Das Schönste von Max Dauthendey. Max DauthendeyЧитать онлайн книгу.
damit er die durch die Verpackung und Reise schon etwas beschädigten, aber noch guten Obstvorräte, denen eine Eisenbahnversendung nicht gut bekommen würde, an Ort und Stelle absetzen könnte.
Der Händler ging mit Freuden auf dieses Geschäftsunternehmen ein. Und da ihn die Fruchtversteigerungen oft nach der Hafenstadt gerufen hatten, so fand auch seine Frau es ganz in der Ordnung, wenn ihr Mann dem neuen Zweiggeschäft in der Hafenstadt vorstünde, wogegen sie den Laden in der Provinzstadt weiterführen wollte.
Für die Festtage des Jahres hatten die Eheleute verabredet, sich zu besuchen. Da aber die Frau zur Weihnachtszeit nicht von dem Laden abkommen konnte, erwartete sie der Mann erst zum Neujahrsabend, zur Silvesterfeier.
In der ersten Zeit der Trennung war der Südfrüchtenhändler von seinem neuen Geschäft so in Anspruch genommen, daß er weder seine Frau noch das junge Mädchen, das nach wie vor in dem Laden in der Provinz die Nachtwache hatte, vermißte.
Aber als das neue Geschäft im Gang war und sich eintönig abwickelte, kehrten seine Erinnerungen doppelt heftig zurück, und die Gerüche der Früchte im Laden, die ihre Süßigkeit durch die Luft verbreiteten, erweckten wieder, besonders, wenn er abends den Laden geschlossen, seine Rechnungsbücher durchgesehen und zugeklappt hatte und sich der Beschaulichkeit und dem Träumen überlassen durfte, das Bild des Mädchens und den Duft ihres Leibes, wie er ihm begegnet war vormals zur Stunde der Maus.
Er merkte, daß er sich sogar einzelner Verse jener Balladen und Romanzen erinnerte, die sie immer in der nächtlichen Stille im Kreis der Fruchtkörbe vorgetragen hatte, und die ihn auf ferne Inseln und zu fernen Ländern, unter fremdartige Bäume, zu feurigen und fremdartigen Menschen versetzt hatten, deren Sprache voll auffallender Leidenschaftsworte lebhaft leuchtete, wie die Farben der Südfrüchte, die von den nüchternen Eisensäulen des Ladens, von den kahlen Kalkwänden und vom strengen Kassenpult wie bengalische Feuer abstachen, die man im nüchternen Tageslicht abbrennt.
Wenn der Mann dann aus dem Laden in sein Zimmer in einem der höher gelegenen Stockwerke des Hauses kam, wo er jetzt ohne Weib hausen mußte, gingen die Düfte der südlichen Länder, die an seinem Rock hafteten, mit in seine Träume. Und er umarmte in seinem Schlaf nicht sein Weib, sondern er zog das junge Mädchen an sein Herz, während ihm ihre Brüste wie zwei frische Kalvillenäpfel entgegendufteten.
Und besonders zur Stunde der Maus lag er oft auf dem Kissen wach, mit den verschränkten Armen unter seinem Kopf, und stellte sich seinen Laden in der Provinz vor, wo eine der Gaslampen brannte und sie, die er ersehnte, mit hochgezogenen Beinen auf dem Drehstuhl beim Ladentisch saß und ihre Balladen sprach und dazwischen aufsprang und nach einer Ecke schlich, wo überall Mausefallen waren, die aber den Mäusen so bekannt waren, daß keine mehr Lust hatte, sich fangen zu lassen.
Dann sah er, wie sie sich bückte und eine Falle, die von selbst zugeklappt war, wieder aufstellte, wobei sie vielleicht den Vers hersagte:
Ein Held, dess' Herz wie Feuer war,
Ritt durch die Wälder sieben Jahr.
Verschwiegen hat er sieben Jahr,
Daß er ein Fraß der Flammen war.
Bald mußte sich der Händler auch am Tage mit seinen verliebten Träumen beschäftigen. Und der Gedanke, daß seine Sehnsucht die Ersehnte vielleicht herziehen könnte, wollte nicht mehr von ihm weichen.
Er nahm sich endlich vor, einen Brief zu schreiben und seiner Frau zu sagen, daß er eine Hilfe im Laden brauche und daß er nicht immer die Ladentüre abschließen könne, wenn er stundenlang zu den Fruchtversteigerungen gehen müsse, und er wollte ganz harmlos im Briefe bemerken, daß sie ihm jene Verwandte schicken sollte.
Er hatte den Brief im Geist vielleicht tausendmal abgefaßt, nachts und am Tag. Wo er ging und stand, schrieb er diesen Brief in Gedanken.
Aber er konnte sich nicht entschließen, die Feder in die Hand zu nehmen, die Tinte und das Briefpapier. Er wäre sich wie ein Verräter vorgekommen, Verräter an der Treue, die er seiner Frau halten wollte, und Verräter an seinem Herzen, das ehrlich bleiben wollte.
So schrieb er diesen Brief nur mit den Augen in die Luft. Er schrieb ihn abends stundenlang, wenn er seine Rechnungen abgeschlossen hatte, unter die Summen der Zahlen ins Hauptbuch, in das er brütend starrte. Er schrieb den Brief mit den Augen auf die Kistendeckel der Orangensendungen, wenn er das Kistenbrett in der Hand hielt und in Gedanken anstarrte, statt es in eine Ecke zu stellen. Er schrieb den Brief auf die rötlichen blanken Schalen der Blutorangen. Er schrieb den Brief an die leeren Kalkwände seines Verkaufsgewölbes, und er las ihn am Tag hundertmal, während er Früchte in die weißen Tüten hineinzählte, die er den jungen Mädchen und Frauen zureichen mußte. Auf allen Frauenhänden, die die Fruchttüten aus seiner Hand empfingen, las er jenen Brief, den seine Augen unaufhörlich schrieben.
Aber wie man sich scheut, mit bloßen Füßen durch brennendes Feuer zu gehen oder die bloßen Hände in helles Feuer zu legen, so scheute er sich, seine Hände und seinen Willen dazu herzugeben, den Brief zu schreiben und abzusenden, den Brief, der die heimlich Ersehnte zu ihm bestellen sollte.
Der Gefolterte suchte sich mit der Zeit die brennende Sehnsucht nur dadurch ein wenig zu erleichtern, indem er tat, als ginge er auf die Forderungen seines Blutes scheinbar ein. Er ging, wenn es ihm seine Zeit erlaubte, in die Warenhäuser und kaufte Dinge für sein Zimmer ein, die er sonst nie für sich gekauft hätte, und die er aufstellte wie zum Empfang für diejenige, die er noch nie empfangen hatte. Er kaufte Kissen für das Sofa, unnütze Vasen, in die er Blumensträuße stellte, die er aber verwelken ließ wie die Stunden seiner Träume. Er kaufte romantische Bilder, mit denen er die Wände schmückte, kaufte Balladen- und Romanzenbücher, die er auf ein Bücherbrett aufreihte. Er kaufte Weingläser, eine Porzellanschale für Kuchen, eine Kristallschale für Früchte und eine große seidene Bettdecke.
Er kaufte sich neben seinen gewöhnlichen Zigarren, die er täglich rauchte, eine Schachtel bester und teuerster Havannastengel, die er nur dann rauchen wollte, wenn der ersehnte Besuch gekommen sein würde.
Mit diesen und noch mancherlei Einkäufen beschwichtigte er das still schwellende Sehnsuchtsfieber, das in ihm umging wie ein unheimlicher Feueratem, der ihn entfachen wollte.
Aber den Brief, den er hätte schreiben müssen, schrieb er nicht.
Oft, wenn ihm ein Besuch angezeigt wurde, fuhr er erschreckt zusammen und dachte, jenes Mädchen könne plötzlich auf seiner Türschwelle stehen, gerufen von den lautlosen Hilfeschreien seines geknebelten Herzens.
Zum Silvester kam dann, wie es verabredet war, seine ahnungslose Frau zu ihm zu Besuch.
Sie war, seit er den Laden in der Hafenstadt aufgemacht hatte, noch nicht bei ihm gewesen. Und als er sie jetzt vom Bahnhof abholte und in sein Zimmer führte, wo von der Decke eine rosa Glasampel hing, die er angezündet hatte, da schlug die gute Frau erstaunt die Hände zusammen und vergaß, den Hut und den Mantel abzulegen. Sie drehte sich auf einem Fleck, mitten im Zimmer stehend, um sich selbst und ließ die zerbrechlichen feinen Vasen mit Blumen auf sich wirken, die schönen gebundenen aufgereihten Bücher auf dem Bord, den Porzellanteller mit Kuchen, die Kristallschale mit Früchten, die vielen romantischen Bilder an den Wänden. Und als sie zuletzt gar die gleißende Seidendecke auf dem breiten Bett bemerkte, da gingen ihr gerührt die Augen über, und sie umarmte ihren Gatten und bedankte sich, daß er so zärtlich alles für ihren Empfang hergerichtet hatte.
Der sagte nichts und umarmte seine Frau wieder. Denn während er diese Dinge zum Schmuck des Zimmers alle eingekauft und aufgestellt hatte, hatte er auch da nie mit Bewußtheit und Offenheit sich eingestanden, daß er dies nicht für seine Frau, sondern für das junge Mädchen tat.
Er hatte wie ein Schlafwandelnder gehandelt, getrieben von einer inneren Lust, sein Zimmer zu schmücken, handelnd zwischen Wachen und Träumen. Und wie er nun seine Frau, die er immer noch treu liebte und vor der er sich keine untreue Handlung vorzuwerfen hatte, umarmte, schien es ihm wirklich einen Augenblick als wahrscheinlich, daß er für sie und sich zur Silvesterfeier und zum Wiedersehen das Zimmer so sorgsam und festlich geschmückt hatte.
Am