Nathan der Weise. Gotthold Ephraim LessingЧитать онлайн книгу.
Ehrenkleid, das Saladin mir gab.
Eh es verschossen ist, eh es zu Lumpen
Geworden, wie sie einen Derwisch kleiden,
Hängt’s in Jerusalem am Nagel, und
Ich bin am Ganges, wo ich leicht und barfuß
Den heißen Sand mit meinen Lehrern trete.
Nathan. Dir ähnlich g’nug!
Derwisch. Und Schach mit ihnen spiele.
Nathan. Dein höchstes Gut!
Derwisch. Denkt nur, was mich verführte! —
Damit ich selbst nicht länger betteln dürfte?
Den reichen Mann mit Bettlern spielen könnte?
Vermögend wär’ im Hui den reichsten Bettler
In einen armen Reichen zu verwandeln?
Nathan. Das wohl nun nicht.
Derwisch. Weit etwas Abgeschmackters!
Ich fühlte mich zum erstenmal geschmeichelt;
Durch Saladins gutherz’gen Wahn geschmeichelt. —
Nathan. Der war?
Derwisch. „Ein Bettler wisse nur, wie Bettlern
zumute sei; ein Bettler habe nur
Gelernt, mit guter Weise Bettlern geben.
Dein Vorfahr, sprach er, war mir viel zu kalt,
Zu rauh. Er gab so unhold, wenn er gab;
Erkundigte so ungestüm sich erst
Nach dem Empfänger; nie zufrieden, daß
Er nur den Mangel kenne, wollt’ er auch
Des Mangels Ursach wissen, um die Gabe
Nach dieser Ursach filzig abzuwägen.
Das wird Al-Hafi nicht! So unmild mild
Wird Saladin im Hafi nicht erscheinen!
Al-Hafi gleicht verstopften Röhren nicht,
Die ihre klar und still empfangenen Wasser
So unrein und so sprudelnd wiedergeben.
Al-Hafi denkt, Al-Hafi fühlt wie ich!“
So lieblich klang des Voglers Pfeife, bis
Der Gimpel in dem Netze war. — Ich Geck!
Ich eines Gecken Geck!
Nathan. Gemach, mein Derwisch, Gemach!
Derwisch. Ei was! — Es wär nicht Geckerei,
Bei Hunderttausenden die Menschen drücken,
Ausmergeln, plündern, martern, würgen; und
Ein Menschenfreund an einzeln scheinen wollen!
Es wär nicht Geckerei, des Höchsten Milde,
Die sonder Auswahl über Bös’ und Gute
Und Flur und Wüstenei, in Sonnenschein
Und Regen sich verbreitet, — nachzuäffen,
Und nicht des Höchsten immer volle Hand
Zu haben? Was? Es wär’ nicht Geckerei . . .
Nathan. Genug! Hör’ auf!
Derwisch. Laßt meiner Geckerei
Mich doch nur auch erwähnen! — Was? Es wäre
Nicht Geckerei, an solchen Geckereien
Die gute Seite dennoch auszuspüren,
Um Anteil, dieser guten Seite wegen,
An dieser Geckerei zu nehmen? He?
Das nicht?
Nathan. Al-Hafi, mache, daß du bald
In deine Wüste wieder kommst. Ich fürchte,
Grad’ unter Menschen möchtest du ein Mensch
Zu sein verlernen.
Derwisch. Recht, das fürcht’ ich auch.
Lebt wohl!
Nathan. SO hastig? — Warte doch, Al-Hafi.
Entläuft dir denn die Wüste? — Warte doch! —
Daß er mich hörte! — He, Al-Hafi! Hier! —
Weg ist er; und ich hätt’ ihn noch so gern
Nach unserm Tempelherrn gefragt. Vermutlich,
Daß er ihn kennt.
VIERTER AUFTRITT
Daja . eilig herbei. Nathan.
Daja. O Nathan, Nathan!
Nathan. Nun?
Was gibt’s?
Daja. Er läßt sich wieder sehn! Er läßt Sich wieder sehn!
Nathan. Wer, Daja? Wer?
Daja. Er! Er!
Nathan. Er? Er? — Wann läßt sich der nicht sehn! — Ja so,
Nur euer Er heißt er. — Das sollt’ er nicht!
Und wenn er auch ein Engel wäre, nicht!
Daja. Er wandelt unter Palmen wieder auf Und ab, und bricht von Zeit zu Zeit sich Datteln.
Nathan. Sie essend? — Und als Tempelherr?
Daja. Was quält
Ihr mich? — Ihr gierig Aug’ erriet ihn hinter
Den dicht Verschränkten Palmen schon, und folgt
Ihm unverrückt. Sie läßt Euch bitten, — Euch
Beschwören, — ungesäumt ihn anzugehn.
O eilt! Sie wird Euch aus dem Fenster winken,
Ob er hinaufgeht oder weiter ab
Sich schlägt. O eilt!
Nathan. So wie ich vom Kamele
Gestiegen? — Schickt sich das? — Geh, eile du
Ihm zu, und meld’ ihm meine Wiederkunft.
Gib Acht, der Biedermann hat nur mein Haus
In meinem Absein nicht betreten wollen;
Und kommt nicht ungern, wenn der Vater selbst
Ihn laden läßt. Geh, sag’, ich laß ihn bitten,
Ihn herzlich bitten . . .
Daja. All umsonst! Er kommt
Euch nicht. — Denn kurz: er kommt zu keinem Juden.
Nathan: SO geh, geh wenigstens ihn anzuhalten, Ihn wenigstens mit deinen Augen zu
Begleiten. — Geh, ich komme gleich dir nach.
(Nathan eilt hinein, und Daja heraus.)
FÜNFTER AUFTRITT
Szene: Ein Platz mit Palmen,
unter welchen der Tempelherr auf und nieder geht. Ein Klosterbruder folgt ihm in einiger Entfernung von der Seite, immer als ob er ihn anreden wolle.
Tempelherr. Der folgt mir nicht vor langer Weile! — Sieh,
Wie