Die Abenteuer des Kapitän Hatteras. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
mit ihm zanken und kennt ihn noch nicht!«
»Wer kennt ihn nicht?« entgegnete Clifton wie einer, der davon zu ezählen weiß!
»Was Teufel meinst du damit?« fragte Gripper.
»Ich verstehe mich darauf.«
»Aber wir verstehen dich nicht!«
»Ah! Hat nicht Pen schon Unannehmlichkeiten mit ihm gehabt?«
»Mit dem Kapitän?«
»Ja, dem Kapitän Hund, denn es ist ganz das nämliche.«
Die Matrosen sahen sich einander an, ohne dass sie zu antworten wagten.
»Mensch oder Hund«, brummte Pen zwischen den Zähnen, »ich versichere euch, dem Tier wird einmal widerfahren, was ihm gebührt.«
»Seht doch, Clifton«, fragte Bolton ernstlich, »meinst du, wie Johnson scherzend gesagt hat, dieser Hund sei der wahre Kapitän?«
»Gewiss«, erwiderte Clifton mit Überzeugung; »und verständet ihr zu beobachten wie ich, so würdet ihr schon das seltsame Benehmen des Tieres wahrgenommen haben.«
»Welches? Lass hören, rede!«
»Habt ihr nicht gesehen, wie er auf dem Hinterverdeck einherspaziert mit einer Amtsmiene, und besieht sich das Segelwerk des Schiffes, als gehöre er zur Wache?«
»Ja, so ist’s«, sagte Gripper; »und sogar habe ich ihn eines Abends überrascht, wie er die Pfoten am Steuerruder hatte.«
»Nicht möglich!« sagte Bolton.
»Und jetzt«, fuhr Clifton fort, »verlässt er sogar nachts das Schiff, um auf den Eisfeldern zu wandeln, ohne sich weder um Bären noch um die Kälte zu kümmern.«
»Ganz richtig, so ist’s«, sagte Bolton.
»Seht ihr, wie das Tier als ein braver Hund die Gesellschaft der Menschen sucht, um die Küche herumschleicht, und blickt mit zärtlichen Augen nach Meister Strong, wenn er dem Kommandanten einen guten Bissen überbringt? Hört ihr ihn nicht, wenn er nachts zwei bis drei Meilen vom Schiff sich entfernt und heult, dass es einem kalt über den Rücken läuft? Endlich, habt ihr jemals gesehen, wie das Tier seine Nahrung zu sich nimmt? Er nimmt nichts persönlich; sein Fressen ist stets unberührt; und sofern nicht eine geheime Hand ihn nährt, darf ich sagen, das Tier lebe, ohne zu essen. Nun, wenn das nicht fantastisch ist, bin ich nur ein Stück Vieh.«
»Meiner Treu«, erwiderte der Zimmermann Bell, welcher zugehört hatte, »das könnte wahrlich der Fall sein!«
»Kurz«, fragte Bolton, »wohin fahren wir mit dem Forward?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Bell, »zu einer bestimmten Zeit wird Richard Shandon die Ergänzung seiner Instruktionen erhalten.«
»Aber durch wen?«
»Durch wen?«
»Ja, wie?« sagte Bolton dringend.
»Nun, Bell, eine Antwort!« fielen die anderen Matrosen ein.
»Durch wen? Wie? Ja, das weiß ich nicht«, entgegnete der Zimmermann.
»Ei! Durch den Kapitän Hund«, rief Clifton. »Er hat ja schon einmal durch diesen einen Brief geschickt, so kann er es auch wieder machen. Wüsste ich nur die Hälfte von dem, was das Tier weiß, so würde ich zum Lord-Admiral taugen.«
»Also«, versetzte schließlich Bolton, »du hältst fest daran, dass dieser Hund der Kapitän ist?«
»Ja, wie gesagt.«
»Nun«, sagte Pen halblaut, »wenn das Tier nicht sein Hundsfell sprengen und Mensch werden will, werde ich ihm zu schaffen machen.«
»Und weshalb?« fragte Garry.
»Weil mir’s beliebt«, erwiderte Pen brutal, »ich habe keinem Menschen darüber Rechenschaft zu geben.«
»Nun genug geplaudert, Kinder«, rief Meister Johnson, und machte damit zu rechter Zeit einem Gespräch ein Ende, das eben eine üble Wendung nahm. »An die Arbeit, und rasch die Sägen bereit gemacht, wir müssen durch die Eisdecke hindurch!«
»Gut!« erwiderte Clifton mit Achselzucken. »Sie werden sehen, dass man so leicht nicht den Polarkreis überschreitet!«
Wie dem auch sein mag, die Anstrengungen der Mannschaft waren im Laufe dieses Tages, freitags, ohne hinreichenden Erfolg. Obgleich der Forward mit voller Dampfkraft wider die Eisberge anfuhr, gelang es ihm nicht, sie zu trennen; man musste während der Nacht sich festankern.
Am Samstag wurde infolge eines Ostwindes die Temperatur noch niedriger; das Wetter hellte sich auf, und der Blick konnte weithin über die weißen Ebenen schweifen, welche durch den Reflex der Sonnenstrahlen blendend wurden. Um sieben Uhr vormittags zeigte das Thermometer acht Grad unter Null (-21° hundertteilig).
Der Doktor war versucht, ruhig in seiner Kabine zu bleiben und Reisebeschreibungen nach dem Polarmeer zu lesen, aber er fragte sich, seiner Gewohnheit nach, was ihm in diesem Augenblick am unangenehmsten zu tun sein würde. Die Antwort war, bei diesem Kältegrad sich auf das Verdeck zu begeben und der Mannschaft zu helfen, wäre nicht sehr erquicklich. Daher verließ er, treu an seiner Regel festhaltend, seine wohlgeheizte Kabine und half mit beim Fortbringen des Schiffes. Er sah hübsch aus mit seiner grünen Brille, vermittels welcher er seine Augen gegen den Reflex der Sonnenstrahlen schützte; und bei seinen künftigen Untersuchungen war er stets sorgfältig mit Schneebrillen versehen, um Augenkrankheiten zu vermeiden, welche unter diesen hohen Breiten sehr häufig vorkommen.
Gegen Abend war der Forward einige Meilen nördlich vorwärtsgekommen, dank der Tätigkeit der Leute und der Geschicklichkeit Shandons, der gewandt alle günstigen Umstände zu benutzen wusste; um Mitternacht kam er über den sechsundzwanzigsten Breitengrad, und da die Sonde dreiundzwanzig Ellen Tiefe ergab, erkannte Shandon, dass er sich über dem niedrigen Grunde befand, worauf die Victoria sitzengeblieben war. Dreißig Meilen östlich war man dem Lande nahe.
Nun aber spaltete sich die bisher unbewegliche Eismasse und setzte sich in Bewegung; die Eisberge schienen auf allen Seiten am Horizont aufzuwachsen; die Brigg befand sich also zwischen einer Reihe schwimmender Klippen, welche mit unwiderstehlicher Gewalt zertrümmern; die Lenkung ward sehr schwierig für Garry, den besten Steuerer, am Ruderstock; die Berge drohten sich hinter der Brigg wieder aneinanderzuschließen. Durch