Chefarzt Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Hoffnung machte er sich auf den Weg zu Silje. Die Prozedur an der Tür kannte er bereits und legte sterile Kleidung und Mundschutz an. Dann betrat er das Zimmer.
Seine Verlobte war allein. Mit geschlossenen Augen lag sie im Bett. Die roten Flecken auf ihren Wangen wirkten wie aufgemalt. Als sie die Schritte hörte, öffnete sie die Augen. Beim Nikos Anblick lächelte sie.
»Da bist du ja endlich, mein Lieblingsmann. Ich habe so lange auf dich gewartet.« Sie tastete nach seiner Hand. Er nahm sie. Es war, als fasste er ein Bügeleisen an.
Niko zuckte zurück.
»Ich war doch nur eine Stunde weg.«
Siljes Kopf auf dem Kissen wackelte hin und her. »Wirklich? Es ist mir wie eine Ewigkeit vorgekommen. Du darfst mich nicht mehr so lange allein lassen.«
»Zumindest in den nächsten vier Wochen nicht.« Dieses Versprechen konnte er guten Gewissens geben. So lange wollte Silje bei ihm im Deutschland bleiben, bevor sie wieder nach Mexiko flog.
Er zog sich einen Hocker heran und setzte sich ans Bett. Griff auch noch nach der anderen Hand seiner Verlobten. Suchte ihren Blick.
»Liebling, ich muss dich etwas fragen.«
Das Lächeln auf ihrem Gesicht verblasste und kehrte wieder zurück. Sie blinzelte ein paar Mal, als sähe sie nicht mehr klar.
»Warum hast du deinen Bart abrasiert, Abdul? Ich hätte dich fast nicht erkannt.«
Niko schnappte nach Luft. Er ließ Siljes Hände fallen, als hätten sie sich in Eisblöcke verwandelt.
Also doch Abdul! Er hatte es geahnt.
»Ich bin nicht Abdul. Mein Name ist Niko.« Wie ein Peitschenhieb zuckte seine Stimme durch das Zimmer.
»Du nimmst mich auf den Arm.« Silje kicherte.
Dieses Geräusch hatte Niko nie zuvor gehört. Nicht von ihr. Nicht von der Frau, die er liebte.
Er sprang auf. Der Hocker rollte zurück und stieß an die Wand. Niko achtete nicht darauf. Er stürmte aus dem Zimmer und direkt in die Arme von Matthias Weigand.
»Hoppla! Herr Arzfeld, was ist passiert?«
Niko bebte am ganzen Körper.
»Silje … es ist vorbei. Sie hat mich mit ihrem Araber verwechselt. Mich Abdul genannt«, stieß er hervor und wollte weiterstürmen.
Doch er hatte die Rechnung ohne den Arzt gemacht. Matthias hielt ihn am Ärmel fest.
»Wo wollen Sie hin?«
»Genügt das nicht als Beweis? Was soll ich dann noch hier? Silje anbetteln, dass sie bei mir bleibt?«
Matthias Weigand warf einen Blick ins Krankenzimmer. Silje Johannson brauchte seine Hilfe. Genau wie Niko.
»Bleiben Sie!«, befahl er und rief Schwester Camilla zu Hilfe.
Sie übernahm den geschockten Mann, während Dr. Weigand ans Bett seiner Patientin trat und die Werte des Geräteturms überprüfte.
»Dachte ich es mir doch.« Er griff nach einer Plastikspritze. Über den Zugang an Siljes Arm entnahm er Blut. »Analysieren Sie die Probe im Biochip-System.«
Camilla wusste Bescheid. Ohne eine weitere Frage lief sie davon. Niko Arzfeld sah ihr nach.
»Was macht sie?«
»Sie führt einen Schnelltest durch«, erklärte Matthias, während er sich weiter um Silje kümmerte. »Man gibt die Blutprobe in das System, das dann vollautomatisch alle weiteren Schritte bewältigt. Vorbereitung des Testmaterials, das eigentliche Analyseverfahren, die Auswertung. Innerhalb von zwanzig Minuten wissen wir Bescheid.«
»Verstehe.« Niko nickte. »Aber was wollen wir denn überhaupt wissen?«
Im Augenblick konnte Dr. Weigand für seine Patientin nichts mehr tun. Er stand am Bett und betrachtete sie. Ihr Blick war wirr, ihre Stimme verwaschen. Sie warf den Kopf hin und her und murmelte unverständliche Worte.
»Eine gefürchtete Komplikation der MERS-Corona-Infektion ist eine Blutvergiftung, ausgehend von der Lungenentzündung. Verwirrung ist eines von mehreren Alarmsignalen.«
Niko Arzfeld neigte den Kopf.
»Ist eine Blutvergiftung heute noch so gefährlich?«
»Durch Beatmung, Blutwäsche, Gerinnungstherapie und Kreislaufunterstützung können wir Mediziner viele Organfunktionen zumindest vorübergehend unterstützen oder sogar ersetzen.« Dr. Weigand hielt inne. Er musterte seinen Gesprächspartner. Wie viel Wahrheit konnte er Niko Arzfeld zumuten? »Trotzdem ist die Sepsis bis heute eine sehr schwere Erkrankung, die jeder dritte Betroffene trotz Maximaltherapie nicht überlebt.«
*
Als Schwester Elena an die Schleuse trat, traute sie ihren Augen kaum. Durch die beiden Glastüren hindurch sah sie den Besucher an.
»Daniel, was machst du denn hier?«
Er deutete auf seine Lippen und griff zum Telefonhörer, der neben der Tür an der Wand hing. Elena tat es ihm gleich.
»Daniel …«
»Machst du mir bitte die Tür auf!«
»Das geht nicht. Das ist viel zu gefährlich.«
»Das spielt keine Rolle. Glaub’ mir, ich habe lange genug darüber nachgedacht. Fee braucht mich. Und Fynn auch. Mein Platz ist bei meiner Familie.«
»Aber du hast noch mehr Kinder …«
»Dési, Janni und Anneka sind bei Freunden untergekommen. Felix hat sich zu Hause verbarrikadiert. Er erfreut sich übrigens bester Gesundheit, futtert die Vorratskammer leer und hat endlich genug Zeit für seine Lieblingsserie. Und jetzt lass’ mich bitte rein.«
Elena haderte mit sich.
»Aber was, wenn du auch krank wirst? Du bist der Klinikchef.«
»Die Kollegen hier draußen machen einen hervorragenden Job. Und jetzt haben wir genug diskutiert. Lass mich bitte endlich rein. Ich übernehme die volle Verantwortung.« Daniel durchbohrte sie mit Blicken. »Bitte, Elena.« Um jede weitere Diskussion im Keim zu ersticken, hängte er das Telefon zurück an seinen Platz. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und wartete.
Auch Schwester Elena legte den Hörer zurück. Sie zögerte. Dann drückte sie auf den Schalter neben der Tür. Ein Summen ertönte. Die Glastür vor Daniel Norden schob sich auf und schloss sich wieder, kaum dass er hindurchgetreten war. Erst dann gab die zweite Tür den Weg frei. Daniel betrat die Raumkapsel.
»Danke.«
Sein Lächeln wärmte Elenas Seele. Sie führte ihn in ein Zimmer, in dem alles bereit lag, was er für seinen Schutz benötigte.
Dr. Nordens erster Weg führte ihn zu Fynn. Äußerlich nicht mehr von den anderen Astronauten in Overall und Gesichtsschutz zu unterscheiden, betrat er das Zimmer seines Enkelsohns.
Volker Lammers stand am Geräteturm und notierte die Werte im Krankenblatt. Als die Klinke heruntergedrückt wurde, drehte er sich um und stutzte. Er erkannte den Klinikchef an den Augen.
»Noch ein Wahnsinniger!«, entfuhr es ihm.
»Ein bisschen mehr Respekt, wenn ich bitten darf.«
Lammers drehte sich wieder um.
»Was wollen Sie hier? Reicht es nicht, dass Ihre Frau zusammengeklappt ist? Oder denken Sie, dass ein bisschen Händchenhalten sie wieder gesund macht?«
Solche Reden waren es, die Daniel Norden immer wieder ins Grübeln brachten. War es wirklich richtig, an dem Kinderarzt festzuhalten, Sozialphobiker, der er war? Lammers hatte es einzig seinen herausragenden Fähigkeiten im chirurgischen Bereich zu verdanken, dass er nicht längst der Klinik verwiesen worden war. Wie lange seine Geduld noch reichte, wusste der Klinikchef nicht. Doch dies war nicht der Zeitpunkt, um über so weitreichende