraten. Sie war nun ihr aller Schicksal. Er lachte schnaubend, weil ihm dieser Gedanke kitschig vorkam. So kannte er sich nicht. Es war schließlich nur ein Urlaub über die Feiertage.

      Aus dem Augenwinkel fiel ihm ein Mann in Uniform auf, der zwischen den beiden Gebäudeteilen des Hafenhäuschens stand und der Autoschlange zusah. Es war ein Polizist. Und dieses Gefühl wollte einfach nicht von ihm lassen.

      Hamburg-Altona, Waitzstraße, Deutsche Bank, 12:56 Uhr

      Till hatte beide Hände auf dem Lenkrad liegen und saß da wie versteinert, während Simon in Gedanken durchging, was jetzt alles zu tun war.

      »Na, los, lass uns gehen.« Er stieß Till an.

      »Hauptsache, Bernd spielt nachher mit«, sagte Till zweifelnd.

      »Brockhaus meinte, das funktioniert immer. Es muss nur echt aussehen.«

      »Für mich sind da noch viele Fragezeichen. Niemand weiß wirklich, wie jemand reagiert.«

      »Schon klar. Aber es wird klappen. Du wirst sehen.«

      Hamburg-Wandsbek, Wandsbeker Chaussee, 12:57 Uhr

      Brockhaus starrte nachdenklich auf den schmutzigen Teppich. Es war vielleicht kein gutes Omen, dass der ursprüngliche Plan nun nicht mehr durchführbar war, aber davon durfte er sich nicht irritieren lassen. Er musste die Dinge in die Hand nehmen. Sich nehmen, was er wollte, was ihm zustand. Und das heute. Jetzt und hier.

      Er stand auf, packte alles, was er brauchte, in den Rucksack und hielt für einen Moment inne.

      Das Gesicht des Jungen von gestern Nachmittag geisterte in seinem Kopf herum. Er fühlte, dass es sein Sohn war. Was er aber nicht wusste, war, ob er seinetwegen etwas unternehmen sollte. Heute war der Tag, nach dem es kein Zurück mehr


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