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Zirkuläres Fragen. Fritz B. SimonЧитать онлайн книгу.

Zirkuläres Fragen - Fritz B. Simon


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gehen?

      ERNSTNee!

      FRITZ SIMONAlte Photoalben durchblättern?

      ERNSTDann wird vielleicht … Es kommt immer darauf an …

      FRITZ SIMONSich zu einer Prüfung anmelden? Was hilft am besten?

      MUTTER(lacht) Prüfung vor sich zu haben!

      ERNSTEventuell. Oder etwas vor sich zu haben, was mir wahnsinnig unangenehm ist.

      Mutter und Sohn greifen auf die Hypothese zurück, daß die Prüfungsangst ursächlich für das Trinken ist. Sie scheint irgendwie angenehmer. Wahrscheinlich liegt sie aus alltagspsychologischer Sicht auch näher. Als Therapeut hat man zu akzeptieren, wenn die eigenen, implizit oder explizit angebotenen Deutungsschemata nicht angenommen werden. Es reicht, die Idee gestreut zu haben. Wenn sie von den Klienten als relevant erachtet wird, arbeitet sie weiter und taucht irgendwann wieder auf. Das ist eine der „störenden“ Wirkungen von Fragen. Wenn die Beziehung zum Therapeuten für die Klienten eine gewisse Wichtigkeit erlangt hat (was man bei einem Erstinterview nicht voraussetzen sollte), werden sie das, was er sagt, nicht einfach zur Seite schieben. Sie setzen sich damit auseinander, und manchmal ändert sich im Verlaufe dieses Prozesses ihr Weltbild ein wenig: Sie verwerfen alte Erklärungen, konstruieren neue und verhalten sich anders (aber, wie gesagt: manchmal).

      FRITZ SIMONUnd was ist das Unangenehmste, was Sie sich da vorstellen können?

      Die Konfrontation mit schwarzen Phantasien ist ein gutes Mittel gegen Wunschdenken und Vermeidungsstrategien.

      ERNSTPfffff … was wär das Unangenehmste?

      MUTTERDie Angst, es nicht zu schaffen, vielleicht.

      ERNSTDa muß ich bloß mal den alten Alptraum kriegen. Das ist: Ich geh in die Prüfung rein, habe das Blatt vor mir, habe die Aufgabe vor mir und habe von Tuten und Blasen keine Ahnung und weiß, das ist die entscheidende Prüfung, und ab da ist absolut keine Chance. Ab da ist alles versaut.

      FRITZ SIMONAber das ist ja mit diesen Alpträumen so eine Sache, die kommen ja nicht zuverlässig. Frage: Wie könnten Sie selber diesen Alptraum herbeiführen oder all solche Situationen? Haben Sie da schon Erfahrungen?

      Erneut der Versuch, hypothetisch Einfluß zuzuschreiben.

      ERNST(schüttelt den Kopf) Vielleicht …

      FRITZ SIMONSie haben natürlich Erfahrung mit sich.

      ERNSTJa, sicher!

      FRITZ SIMONAlso, wenn Sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen wollten, solch einen Alptraum zu bekommen?

      ERNSTVielleicht, wenn ich sie sehen würde.

      FRITZ SIMONMich?!

      Ein Scherz! Eine Einladung, mit dem Therapeuten zu spielen bzw. mit der therapeutischen Beziehung.

      ERNSTNein, die Frau mit ihren zwei Kindern und dem Mann!

      Die Saat ist offenbar schneller als erwartet aufgegangen. Die ehemalige Freundin kommt zurück in den Fokus der Aufmerksamkeit, die Prüfungsangst tritt wieder in den Hintergrund.

      FRITZ SIMONWissen Sie, wo sie wohnt?

      ERNSTIch weiß es, ja.

      FRITZ SIMONMüßten Sie da öfter mal vorbeigehen und gucken?

      ERNSTNee.

      FRITZ SIMONNa, ich mein ja nur, wenn Sie das wollten. Ich will Ihnen das nicht raten. Mich interessiert nur, wie Sie Einfluß nehmen können. Das wäre eine Möglichkeit. Dann hätten Sie eine größere Chance, daß Sie sie sehen.

      ERNST(schüttelt den Kopf und zuckt die Achseln) Ich war da noch nie!

      FRITZ SIMONDas wundert mich. Ich würde da dauernd vorbeilaufen!

      ERNSTJa? Das geht zu weit! (lacht)

      FRITZ SIMONHätte jemand anderes in der Familie die Möglichkeit, Einfluß zu nehmen? Ich bin immer noch bei diesem Gedankenexperiment, Sie würden ganz viel Geld dafür kriegen, daß Sie mehr Alkohol trinken, als Sie sollten, und würden irgendeinen Grund dazu brauchen. Könnte irgend jemand anderes Ihnen noch behilflich sein in der Familie?

       (Ernst lacht)

      FRITZ SIMONIch gebe zu, es ist absurd! Aber …

      MUTTERDas ist ja so, daß dann der Alkohol mit Gewißheit das restliche Leben zerstören würde.

      Die hier verwendete Technik beruht auf dem Glauben des Therapeuten an „die positive Kraft des negativen Denkens“. Für die Mutter, die all ihre Hoffnungen in die Kraft des positiven Denkens gesetzt zu haben scheint, ist es schwer erträglich, solch einer Fragestellung zu folgen. Hier besteht die Gefahr, die Mutter zu verlieren, da die Beziehung nach der kurzen Zeit wahrscheinlich noch nicht tragfähig genug ist. Diese Gefahr besteht immer, wenn der Therapeut Ansichten vertritt oder Verhaltensweisen zeigt, die nicht anschlußfähig sind, d. h. zu weit vom Weltbild und den Werten der Klienten abweichen.

      FRITZ SIMONDaß Sie das nicht wollen, ist ja klar. Darüber brauchen wir, glaube ich, jetzt gar nicht zu reden.

      MUTTERNein, das wäre der reine Selbstmord. Aber da können wir ihm ja nicht zureden!

      FRITZ SIMON(zur Mutter) Aber viele Leute machen selbstmörderische Dinge! Manche fahren Autorennen, was höchst risikoreich ist. Die kriegen viel Geld dafür und sagen: O. K., ich rechne mir das aus! Andere Leute machen Bungee-Springen an irgendeiner Kordel in die Tiefe. Die kriegen noch nicht einmal dafür Geld, sondern müssen dafür bezahlen. Also, das wäre für mich noch kein ausreichender Grund, warum er es nicht machen sollte. Aber ich denke, Sie sprechen einen wichtigen Punkt an. (zum Sohn) Sie haben gesagt, man vergißt, wenn man Alkohol trinkt, ja?

      ERNSTKurzzeitig.

      FRITZ SIMONKurzzeitig. Aber Sie wissen ja wahrscheinlich auch, daß das langzeitig nicht anhält.

      ERNST(zustimmend) Nee!

      FRITZ SIMON(zur Schwester) Ich frage Sie. Sie können wahrscheinlich solche etwas abseitigen Fragen besser vertragen: Gibt es noch irgend etwas Gutes an diesem Verhaltensmuster? Immer mal wieder einen Schluck Alkohol zu trinken, wohlwissend, daß es nicht bekömmlich ist, daß es sogar gefährlich ist? Gibt es noch irgend etwas Gutes, auf das noch keiner geguckt hat, weil es eben nicht objektiv gut ist, sondern wohlmöglich nur aus einer sehr schrägen Perspektive gesehen gut ist?

      Symptome können immer auch als Ausdruck und Ergebnis von Überlebensstrategien gesehen werden. Wer ihren Anpassungsaspekt übersieht, läuft Gefahr, den berüchtigten und von Therapeuten aller Richtungen so geschätzten „Widerstand“ hervorzurufen. Die meisten Symptome haben für ihren Besitzer und Kreateur einen ambivalenten Gehalt: Er will sie irgendwie loswerden, aber das heißt auch, daß er möglicherweise auf einen funktionellen Überlebensmechanismus verzichten muß. Das ist aber – systemisch gesehen – kein pathologisches Phänomen, sondern vernünftig. Warum sollte man ein lebenswichtiges Handwerkszeug wegwerfen, das sich bewährt hat? Vor allem, wenn man noch keinen Ersatz hat, der seine Funktionalität bewiesen hätte.

      SCHWESTERIch hab da so Phantasien, die sich mir aufdrängen. Dieses Kindsein, dieses Unbeschwertsein, dieses Einfach-nicht-vernünftigsein-Müssen oder … Das ist so eine Phantasie, die mir dazu kommt.

      FRITZ SIMONKinder machen ja häufig gefährliche Sachen und denken nicht langfristig. Meinen Sie, daß er … nur jetzt im Verhalten oder auch in der Beziehung zu den Eltern noch Kind sein möchte?

      SCHWESTERIch glaube auch, daß es so von der Beziehung her noch so dieses Kindsein ist. (zur Mutter gewandt) Also das ist einfach so eine Phantasie.

      FRITZ SIMONDas heißt, daß er jetzt vielleicht auch etwas nachholt in der Mutter-Kind-Beziehung, was er früher nicht gehabt hat?

       (Schwester nickt)

      FRITZ SIMONInteressante Idee!

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