Toni der Hüttenwirt Staffel 14 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
Kindergarten und im nächsten Jahr in die Schule. Das wird schön werden. Da lernst du Schreiben und Rechnen und viele schöne Sachen.«
»Fahren wir wieder nach Hause?«
Claudia hatte bisher noch nicht mit ihrer Tochter darüber gesprochen, dass sie die Wohnung in München aufgelöst hatte.
»Gefällt es dir hier nicht?«
»Doch, es ist schön und ich habe Freunde.«
»Wir könnten für immer auf der Alm bleiben. Mir gefällt es hier auch gut. Ich denke, dass es deinem Papa auch gefallen würde, wenn wir hierbleiben würden.«
Monika nickte eifrig. Sie schien sich damit abgefunden zu haben. Claudia war beruhigt. Sie ging in die Almhütte und betrat ihre Kammer. Dort nahm sie das Bild ihres Mannes in die Hände. Sie küsste es.
»Rudi, wir bleiben hier«, sagte sie leise. »Ich denke, dass dir das recht ist. Hier sind wir sicher und haben Frieden. Monika kann in der Natur aufwachsen und glücklich sein. Sie ist so ein wunderbares Kind.«
Sie hatte tränenfeuchte Augen. Claudia wischte sich die Augen. Sie stellte das Bild wieder ab und ging hinaus.
*
Es geschah in der nächsten Nacht. Die Sonne warf ihre ersten Strahlen über die Berggipfel, als Claudia aus dem Tiefschlaf hochschreckte. Irgendetwas beunruhigte sie. Ihr Herz raste. Sie überlegte, ob sie vielleicht einen Albtraum hatte. Sie konnte sich aber nicht erinnern. Zuerst versuche sie, wieder einzuschlafen. Doch die innere Unruhe wurde immer stärker. Sie stand auf, schlüpfte in ihre Hausschuhe und in ihren Morgenmantel und schlich hinüber zu Monikas Kammer. Leise drückte sie die Türklinke hinunter und öffnete die Tür einen kleinen Spalt.
»Moni!«, schrie Claudia.
Ihr Herz zog sich zusammen, als sie das leere Bett sah. In Hausschuhen rannte Claudia vor die Almhütte. Sie suchte Monika.
»Monika! Moni! Wo bist du? Wo hast du dich versteckt?«, schrie Claudia.
Sie lauschte. Alles blieb still. Claudia rannte um die Almhütte. Sie schaute im Holzschuppen nach und in dem kleinen Baumhaus, das Rudi für seine Tochter gebaut hatte. Doch dort war sie auch nicht.
Die Tränen der Angst und der Panik quollen aus Claudias Augen, als sie zurück in ihre Kammer rannte. Schnell zog sie sich an. Sie ging noch einmal in Monikas Zimmer. Dort sah sie, dass die Kleider fort waren, die Moni am Vortage getragen hatte. Ihr kleiner Rucksack fehlte auch.
»Das Bild! Die Zeichnung! Sie wird doch nicht?«, stöhnte Claudia.
Sie rannte hinaus vor die Almhütte, faltete die Hände vor der Brust und schaute hinauf zum »Engelssteig«.
»Ihr Engel beschützt meine Moni! Lasst sie mich finden«, flüsterte Claudia aus tiefster Inbrunst, wie nur eine Mutter für ihr Kind beten konnte.
Dann rannte sie los, den Weg den Berg hinauf. Sie kann nicht weit gekommen sein, dachte Claudia. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie rannte und schrie immer wieder Monikas Namen, bis sie völlig atemlos anhalten musste. Claudia war so erschöpft, dass sie sich erst einmal auf den Waldboden setzte. Die Tränen entluden sich. Sie wurde von einer tiefen Angst erfasst.
»Ich will Monika nicht verlieren. Sie ist doch alles, was mir geblieben ist«, schluchzte sie. »Himmel, hilf mir! Bitte! Was soll ich tun?«
Claudia stand auf und ging weiter, bis sie völlig erschöpft war. Irgendwann wurde ihr klar, dass sie Monika so nicht finden würde. Sie rannte den ganzen Weg zurück.
Atemlos kam sie bei der Enzian Alm an. Claudia ergriff ihren Autoschlüssel und brauste los.
Vor der Polizeidienststelle in Waldkogel machte sie nicht einmal den Motor aus. Sie stürzte hinein. Gewolf Irminger und Christina Danzer kamen aus dem Hinterzimmer. Dort hatten sie gerade gefrühstückt.
»Monika ist fort! Sie ist weggelaufen! Helfen Sie mir! Bitte, helfen Sie mir, sie zu suchen! Sie war nicht in ihrem Bett. Ich will nicht mehr leben, wenn ich jetzt Moni auch noch verliere. Sie ist alles, was ich habe, alles was mir geblieben ist«, schrie Claudia und trommelte in ihrer Verzweiflung mit den Fäusten auf die Holzplatte.
Irminger und Danzer warfen sich einen Blick zu. Es bedurfte keiner großen Worte. Die blasse und sehr zierliche junge Frau sah in ihrer schwarzen Kleidung erbärmlich aus. Sie hatte verweinte Augen.
Chris ging zu Claudia und legte den Arm um sie.
»Ganz ruhig! Jetzt setzen Sie sich und erzählen alles der Reihe nach.«
»Sie müssen sie finden. Bitte helfen Sie mir!«
Gewolfs neue Kollegin führte Claudia in das Nebenzimmer und drückte sie auf einen Stuhl.
»Ganz ruhig! Wir finden jeden«, versuchte Christina sie zu beruhigen. »Wie heißen Sie? Wo wohnen Sie?«
»Claudia Rachner …, ich wohne mit Monika auf der Enzian Alm … Sie ist erst vier Jahre …, wird demnächst fünf Jahre. Ich bin aufgewacht und habe festgestellt, das Moni fort ist. Ich habe sie drei Stunden lang gesucht und sie nicht gefunden. Wenn ihr etwas passiert ist, dann …« Der Rest des Satzes ging in einem neuerlichen Tränenschwall unter.
Claudia zitterte am ganzen Leib. Christina legte ihr eine warme Decke um und schenkte ihr eine Tasse heißen Kaffee ein.
»Hier, der Kaffee tut bestimmt gut. Ich bin Christina Danzer, aber du kannst Chris zu mir sagen. Wir sind doch hier in Waldkogel alle eine große Familie. Und wenn jemand Kummer hat, dann rücken wir enger zusammen. Deiner Monika wird bestimmt nichts passiert sein. Kinder haben einen besonderen Schutzengel, Claudia. Jetzt gibst du uns eine genaue Beschreibung. Hast du ein Foto von Monika?«
Claudia schüttelte den Kopf. Sie putzte sich die Nase. »Nur daheim, ich bin einfach losgefahren.«
Christina nickte.
»So, dann sage ich dir jetzt, wie wir das machen! Ich fahre mit dir zur Enzian Alm und hole das Foto. Wolfi schreibt alles auf und meldet es weiter. Dann wissen alle, dass Monika gesucht wird. Wir werden sie bestimmt finden.«
Christina packte Monika in das Polizeiauto und fuhr mit ihr hinauf zur Enzian Alm.
Claudia weinte den ganzen Weg. Als sie ankamen, gab sie Christina ein Foto aus dem Fotoalbum.
»Was für ein liebes Madl«, sagte Christina leise.
»Sie sieht ihrem Vater sehr ähnlich«, sagte Claudia.
Sie blätterte im Album zurück und zeigte Christina ein Bild von Rudi. Noch bevor die junge Polizeimeisterin fragen konnte, sagte Claudia: »Ich bin Witwe! Mein Mann kam vor zwei Jahren bei einem Autounfall auf der Autobahn um. Ein Lastwagen hatte eine Massenkarambolage verursacht.«
Christina ergriff voller Anteilnahme Claudias Hand und hielt sie fest.
»Mein Beileid! Wir werden Monika finden. Bitte, glaube mir. Kinder laufen oft fort.«
Claudia fing an zu schluchzen.
»Es ist wegen der Zeichnung. Sie fehlt. Ich habe Angst, dass Moni auf den ›Engelssteig‹ will. Ich mache mir solche Vorwürfe. Es ist alles meine Schuld.«
Claudia erzählte Christina, was sie Monika über den »Engelssteig« erzählt hatte und dass die Engel die Zeichnung in den Himmel bringen würden. Sie berichtete auch, dass Monika auf den Gipfel wollte. Christina hörte Claudia ruhig zu.
»Das ist ja schon einmal ein Anhaltspunkt. Auf den Gipfel kommt Moni bestimmt nicht. Außerdem sind viele Wanderer rund um den Berg unterwegs und Bergsteiger ebenso. Sicher wird sie gesehen. Ein Kind allein unterwegs, das fällt auf. Aber ich werde Wolfi sofort informieren.«
Christina ging hinaus zum Polizeiwagen. Über Funk sprach sie mit ihren Kollegen Gewolf Irminger. Sie bat ihn, Kontakt zu Doktor Engler aufzunehmen und den Pfarrer zu verständigen.
»Wolfi, ein Arzt sollte nach Claudia sehen und ihr vielleicht ein Beruhigungsmittel geben.«
Christina