Der neue Dr. Laurin Box 1 – Arztroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
braucht er sich aber nicht so … so ordinär auszudrücken«, erwiderte Kevin mit finsterem Blick.
»Sag ihm das«, schlug Antonia vor. »Ihr seid schon so lange befreundet, es wäre schade, wenn eure Freundschaft wegen so etwas auseinander ginge. Außerdem kann ich dir sagen, dass du solche Bemerkungen wahrscheinlich noch öfter hören wirst. Ihr seid in dem Alter, wo Mädchen interessant werden. Und weil das nicht alle zugeben wollen, reden sie ein bisschen großspurig daher. Nimm das nicht so ernst. Irgendwann redest du vielleicht auch so.«
»Ist das die Pubertät?«, erkundigte sich Kevin.
»Ja. Da baut sich das Gehirn um. Deshalb machen Jugendliche in eurem Alter oft Dinge, die Erwachsene nicht verstehen können. Und weil ihr nicht alle im selben Alter in die Pubertät kommt, versteht ihr euch zwischendurch untereinander auch nicht mehr. Vielleicht interessiert sich Mike schon stark für Mädchen, du aber noch nicht. Könnte das sein?«
Kevin dachte über die Frage nach und nickte schließlich. »Das heißt, er ist schon weiter als ich, und deshalb findet er mich blöd und ich ihn? Jedenfalls manchmal?«
»So ungefähr. Es kann sein, dass ihr euch nie wieder so gut versteht wie bisher, aber möglich ist auch, dass dieses Fremdheitsgefühl wieder verschwindet. In der Pubertät ändern sich Menschen, und das tun sie ja nicht absichtlich. Versuch, das im Auge zu behalten, dann ärgerst du dich weniger.«
Kevin leerte seinen Becher und stand auf. »Danke, Mama«, sagte er ernsthaft. »Ich sollte öfter mal nachts mit dir reden, glaube ich.«
Sie stand auf und schloss ihn in die Arme. Das ließ er sich normalerweise nicht mehr so gern gefallen, doch jetzt erwiderte er die Umarmung sogar. »Schlaf gut«, sagte sie liebevoll.
»Du auch.«
Er trottete zurück in sein Zimmer, und auch Antonia beschloss, sich wieder ins Bett zu legen. Leon hatte angekündigt, dass es dauern konnte, bis er nach Hause kam.
Also hatte es wenig Sinn, auf ihn zu warten.
*
Marco wusste, er würde nicht schlafen können, wenn er jetzt nach Hause ging, also kehrte er in einer weiteren Kneipe ein. Er würde in der Schreinerei wieder völlig übermüdet sein und sich den nächsten Tadel seines Ausbilders einfangen, aber er konnte sich jetzt zu Hause nicht ins Bett legen. Er war ja noch nicht einmal angetrunken, er würde also nur an Eva denken und wieder nur das heulende Elend kriegen. Das kannte er nun schon, und dem musste er entgehen.
Er hatte gehört, dass man Liebeskummer am besten mit einer neuen Liebe verjagte – aber wie sollte er das anstellen? Ihn interessierten andere Frauen nun einmal nicht, er dachte immer nur an Eva. So war das, seit er sie kennengelernt hatte.
Jemand legte ihm von hinten eine Hand auf die Schulter. »Komm mit nach draußen«, sagte eine heisere Stimme.
Er fuhr herum. Tom, schon wieder!
»Lass mich in Ruhe, das habe ich dir eben schon gesagt! Verschwinde einfach, okay?«
»Du hast mir die Nase gebrochen, und ich soll verschwinden? Du bist wohl zu feige, mit nach draußen zu kommen, oder? Du hast mich angegriffen!«
Marco bezahlte sein Bier und folgte Tom aus der Kneipe, vor allem, weil er es hasste, Aufsehen zu erregen. Und die Leute um sie herum hatten bereits angefangen, sie zu beobachten. Er konnte ihre Augen glitzern sehen. Eine Schlägerei, in die man selbst nicht verwickelt war, war immer eine beliebte Abwechslung während einer langen Nacht, in der sonst nicht viel passierte.
»Du hast mich zuerst angegriffen, mit Worten«, sagte er. »Wenn du mich einfach in Ruhe gelassen hättest, wäre überhaupt nichts passiert.« Er hatte seinen Satz kaum beendet, als Tom auch schon zuschlug.
Doch Marco hatte den Schlag kommen sehen und konnte den Kopf noch drehen, so dass er nur an der Schulter getroffen wurde. Er kam etwas aus dem Gleichgewicht, fing sich aber schnell wieder. Zwei gute Schläge konnte er landen, einen an Toms Hals, den anderen an der Schläfe. Er hatte ein Boxtraining gemacht, seit er früher oft verprügelt worden war. Ihn hatten die größeren Jungs als leichte Beute angesehen, weil er schmal war und den Eindruck erweckte, ein kräftiger Schlag genüge, um ihn zu Boden zu schicken. Doch diese Zeiten waren vorüber. Er hatte gelernt, sich zu wehren.
»Seid ihr verrückt geworden?«, hörte er jemanden rufen. »Hört sofort auf! Wollt ihr Ärger mit den Bullen haben? Die fahren hier überall Streife und warten nur auf zwei wie euch.«
Sascha Buder! Wo kam der jetzt auf einmal her? Aber Marco war nicht böse über dessen Auftauchen. Nicht, dass sie direkt Freunde gewesen wären, aber er kannte Sascha ganz gut, und er wusste, dass Tom ihn auch kannte. Sascha war in Ordnung.
»Halt dich da raus, Sascha!«, hörte er Tom knurren.
Marco sah ihn zu einem weiteren Schlag ausholen, und plötzlich packte ihn der Zorn. Er wollte sich nicht prügeln, aber um dieser lächerlichen Schlägerei ein Ende zu bereiten, musste er Tom wohl zuerst k.o. schlagen. Er duckte sich und zielte dann direkt auf Toms Gesicht, das er auch traf. Es krachte wieder, Tom schrie auf.
»Aufhören, aufhören!«, rief Sascha Buder.
Fast zeitgleich blitzte etwas in Toms Hand auf, das Marco zu spät sah. Tom, mit seinem blutenden Gesicht, stürzte sich mit wütendem Gebrüll auf ihn, und gleich darauf verspürte er einen heftigen Schmerz in der Brust, ohne zu begreifen, was geschehen war. Schon im Fallen holte er aus und versetzte Tom noch einen heftigen Tritt zwischen die Beine, der diesen mit einem Schmerzensschrei zu Boden schickte.
Dann landete Marco auf dem Bürgersteig, und ihm wurde schwarz vor Augen.
Sascha Buder blickte sich hektisch um, dann holte er sein Handy heraus und rief einen Rettungswagen. Als dieser wenig später kam, erklärte er, die beiden Verletzten nicht näher zu kennen, er sei rein zufällig vorbeigekommen. In welches Krankenhaus man sie denn bringen werde?
Nachdem er das in Erfahrung gebracht hatte, gelang es ihm, zu verschwinden, bevor die Polizei am Ort des Geschehens eintraf. Das Messer steckte in einer Plastiktüte in seiner Tasche.
*
»Sie sind ja wach«, sagte Schwester Marie, als sie neben Eva Maischingers Bett trat. Verwundert war sie nicht darüber: Flora Müthen hatte wieder angefangen zu schreien, und die Wände in der Notaufnahme waren dünn.
»Ich kann bei dem Geschrei nicht schlafen«, erwiderte Eva. »Wieso schreit die Frau überhaupt so?«
»Sie bekommt Zwillinge, und es gibt Komplikationen. Ich weiß, eine Notaufnahme ist kein Aufenthalt in einem Kurhotel. Wir verlegen Sie morgen auf die Gynäkologie.«
»Auf keinen Fall!«, erklärte Eva. »Morgen gehe ich nach Hause. Ich hätte überhaupt nicht hier bleiben sollen, Sie reden mir hier nur Sachen ein. Aber Sie können mich nicht gegen meinen Willen festhalten.«
»Das stimmt, das können wir nicht, aber wir können an Ihre Vernunft appellieren, Frau Maischinger. Und wenn wir Ihnen sagen, dass Sie noch Ruhe brauchen, dann ist das so, glauben Sie mir.«
»Mir geht es bestens«, behauptete Eva. »Das war ein kleiner Schwächeanfall – na, und?«
»Das war kein kleiner Schwächeanfall, und das wissen Sie auch. Sie waren bislang noch bei keiner Vorsorgeuntersuchung, und es hat sich herausgestellt, dass Ihr Baby ziemlich klein ist. Wollen Sie denn nicht, dass es gesund zur Welt kommt?«
»Welches Baby?«, fragte Eva. »Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden. Ich bin nicht schwanger.«
Marie schwieg. Sie waren schon einmal weiter gewesen, aber offenbar hatte sich die junge Frau entschieden, zu ihrer vorherigen Haltung zurückzukehren und ihre Schwangerschaft zu leugnen.
Sie griff in ihre Tasche, holte ein Ultraschallbild heraus und legte es auf den Nachttisch der jungen Frau. »Das ist ein Bild von Ihrer kleinen Tochter«, sagte sie sanft. »Ich lasse es hier, falls Sie es sich später ansehen möchten. Es ist ein Bild, auf dem man ziemlich viel erkennen kann. Nicht alle Ultraschallbilder sind so klar.«