Der neue Dr. Laurin Box 1 – Arztroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
sich. Ihm war es lieber, wenn er zu tun hatte. Robert war wegen seines heiteren Gemüts allgemein sehr beliebt. Zum Glück war er aber auch sehr fit in medizinischen Belangen. Marie arbeitete gern mit ihm zusammen. Robert hatte immer einen Scherz auf den Lippen, das half, besonders, wenn die Arbeit hart war.
Die Ruhe war bald wieder vorüber. Kurz nach Mitternacht wurde eine hochschwangere Frau eingeliefert, die vor Schmerzen schrie und deren nervöser Ehemann so aussah, als bräche er jeden Moment zusammen. »Meine Frau erwartet Zwillinge!«, rief er. »Es ist zwei Wochen zu früh, aber sie hat schon Wehen. Wo ist Herr Dr. Laurin? Bei ihm ist meine Frau in Behandlung, Herr Dr. Laurin muss kommen!«
Eckart Sternberg versuchte, den Mann zu beruhigen, während Michael sich um die schwangere Frau kümmerte, doch die schrie weiter, und die Aufregung des Mannes nahm eher noch zu. Da gleich darauf ein schwer verletztes junges Paar eingeliefert wurde, das von einem zu schnell fahrenden Motorradfahrer angefahren worden war und die ganze Aufmerksamkeit der beiden Ärzte beanspruchte, rief Eckart seinen Chef an. Wie üblich meldete sich Leon bereits nach dem zweiten Klingeln.
»Frau Müthen hat schon Wehen?«, rief er. »Ach, du liebe Güte. Ich bin gleich da, Eckart!«
Eckart Sternberg atmete erleichtert auf. Wie oft hatte er Leon schon als ›verrückt‹ bezeichnet, weil er sich so für seine Patientinnen und Patienten aufrieb, dabei war er selbst nicht anders – und in Situationen wie dieser war er einfach nur dankbar dafür, dass der Klinikchef nicht lange zögerte, sondern sich einfach auf den Weg machte. An einem großen Krankenhaus ging es sicherlich ganz anders zu.
Keine Viertelstunde später war Leon Laurin zur Stelle. »Frau Müthen, was machen Sie für Geschichten? Ich glaube, Sie haben Ihre Zwillinge nicht im Griff. Sagen Sie denen mal, dass sie jetzt Ruhe geben sollen. Und Sie, Herr Müthen, ziehen sich jetzt bitte einen Kaffee am Automaten und machen einen kleinen Spaziergang draußen durch den Park. Geben Sie uns eine halbe Stunde!«
Eckart Sternberg bekam das nur noch am Rande mit, aber ihn wunderte nicht, dass es seinem Chef innerhalb kürzester Zeit gelang, nicht nur die Patientin zu beruhigen, sondern auch deren Ehemann. Es war ein Phänomen, das er schon öfter hatte beobachten können. Er war selbst ein ausgezeichneter Arzt, das wusste er, aber diese Fähigkeit, mit Menschen umzugehen, die Leon auszeichnete, besaß er nicht, darüber machte er sich keinerlei Illusionen: Er war viel zurückhaltender, konnte nicht so gut aus sich herausgehen. Und ihm fehlte auch Leons Lockerheit. Aber er haderte nicht damit. Die Talente waren nun einmal ungleich verteilt, er fand das in Ordnung so.
Robert Semmler kam herein. »Der Chef meint, es dauert noch bei Frau Müthen, Marie hilft ihm, deshalb kann ich mich hier nützlich machen.«
»Dann legen Sie der Patientin bitte eine Infusion mit Kochsalz an, während wir den jungen Mann für die OP vorbereiten«, bat Eckart.
Robert nickte nur und machte sich an die Arbeit.
Es war wieder ruhig in der Notaufnahme, seit Flora Müthen aufgehört hatte zu schreien.
*
Antonia war aufgestanden und hatte sich in der Küche Milch warm gemacht. Wie oft schon war sie mit Leon aus dem Schlaf gerissen worden und hatte hinterher nicht wieder einschlafen können? All die Notfälle in den vergangenen Jahren … Sie hatte das ja schon von ihrem Vater gekannt, aber es war noch einmal etwas anderes, wenn der eigene Ehemann nachts angerufen wurde, damit er in der Klinik ein Leben rettete. Oder auch mehrere.
Sie saß am Küchentisch und trank die Milch, in die sie einen Esslöffel Honig gegeben hatte, als Kevin auftauchte. Er sah nicht einmal verschlafen aus, sondern eher so, als hätte er bis jetzt heimlich unter der Bettdecke gelesen. Das machte er oft, wie sie wusste.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte sie.
»Doch, aber ich habe gehört, wie Papa weggefahren ist. Ein Notfall?«
»Ja, Frau Müthen, die Frau, die Zwillinge erwartet. Sie ist zu früh dran, ich hoffe, es gibt keine Probleme.«
»Du hast auch Zwillinge gekriegt.«
»Ja, allerdings. Das war ganz schön aufregend damals.«
»Ich bin froh, dass ich kein Zwilling bin.«
»Ach ja?«, fragte Antonia überrascht. So etwas hatte Kevin noch nie gesagt. »Wieso das denn?«
»Es war bestimmt schön, dass ich den ganzen Platz in deinem Bauch für mich allein hatte«, sagte er nachdenklich. »Ich meine, ich erinnere mich ja nicht daran, aber ich denke, es hat mir gefallen.«
Sie strich ihm liebevoll über die widerspenstigen Haare. Er war drei Jahre jünger als die Zwillinge. Sie fragte sich manchmal, ob sie genug Zeit für ihn gehabt hatte, als er auf die Welt gekommen war. Es war schon sehr fordernd gewesen, sich um die damals dreijährigen Zwillinge zu kümmern, sie hatten einen Großteil ihrer Kräfte für sich beansprucht. Aber Kevin schien in sich zu ruhen, er machte nicht den Eindruck, als sei er zu kurz gekommen.
»Du hast mich oft getreten«, sagte sie. »Du warst sehr lebhaft.«
»Hat das weh getan? Wenn ich dich getreten habe?«
»Nein, ich fand es schön. Es zeigte mir ja, dass du lebendig warst, dass es dir gut ging. Außerdem hatte ich immer das Gefühl, dass du mir auf diese Weise etwas mitteilen wolltest. Wenn du mal eine Zeitlang nichts von dir hast hören lassen, war ich gleich beunruhigt.«
»Wie war das denn mit Kyra? Hat sie dich auch getreten?«
»Kyra war viel ruhiger als du, daran musste ich mich erst gewöhnen.«
»Und die Zwillinge?«
»Da war auch ganz schön was los. Wahrscheinlich hast du Recht: Es war vielleicht etwas eng in meinem Bauch, und sie haben versucht, sich mehr Platz zu erkämpfen.«
»Kann ich auch Milch haben?«
»Klar, mach sie dir warm, der Topf steht noch auf dem Herd.«
Als er mit einem Becher zu ihr an den Tisch kam, schob sie ihm den Honig hin. »Du magst es ja gern süß«, sagte sie.
Eine Weile saßen sie schweigend beieinander. Antonia wartete darauf, dass Kevin ihr sagte, warum er zu ihr in die Küche gekommen war, denn alles an seinem Verhalten ließ darauf schließen, dass er etwas auf dem Herzen hatte.
Er hatte seine Milch schon fast getrunken, als er endlich hörbar die Luft ausstieß und sagte: »Mike und ich, wir haben uns gestritten. Jetzt reden wir nicht mehr miteinander.«
Mike – eigentlich Michael – Brönner war seit Jahren Kevins bester Freund. Die beiden Jungen waren unzertrennlich. Von einem Streit war bisher noch nie die Rede gewesen. Es hatte wohl schon kleinere Unstimmigkeiten gegeben, aber dass die beiden nicht miteinander redeten? Davon hatte Antonia noch nie gehört.
»Worüber habt ihr gestritten?«, fragte sie.
»Er hat blöd geredet, ich habe gesagt, er soll seine Klappe halten, da war er beleidigt. Und ich war auch beleidigt.«
»Worüber hat er blöd geredet?«
Kevin druckste eine Weile herum, bis er mit seiner Antwort herausrückte. »Über Kaja«, sagte er.
»Hat er etwas Schlechtes über sie gesagt?« Antonia konnte sich das eigentlich nicht vorstellen. Wenn sie sich recht erinnerte, war Mike, wenn er Kaja hier im Haus begegnete, eher verlegen und rot geworden. Kaja war ja auch ein sehr hübsches Mädchen, viele Jungen blickten ihr hinterher, was ihre Eltern mit durchaus gemischten Gefühlen sahen. Vor allem Leon machte sich Sorgen um sie, er hatte, wie alle liebenden Väter, Angst um seine Kinder, vor allem um seine Töchter.
»Nee, eher … er hat über ihre Figur geredet und so. Vor allem über ihre … du weißt schon. Ich habe ihm gesagt, wenn er nicht aufhört, haue ich ihm eine rein. Da hat er gesagt, dass ich ein blöder Spießer bin und hat mich stehen lassen.«
Endlich begann Antonia zu ahnen, was vorgefallen war. Pubertätsprobleme also. Klar, dreizehnjährige Jungs fantasierten natürlich von Mädchen. »Er hat