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Der Moloch. Jakob WassermannЧитать онлайн книгу.

Der Moloch - Jakob Wassermann


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Borromeo hüllte sich frierend in seinen Pelz und schritt mit wiegendem, müdem Sang auf und ab. Dieselbe Müdigkeit drückte sich in seinen Gebärden wie in seinem Mienenspiel aus, sie lag in den hingeworfenen Worten, die er sprach, in seinem Lächeln, in seiner Stimme. Kinn und Mund waren durch einen schwarzen Bart verdeckt, der förmlich steifgebügelt aussah und eine ungemein sorgfältige Pflege verriet. Die obere Hälfte des Gesichtes zeigte frauenhaft weiche Linien.

      „Was hast du eigentlich für deine Zukunft vor, Arnold?“ fragte er, in seiner Wanderung innehaltend, mit einem langsamen und sinnenden Tonfall.

      Arnold war überrascht und schaute zaubernd vor sich hin. Aus einem unklaren Grund empfand er ein ebenso unklares Mitgefühl mit dem Mann. „Ich weiss nicht. Ich will leben“, sagte er trocken.

      Borromeo fuhr mit der flachen Hand behutsam an seinem Bart herab, kaum die Haare berührend, als fürchtete er, sie zu zerzausen. „Und hältst du das für so leicht?“ erwiderte er sanft und traurig.

      Arnold lachte. „Ist es denn schwer?“ fragte er verwundert. „Hast du denn so schlechte Erfahrungen gemacht?“ Er sass rittlings auf einem Stuhl und drückte das Kinn auf die Lehne.

      „Ich glaube, es ist nicht möglich, andere zu machen“, antwortete Borromeo mit einem Lächeln, das ein vernichtendes Erbarmen mit dem Frager zeigte. Arnold wurde aus diesem wunderlichen Wesen nicht klug. Borromeo zeigte eine Einfachheit, die bis zur Hölzernheit ging, und eine ängstliche Sucht, unauffällig zu sein. Die Gesichtszüge des etwa Fünfundvierzigjährigen hatten einen greisenhaft stillen Ausdruck, die Augen starrten, als könnten sie in der Luft beobachten, was in der Seele selbst vorging. Trotzdem war bisweilen ein Aufleuchten im Blick, als gäbe es über gewisse tröstliche Dinge keinen Zweifel.

      Fünfzehntes Kapitel

      Die Ärzte liessen wenig Hoffnung; die Dauer des Leidens war nicht abzusehen. So reiste Borromeo wieder ab, denn ihn riefen Geschäfte. Arnold gab das Versprechen, ihm sofort zu schreiben, wenn es schlechter gehen sollte. Ausserdem wurde der Landarzt von dem jungen Spezialisten genau unterrichtet, wann eine Operation stattfinden könne; dann erst werde er wiederkommen.

      Frau Ansorge ahnte, was ihr bevorstand. Ihre ganze Kraft nahm sie vor Arnold zusammen. Nicht um ihn zu schonen, verbarg sie ihre Schmerzen, und nicht um als Heldin in seinen Augen zu gewinnen, sondern weil sie sich vor seinem Urteil fürchtete. So völlig hatte das Verhältnis eine Umkehrung erfahren, dass sie, die Unterwerferin und Lehrerin, nun schülerhaft von dem Bilde abhing, das sie im Innern des Sohnes von sich selbst geschaffen hatte, dass sie sein Mitleid mit Recht scheute und mit einer ungeheuren Überwindung ihr Bewusstsein abzog von ihren körperlichen Qualen. Nicht den träumerischen Weichling wollte sie, der im Mitgefühl erst seine Neigung entdeckt. Das gesunde Herz ist hart, sagte sie sich. So litt sie in sich hinein, um den Himmel seiner Zukunft rein zu wissen und sich darin zu bewahren als eine Art von kühler Göttin.

      Mit Borromeo hatte sie wegen des Besitzstandes gesprochen. Da das Kapital unberührt lag und die Zinsen stets wieder dazugeschlagen worden waren, weil die kleine Ökonomie sich allmählich selbst erhalten hatte, war Arnold Herr eines beträchtlichen Vermögens. Man gab ihm einen Überblick und sprach mit ihm über die Anlage des Geldes, aber er schien sich nicht sonderlich dafür zu interessieren.

      Er wurde von Tag zu Tag schweigsamer und in sich gekehrter. Wenn er ins Dorf kam, bemerkte er feindselige Gesichter, einen unentschlossenen, abwartenden Hass. Was ist los? dachte er; wohin ich sehe, alle nehmen für das Unrecht Partei. Warum? Warum nicht für das Recht?

      Eines Nachmittags ging er aus und marschierte lange Zeit am Flussufer hin und her. Das Wetter schien sich zu verändern. Regen wich der Kälte. Träg und dick rollte das Wasser des Flusses hin, rotgelb von Sand und Schlamm. Nasskalte Windstösse schlugen dem Wanderer in Gesicht und Nacken, und als er sich endlich entschloss, nach Podolin zu gehen, war er bis über die Knie mit Kot bespritzt. Auf dem Platz des Dorfes standen einige Leute in Gruppen und disputierten eifrig. An den Häuserecken waren riesenhafte Plakate angeklebt; Weiber und Kinder buchstabierten daran herum und schrien durcheinander. Es war von einer Wahlversammlung die Rede. Das Glück des Volkes, das Ende der Armut wurde prophezeit, und als Quelle alles Unheils wurden die Juden genannt.

      Aus der Kirche kam eine Prozession und füllte beim Schulhaus die Mitte der Strasse. Als Arnold zur Seite wich, entstand hinter ihm ein drohendes Raunen, das sich vom schreienden Gebeteleiern jäh unterschied. Er drehte sich um und erblickte Elasser, der von der Lomnitzer Strasse hereingekommen war, den schweren Hausierpack auf dem Rücken. Ein Schlossergeselle namens Pavlicek eilte auf den Juden los und schleuderte mit einer kurzen Armbewegung den Schlapphut vom Kopfe des Wehrlosen, und der Hut flog im weiten Bogen auf die Schwelle eines Haustors. Das zornige Murmeln nahm einen beifälligen Charakter an. Elasser blieb stehen, machte mit den Lippen eine fletschende Bewegung, blickte scheu auf dem Boden umher, als erwarte er, dass der Hut von selbst wieder zu ihm käme, da er doch keine Hand frei hatte, ihn zu holen. Er schickte sich an, seinen Pack auf die Erde zu stellen und lächelte dabei sklavisch, wie um den Umstehern zu zeigen, dass er eigentlich nichts übelnehme, sondern dass es nur beschwerlich für ihn sei. Arnolds Gesicht errötete und seine Augen verdunkelten sich vor Verachtung. Das Mass der Unbill schien ihm über und über gefüllt. Er warf den Kopf zurück, stiess einen gurgelnden Schrei aus, wie wenn in der nächsten Sekunde alles in ihm zur Besinnungslosigkeit zusammenstürzen würde, und rieb die Zähne aneinander, indem er die Lippen nach oben und nach unten entfernte. Der Schneider Wittek, ein Deutscher, stand in seiner Nähe und glotzte. Arnold wollte auf ihn zu, um ihn mitten in den Haufen der andern zu schleudern. Ein wenig Schaum trat vor seinen Mund, aber plötzlich war es, als ob sich ein überirdischer Mittler vor ihm erhöbe, dessen unsichtbarer Mund weise und stolz zum bessern rief. Liegt denn das Recht in deiner Stärke? schien eine Stimme zu fragen. Triffst du das wahre Unrecht mit den Schlägen deiner Faust? Sei anders als sie! Überzeuge sie!

      Überrascht und finster waren die Leute vor ihm zurückgewichen. Er wandte sich ab, ging bis zum Haustor über die Strasse, hob den davongeflogenen Hut auf und setzte ihn dem Elasser auf den Kopf. Dabei begegnete er dem geschlagenen Blick des Juden, der sich wieder mit demselben knechtischen Lächeln an die Zuschauer wandte und sich dann langsam entfernte.

      Auch Arnold ging. Kaum war er ein paar Schritte weiter gelangt, als ihm ein apfelgrosser Stein über die Schulter am Ohr vorbeiflog. Verwundert kehrte er sich um, denn es wunderte ihn, dass einer dies wagte. Sin alter Mann senkte die schon erhobene Hand, die einen zweiten Stein hielt.

      Die Dämmerung war eingebrochen und nahm rasch zu. Arnold blieb stehen und dachte nach. Fast mechanisch schritt er dann in die Gasse hinein, wo Elasser wohnte. Er trat an das Fenster des Erdgeschosses und warf einen Blick in die niedrige Stube. Die Kinder hockten aufmerksam um den Tisch. Frau Glasser und ein fremder kleiner Mann standen betend vor einem andern, weissgedeckten Tischchen, auf welchem auch Kerzen brannten. Der eben eintretende Glasser liess seinen Pack sinken, und die Betenden gingen auf ihn zu. Auch die Kinder erhoben sich von ihren Plätzen, und der Knabe, mit dem Arnold schon Bekanntschaft geschlossen hatte, sagte etwas mit lauter Stimme, aber die Worte blieben unverständlich. Der Fremde, dessen Gesicht zutraulich und nachsichtig aussah, nickte. Er war etwa siebzig Jahre alt, war bartlos und hatte einen fast belustigend kleinen Kopf.

      Arnold legte die Hand vor die Augen. Er befand sich jetzt wie auf einem Ruhepunkt über den Geschennissen. Es war, als ob sich die Bilder greifbar in die Finsternis zwischen Hand und Auge zwängten. Er sah Jutta, widerrechtlich leidend, und diese dort im Haus, widerrechtlich zögernd, feig, aller Vernunft zum Spott. Ging der Spruch auf so langsamen Füssen? Wo war der, dessen Amt es war, Gerechtigkeit zu üben? Geschah deshalb nicht, was hätte geschehen können, weil niemand die Hand erhob und den Mund öffnete? Warum sassen sie dort in ihren Zimmern und duckten sich, liessen Unrecht an sich herabrinnen wie Wasser? Hatten sie denn vergessen? Ihm brannte jede Stunde ein tieferes Mahnzeichen ein, er konnte nicht vergessen.

      Oder gibt es überhaupt keine Gerechtigkeit? dachte er schaudernd. Ist das alles Unsinn oder Einbildung? Er lehnte den Kopf zurück und schaute empor, um ein Stück des Himmels und seiner Sterne zu suchen. Denn es war indessen Nacht geworden. Der Mond stieg zwischen den Häusern herauf.

      Dann blickte er, sich vorsichtig


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