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Klartext. Dominic MultererЧитать онлайн книгу.

Klartext - Dominic Multerer


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Etwas ist unbestreitbar gut und sinnvoll – und trotzdem wird es nicht gemacht. So wird zum Beispiel kaum jemand bestreiten, dass Vorsorgeuntersuchungen gegen Krebs sinnvoll sind. Trotzdem gehen viele nicht hin, obwohl die Krankenversicherung dies bezahlen würde. Warum nicht? Weil es Zeit kostet und lästig ist? Bestimmt auch. Aber das ist nicht die eigentliche Blockade. Die hat eher damit zu tun, dass man sich mit dem Thema Krebs nicht befassen will. Oder mit der Möglichkeit rechnen muss, dass der Arzt etwas finden könnte. Lieber keine Klarheit haben und das Thema verdrängen. So lebt es sich – scheinbar – angenehm weiter. Aber nur scheinbar. Denn jeder weiß: Klarheit und Gewissheit befreien – Unklarheit und Ungewissheit belasten.

      Genauso ist es auch mit dem Klartext in Unternehmen. Kein Manager wird bestreiten, dass Klartext sinnvoll wäre. Angenommen, wir fragen 100 Manager, ob sie es sinnvoll finden, dass in ihrer Firma Klartext geredet wird, dann, schätze ich, antworten 98 mit Ja. Die zwei übrigen haben entweder die Frage nicht verstanden oder sagen grundsätzlich nur das, was sie immer sagen, und nie das, wonach sie gefragt worden sind. Manche Manager bilden sich sogar ein, sie würden Klartext sprechen, tun es aber nicht. Auf das Thema Selbstbild und Fremdbild werde ich zurückkommen. Also, vereinfacht gesagt: Viele finden Klartext gut, aber nur wenige reden Klartext. Warum?

      Klartext kann unangenehm sein. Klartext gefährdet die Komfortzone. Wer Klartext redet, lehnt sich aus dem Fenster.

      Nehmen wir mal ein drastisches Beispiel. Als Bayern-Fan erinnere ich mich noch gut an die mittlerweile legendäre Rede von Uli Hoeneß bei der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München im November 2007. Die Stimmung war mies. Unter den Fans, im Netz und in verschiedenen Printmedien kursierte wieder mal das typische Gerede, das alle erfolgreichen Liga-Vereine in irgendeiner Form kennen: Alles viel zu kommerziell geworden, Tradition futsch, Eintritt zu teuer, immer mehr Schickimicki-Typen im Stadion (die da nach Meinung der »richtigen« Fans nicht hingehören) und so weiter. Nun ist es ja in der Bundesliga üblich, dass die Vereine immer, wirklich immer ihre Fans loben, ohne die sie nichts wären und die ohnehin die besten der Welt sind und blablabla. Uli Hoeneß dagegen brach ein Tabu: Er kritisierte die eigenen Fans. Wörtlich sagte er Folgendes:

      Eure Scheiß-Stimmung, da seid ihr doch dafür verantwortlich und nicht wir. Das ist doch unglaublich. Was glaubt ihr eigentlich, was wir das ganze Jahr über machen, damit wir euch für sieben Euro in die Südkurve gehen lassen können? Was glaubt ihr eigentlich, wer euch alle finanziert? Die Leute in den Logen, denen wir die Gelder aus der Tasche ziehen. Ohne die hätten wir nämlich keine Allianz Arena. Dann würdet ihr nämlich jetzt wieder in Schnee und Eis spielen. Dann würden wir gegen Bolton Wanderers 12.000 Zuschauer haben. … Wenn ich dann höre, bei 1860 [München] ist das alles so toll … da ist gar nichts toll! Der Verein ist mehr oder weniger pleite und wir haben ihn am Leben erhalten. Und wer ist schuld daran? Fans, die von gestern leben.

      Au, das tat richtig weh! Fan-Beschimpfung geht gar nicht. Eine Welle der Empörung folgte. Doch was hat Uli Hoeneß hier eigentlich gemacht?

      1.Klare Meinung. Hoeneß hat sich den Schuh nicht angezogen, den Verein zu sehr kommerzialisiert zu haben. Im Gegenteil, er war überzeugt, die Fans in ihren unrealistischen Erwartungen zu durchschauen: Ihr wollt Titel, ihr wollt, dass wir die Nummer 1 sind, aber das alles soll ohne Geld gehen. Geht aber nicht! Das war sein Standpunkt.

      2.Denken = Reden. Der damalige Präsident des FC Bayern hat sich nicht lang und breit mit seinem Pressesprecher abgestimmt. Nach dem Muster: Was von dem, was ich denke, soll ich jetzt sagen und was nicht? Nein, Uli Hoeneß hat das rausgelassen, was er dachte. Er war einfach emotional.

      3.Starke Worte. Wer eine Diskussion will, die einen wirklich weiterbringt, darf nicht um den heißen Brei herumreden. Worthülsen, Schachtelsätze und abschwächende Adjektive führen nicht weiter. Manchmal ist sogar Polemik okay. Ich nehme Uli Hoeneß ab, dass es ihm um die Sache ging, um sein Lebenswerk, und er niemanden persönlich kränken wollte.

      Raus aus der Komfortzone!

      Jetzt frage ich Sie: Warum hat nicht ein einziger Manager von General Motors annähernd so geredet wie Hoeneß, als die Mitarbeiter von Opel in Bochum wissen wollten, ob ihr Werk nun geschlossen wird oder nicht und wenn ja, wann? Es hätte ja zum Beispiel jemand sagen können: »Hört mal zu, Leute, wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, der Laden rechnet sich einfach nicht mehr, und zwar aus folgenden Gründen: erstens, zweitens, drittens …« Stattdessen dichter Nebel, der vom Detroit River über Zürich (Europazentrale) und Rüsselsheim (Deutschlandzentale) nach Bochum zog.

      Kürzlich habe ich gelesen, dass die meisten der in Bochum entlassenen Opel-Arbeiter anderswo im Ruhrgebiet keine Jobs gefunden haben. Nicht, weil es dort keine neuen Jobs gäbe, nein, der Strukturwandel ist voll im Gang und schafft auch neue Arbeitsplätze. Sondern weil sie sich jahrelang, teilweise jahrzehntelang nicht weiterqualifiziert haben. Sicherer Job bis zur Rente – scheinbar – und dann das Hirn auf Stand-by geschaltet. Warum traut sich kein Manager, so was mal aufzugreifen? Warum sagt keiner: »Leute, ihr seht euch immer nur als Opfer, aber ihr hättet euch all die Jahre weiterbilden können, statt immer nur für mehr Kohle und weniger Stunden zu streiken, dann könnte man euch jetzt anderswo noch gebrauchen …« Au, das täte weh. Das wäre ein Tabubruch, ähnlich der Fan-Beschimpfung von Uli Hoeneß.

      Wenn Sie mich nach meiner persönlichen Meinung fragen: Ich glaube nicht, dass den Managern bei General Motors der Mut zu starken Worten fehlte. Ich glaube, die hatten selbst keine Ahnung, was sie wollten.

      Ohne Standpunkt kein Klartext

      Ohne Klartext geht es nicht. Und ohne Standpunkt kein Klartext – so einfach ist das, im Prinzip. Wer nicht weiß, was er will, und trotzdem etwas sagen soll, der kann gar nicht anders, als wolkiges Blabla von sich zu geben. Wobei: Halt! Die einzig sinnvolle Alternative wäre zu sagen, dass die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen ist. Doch wie oft hören Sie Topmanager oder Politiker sagen: Wir überlegen noch. Bis dann und dann haben wir eine Meinung dazu und werden sie mitteilen? Eher selten, oder? Viel verbreiteter ist es, sich als Macher und Bescheidwisser zu präsentieren und so zu tun, als hätte man immer und zu allem eine Meinung. Selbst wenn man keinen Plan hat. Solche Manager reden dann mal so, mal so, verlangen ständig etwas anderes und verstricken sich irgendwann in Widersprüche.

      Ich liebe bild.de. Auch finde ich den Claim »Bild dir deine Meinung« super. Klar ist Bild oft krass. Aber Bild hat immer eine erkennbare Meinung. Die kann ich persönlich gut oder schlecht finden. Tatsache ist: Es gibt einen Standpunkt, an dem ich mich reiben kann. Insofern fordert Bild ihre Leser tatsächlich auf, sich eine Meinung zu bilden.

      Es gibt eine aktuelle Untersuchung, warum Twitter in Deutschland ein ziemlicher Flop ist. Facebook lieben ja alle, rund 90 Prozent der Social-Media-Nutzer (das sind wiederum über 70 Prozent der Deutschen) sind auf Facebook. Twitter dagegen nutzen nur 24 Prozent. Selbst das todlangweilige Karriereportal XING hat hierzulande mehr Nutzer als Twitter. Im internationalen Vergleich sind 24 Prozent lächerlich, denn anderswo ist Twitter ein Riesenerfolg. Einer der Gründe soll angeblich sein, dass die deutsche Sprache komplizierter ist als beispielsweise die englische. Das ist Quatsch, denn jedes Kind kann auch mit 140 Zeichen eine Aussage machen.

      Der Hauptgrund, den die Untersuchung ans Licht brachte, ist viel aufschlussreicher: Twitter wurde dazu konzipiert, Meinungen zu verbreiten und zu diskutieren. Die Amerikaner und Briten lieben das. Sie nehmen gern Standpunkte ein und wollen darüber diskutieren. Schon als Kinder in der Schule lernen sie das in Debattierklubs. Und die Deutschen? Posten lieber auf Facebook ein Foto von ihrem Mittagessen. Oder von ihrem letzten Auftritt als Redner. Oder ein Selfie von sich mit Anke Engelke. Das ist ja so schön harmlos. Und die anderen können dann alle sagen »gefällt mir« oder »wie schön« oder »wie süß«.

      Sich eine Meinung zu bilden und einen Standpunkt zu kommunizieren, ist anstrengend. Jedenfalls anstrengender, als irgendein dummes Foto oder ein Zitat vom Dalai Lama um die Welt zu schicken.

      Was die Leute auf Facebook machen, ist mir letztlich egal. Ich will in diesem Buch auf die Situation in den Unternehmen hinaus. Und da sieht es so aus: Je höher man kommt, je abgehobener die Meetings werden, desto einfacher ist


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